produktionsorientierte und wissensintensive Dienstleistungen ebenso wie die funktionalen Verflechtungen zwischen den einzelnen wirtschaftlichen Prozessen nur unzureichend berücksichtigt werden, eröffnet das Konzept des Produktionssystems eine explizit funktionale Perspektive auf die wechselseitigen Beziehungen über den gesamten Wertschöpfungsprozess hinweg (Glückler et al. 2015). Das Produktionssystem beschränkt sich nicht nur auf den Transformationsprozess von Inputs zu Outputs (→ Abb. 3.5 a), sondern umfasst als interdependentes System (→ Abb. 3.5 b) die Beziehungen zwischen fünf elementaren „Rollen“ bzw. Funktionen (Bailly et al. 1987; Dicken und Lloyd 1990): Die Produktion beinhaltet die Transformation von Rohstoffen und Zwischenprodukten in Endprodukte. Die Zirkulation erfasst alle unterstützenden Dienstleistungen im Zuge der Herstellung und Bereitstellung der Güter, wie z.B. Finanz-, Transport- und Kommunikationsdienstleistungen. Die Distribution betrifft die Verteilung und Bereitstellung von Gütern z. B. über Einzelhandelssysteme an die Verbraucher. Die Funktion der Regulation beinhaltet die zur Koordination all der arbeitsteiligen Aktivitäten notwendigen Gesetze, Regeln, Standards und Praktiken. Schließlich stoßen die Güter auf den Konsum bzw. die Endnachfrage.
Abb. 3.5 Prozess und System der Produktion (nach Bailly et al. 1987, S. 50; Dicken und Lloyd 1990, S. 7)
Ausgangspunkt der Analyse eines Produktionssystems ist oftmals eine Produktions- bzw. Wertschöpfungskette, in der einem Produkt stufenweise neue Werte hinzugefügt werden. Der Beitrag der Wirtschaftsgeographie bei der Untersuchung der fünf Funktionen im Produktionssystem besteht darin, die Organisation der Wertschöpfung aus räumlicher Perspektive zu beschreiben, zu erklären und den Einfluss ihrer funktionalen Arbeitsteilung auf soziale und ökonomische Prozesse in räumlichen Kontexten zu untersuchen. So zeigt die empirische Analyse des Strukturwandels z.B. in Süddeutschland einerseits die stetig steigende Bedeutung der Zirkulation im Verhältnis zu den übrigen Funktionen des Produktionssystems. Andererseits belegt die Analyse aber auch, dass gerade die Regionen in Süddeutschland am stärksten wachsen, in denen Produktion und Zirkulation gekoppelt bzw. miteinander verflochten sind (Glückler et al. 2015). Grundlage aller Wertschöpfungsketten bilden die Produktionsfaktoren. Sie umfassen in der volkswirtschaftlichen Analyse Boden (natürliche Ressourcen), Arbeit und Kapital (Sach- und Humankapital) (z. B. Healey und Ilvery 1990, Kap. 4; Bontrup 1998, Kap. 2.1 bis 2.9). Die neuere soziologische Debatte unterscheidet neben Sach- und Humankapital als weitere Kapitalform das soziale Kapital, das die Gesamtheit der Gelegenheiten aus sozialen Beziehungen widerspiegelt (→ Kap. 7.3.3).
3.3.1Produktionsfaktor Boden
Der Boden hat als Produktionsfaktor eine dreifache Stellung: Er ist landwirtschaftliche Nutzfläche, Fundort nicht erneuerbarer Rohstoffe und Energieträger sowie Standort für Wohnungsbau, Industriebetriebe und Verkehrsanlagen. Im Zusammenhang mit dem Produktionsfaktor Boden werden in der Wirtschaftsgeographie verschiedene Probleme thematisiert. So ist die Nutzung von Boden durch eine zunehmende Flächenbeanspruchung gekennzeichnet, was zu Landnutzungskonflikten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen führt und in der Vergangenheit sogar Kriege bewirkt hat. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen, das menschliche Verhaltensweisen beeinflusst, ist die Abnahme natürlicher Ressourcen und die damit einhergehende Verknappung. Für den Produktionsfaktor Boden wird oftmals das Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs angenommen. Dieses besagt, dass der durch die zuletzt eingesetzte Faktoreinheit erzielte zusätzliche Ertrag mit zunehmendem Faktoreinsatz (z. B. erhöhtem Einsatz von Düngemitteln) immer geringer wird. Je größer die bereits eingesetzte Menge an Düngemitteln ist, desto mehr Düngemittel müsste man zusätzlich einsetzen, um den Ertrag pro Flächeneinheit weiter zu erhöhen. Jenseits einer maximal verkraftbaren Menge würde eine Überdüngung des Bodens sogar zu Ertragseinbußen führen.
In einer Studie über die Grenzen des Wachstums untersuchten Meadows et al. (1973) im Auftrag des Club of Rome Anfang der 1970er-Jahre, welche zusätzliche landwirtschaftliche Nutzfläche bei steigender Weltbevölkerung benötigt wird (→ Abb. 3.6). In ihrer Studie gingen sie davon aus, dass die zur Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung notwendige landwirtschaftliche Produktion im Zeitablauf exponentiell anwachsen müsste. Zugleich erkannten sie, dass die unter realistischen Bedingungen herstellbare landwirtschaftliche Produktionsmenge unter Nutzung der auf der Erde vorhandenen Flächen langfristig höchstens linear anwachsen könne. Daraus schlossen Meadows et al. (1973), dass irgendwann ein Zeitpunkt erreicht sein wird, an dem die landwirtschaftliche Produktion nicht mehr zur Ernährung der Weltbevölkerung ausreicht. Sie zeigten, dass der zusätzliche Bedarf an Boden auch durch erhebliche Produktivitätssteigerungen nicht kompensiert werden kann. Die Folgen dieser Situation wären dramatisch: Armut, Hunger, Konflikte und sogar Kriege um landwirtschaftliche Nutzfläche in bestimmten Teilen der Welt wären zu erwarten. Es ist klar, dass eine Überwindung dieses Problems in erster Linie eine Verringerung des Bevölkerungswachstums erfordert, wenngleich das Gegenteil der Fall ist. Mit über 7 Mrd. leben seit 2011 nach Schätzung der Vereinten Nationen doppelt so viele Menschen auf der Erde wie etwa 1970. Diese Überlegungen bedingen veränderte soziale Verhaltensweisen, welche wiederum von ökonomischen Strukturen und wirtschaftlichen Wachstumschancen beeinflusst werden.
Abb. 3.6 Grenzen des Wachstums (nach Meadows et al. 1973, S. 40)
Obwohl das Krisenszenario des Club of Rome bisher nicht eingetreten ist, gibt es doch viele Anzeichen dafür, dass Knappheits- und Allokationsprobleme im Zusammenhang mit natürlichen Ressourcen zentrale Beschränkungen und Herausforderungen für ökonomisches Handeln im 21. Jahrhundert darstellen (→ Box 3-1). Neben der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus der landwirtschaftlichen Produktion werden Wasserknappheit und damit zusammenhängende Verteilungskonflikte zu einem wachsenden Problem (Oßenbrügge 2007). Dies hängt mit dem globalen Klimawandel, aber auch mit immer intensiveren Landnutzungsformen und dem Anbau von Nahrungsmitteln, Baumwolle und anderen Produkten in Trockengebieten zusammen. Durch künstliche Bewässerung und Staudammprojekte werden Flüsse so stark beansprucht, dass sich deren Pegelstände im Unterlauf drastisch verringern. Folgen sind Probleme in der Trinkwasserversorgung angrenzender Städte und Regionen sowie zunehmende Schadstoffkonzentrationen. Ebenso schwerwiegende Auswirkungen zeigen sich im Umfeld abflussloser Seen wie beispielsweise des Aralsees oder des Toten Meeres, da infolge des gestiegenen Wasserverbrauchs im Bereich der Zuflüsse der Wasserspiegel sinkt, was ökologische und ökonomische Probleme nach sich zieht (Giese 1997 b; Giese et al. 1997; Giese et al. 2004).
Box 3-1: Peak oil
Schon seit den 1970er-Jahren gibt es eine rege Diskussion über die Folgen der Erdölverknappung durch die Ausbeutung der weltweiten Erdölreserven (Steinke 2006). Ende der 1990er-Jahre ist hieraus eine heftige Debatte unter dem Schlagwort peak oil entbrannt, die davon ausgeht, dass der Höhepunkt der weltweiten Erdölförderung in wenigen Jahren erreicht sein wird oder sogar schon überschritten ist (z. B. Olive 2009). Die Debatte beruht auf der Erkenntnis, dass sich die aus einer gegebenen Lagerstätte geförderte Menge Erdöl im Zeitablauf gemäß einer Glockenkurve entwickelt (Hubbert 1956). In der Anfangsphase ist die Lagerstätte gefüllt und das Erdöl sprudelt unter hohem Druck aus den Bohrlöchern. Durch zusätzliche Bohrungen lässt sich die geförderte Erdölmenge schnell steigern. Ist jedoch das Fördermaximum erreicht, kommt es zu einer vorübergehenden Stagnationsphase auf hohem Niveau, bis dann die Fördermenge immer schneller absinkt, weil die Erdölvorräte abnehmen und schließlich zur Neige gehen. Die Erdölförderung ist in dieser Phase mit einem hohen finanziellen und technischen Aufwand verbunden. So war die Ausbeutung der reichhaltigen Ölsandvorkommen in der kanadischen Provinz Alberta lange Zeit ökonomisch nicht realisierbar und ist erst seit Mitte der 1990er-Jahre aufgrund steigender Erdölpreise zu einem lukrativen Geschäft geworden (Braune 2006). Unter der Annahme eines glockenförmigen Verlaufs der Erdölfördermenge aus bekannten Lagerstätten ist es möglich, im Voraus abzuschätzen, wann die maximale Fördermenge erreicht sein wird. Hubbert (1956) führte dies für die USA bereits in den 1950er-Jahren durch und sagte den peak der Erdölförderung für die Mitte der 1970er-Jahre korrekt voraus. Wenn man dieselbe Überlegung