Harald Bathelt

Wirtschaftsgeographie


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sind hierbei eng mit der Entstehung neuen Wissens und der Modifikation vorhandenen Wissens verbunden. Dahinter steht die Idee, dass der Prozess der Technologie- und Wissensgenerierung erfahrungsabhängig ist und sich auf einen begrenzten Bereich technisch-ökonomischer Problemlösungsmuster konzentriert. Unternehmen folgen in ihren Innovationsprozessen bestimmten technologischen Entwicklungspfaden, wobei Routinen und Heuristiken den Ausgangspunkt für Suchprozesse bilden.

      Wie die räumliche Organisationsstruktur von Innovationsprozessen aussieht, hängt unter anderem davon ab, wie arbeitsteilig die Produktion in dem betreffenden Technologiefeld organisiert wird, ob es potenzielle Partnerunternehmen im regionalen Umfeld gibt, welche Arten von Wissen für den Innovationsprozess von Bedeutung sind und welche Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht wurden. Empirische Untersuchungen belegen, dass neue Technologien keineswegs immer in integrierten Forschungsprozessen innerhalb weltweit organisierter Großunternehmen entstehen, sondern dass gerade spezialisierte Industrieballungen gute Voraussetzungen für die Etablierung arbeitsteiliger Innovationsprozesse haben. Räumliche Nähe ermöglicht regelmäßige Interaktionen und Abstimmungen zwischen den Akteuren und erleichtert dadurch den Prozess der Wissensgenerierung. Dies ist umso ausgeprägter, je stärker die unternehmensübergreifende Arbeitsteilung in einer Region ist und je stärker die Unternehmen in den lokalen institutionellen Kontext integriert sind. Gerade auch die nationalstaatliche Ebene hat großen Einfluss auf den Prozess der Wissens- und Technologieerzeugung und führt zur Herausbildung nationaler Innovations- und Produktionssysteme (Lundvall 1992 b; Nelson 1993; Hall und Soskice 2001), die durch unterschiedliche räumliche Organisationsmuster und regionsspezifische Anpassungen gekennzeichnet sind.

      Die vier Grunddimensionen wirtschaftsgeographischer Analyse (Ionen) sind für den Aufbau und die Argumentation im weiteren Buchverlauf prägend. Hierbei ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei den Grunddimensionen selbst um kontextspezifische Konstruktionen handelt (Bathelt und Glückler 2017), die vor allem auf die Geographie des Unternehmens (Dicken 1990) ausgerichtet sind und deshalb bei einer anderen Fokussierung, z. B. auf umweltökonomische, politisch-ökonomische und konsumorientierte Fragestellungen, eine Anpassung und Modifikation erfordern.

      3.1Bedürfnisse

      Dieses Kapitel diskutiert grundlegende Begriffe und Mechanismen des Wirtschaftsprozesses aus konventioneller ökonomischer, meist neoklassischer Perspektive. Es erfolgt eine systematische Betrachtung der Anreize und Motive des Menschen im ökonomischen Prozess. Anschließend werden die produzierten und gehandelten Güter sowie die Ressourcen und Faktoren, die zu deren Produktion erforderlich sind, dargestellt. Schließlich wird das Konzept des Markts diskutiert, über den ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage erwartet wird. Das Kapitel legt wichtige Grundlagen, die es in späteren Kapiteln ermöglichen, kritische und stärker differenzierte Debatten über Motive wirtschaftlichen Handelns (→ Kap. 7), die Organisation von Produktionsbeziehungen (→ Kap. 9) sowie Institutionen und Märkte (→ Kap. 8) aufzunehmen.

      Aus klassischer Sicht sind menschliche Bedürfnisse der Ausgangspunkt der Güterproduktion. In der Theorie menschlicher Motivation entwickelte Maslow (1954) basierend auf psychologischen Forschungen früh ein hierarchisches System von Bedürfnissen, das nach Dringlichkeit bzw. Bedürftigkeit differenziert und geordnet ist. Dieses System umfasst physiologische Grundbedürfnisse (basic needs), wie z. B. Essen, Trinken und Schlafen; Sicherheitsbedürfnisse (safety needs) die physische, materielle und berufliche Sicherheit betreffend; Liebesbedürfnisse (love needs); soziale Anerkennungsbedürfnisse (esteem needs), wie z. B. einen guten Ruf, Wertschätzung und Popularität; sowie schließlich das Bedürfnis zur Selbstverwirklichung (need for self-actualization), das jeden Menschen innerlich antreibt. Mit anderen Worten: „what a man can be, he must be“ (Maslow 1943, S. 382). Wenngleich diese Bedürfnisse hierarchisch dargestellt sind, wird betont, dass keine strenge hierarchische Folge empirisch haltbar ist. So hänge es von jedem Menschen selbst ab, ob er z. B. soziale Anerkennung über Liebesbedürfnisse stelle (Maslow 1943). Dabei können in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedürfnisstrukturen bestehen. So sind Kulturbedürfnisse abhängig vom Entwicklungsstand und der Technologie in einem Land. Insgesamt sind Bedürfnisstrukturen räumlich unterschiedlich ausgeprägt.

      Eine alternative Differenzierung menschlicher Bedürfnisse liegt den Arbeiten der sogenannten Münchener Schule der Sozialgeographie zugrunde (für eine kritische Würdigung vgl. Werlen 2000, Kap. 8). Im Kontext einer an die Erfordernisse der Bevölkerung angepassten Stadt- und Regionalplanung werden von der Münchener Schule sieben Daseinsgrundfunktionen unterschieden (z. B. Ruppert und Schaffer 1969; Partzsch 1970; Schaffer 1970): Jeder Bewohner verfolgt demnach die Grundfunktionen zu arbeiten, zu wohnen, sich zu versorgen, zu verkehren (im Sinne von mobil sein), sich zu bilden, sich zu erholen und schließlich in Gemeinschaft zu sein. Die Konsequenzen einer entsprechenden funktionalen Organisation der Siedlungsstruktur lassen sich beispielhaft verdeutlichen (→ Abb. 3.1). So beeinflusst der planerische Fokus auf grundlegende Bedürfnisstrukturen unmittelbar die langfristige Entwicklung der Stadtstrukturen. Wenn Kaufkraft vorhanden ist, werden die Bedürfnisse der Bewohner zu Bedarf und damit zu konkreter Nachfrage. Nachfrager sind neben den privaten Haushalten auch Unternehmen und staatliche Organisationen. Die Nachfrager entwickeln diesem Verständnis folgend Präferenzen für bestimmte Güter, die Ausdruck der subjektiven Bewertung dieser Güter im Hinblick auf die erwartete Bedürfnisbefriedigung sind. In der klassischen Nutzentheorie werden diese Präferenzen als gegeben und stabil angenommen (→ Kap. 8).

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      Abb. 3.1 Daseinsgrundfunktionen (nach Partzsch 1964, S. 10)

      Güter schaffen dadurch einen Nutzen, dass sie Bedürfnisse befriedigen. Unabhängig von der Art des Wirtschaftssystems lassen sich dabei verschiedene Arten von Gütern unterscheiden. Je nach Perspektive und Erkenntnisinteresse werden unterschiedliche Kriterien zur Unterscheidung von Gütern herangezogen. Zunächst lassen sich freie und knappe Güter unterscheiden. Freie Güter sind unbegrenzt verfügbar, während knappe Güter begrenzt sind. Da nur für letztere ein Preis gebildet wird, gelten sie als Wirtschaftsgüter. Diese wiederum können in materielle Sachgüter und immaterielle Güter wie z. B. Dienstleistungen unterteilt werden. Des Weiteren können Konsumgüter von Produktionsgütern unterschieden werden und schließlich lassen sich Investitionsgüter im Produktionsbereich (z. B. Maschinen und Anlagen) von Gebrauchsgütern im Konsumentenbereich (z. B. Möbel) und von Verbrauchsgütern unterscheiden (→ Abb. 3.2). Aus sozioökonomischer Perspektive lassen sich bei allen Ressourcen und Gütern drei grundlegende Fragen formulieren, die aufgrund unterschiedlicher technischer und sozialer Bedingungen bei der Nutzung zu einer Differenzierung zwischen Gütern mit unterschiedlichen Eigenschaften führen (Esser 2000 a): Wie erfolgt die Produktion der Güter? Wie werden sie an die Konsumenten verteilt (Allokation)? Welche Folgen entstehen aus Produktion und Konsum für andere Akteure (externe Effekte)?

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      Abb. 3.2 Arten von Gütern im Produktionssystem (nach Mühlbradt 2001)

      Güter lassen sich nach zwei grundlegenden Eigenschaften charakterisieren: Rivalität (Samuelson 1954) und Ausschließbarkeit (Musgrave und Peacock 1958). Demnach sind Güter durch eine rivalisierende Nutzung gekennzeichnet, wenn sie durch den Konsum eines Akteurs für alle anderen Akteure nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies lässt sich am Beispiel einer Zwischenmahlzeit verdeutlichen. So kann ein und dieselbe Zwischenmahlzeit nur einmal und von einer Person verspeist werden und entzieht sich daher der Konsummöglichkeit durch andere Personen. Nicht-rivalisierend sind Güter hingegen dann, wenn ihr Konsum durch mehrere Konsumenten in gleicher Form möglich ist bzw. niemand in seinem Konsum eines Guts durch den Konsum anderer beeinträchtigt wird (z. B. Besuch einer Theatervorführung durch viele Zuschauer). Das Ausschlussprinzip eines Gutes bezeichnet die Möglichkeit, den Konsum eines Gutes auf einen oder wenige Konsumenten zu beschränken. So kann der Konsum der Zwischenmahlzeit durch den Kauf (den Erwerb von Eigentumsrechten) gesichert werden. Auch der