Hans-Peter Vogt

Der Clan der Auserwählten


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ist sehr pragmatisch. Er muss auf dieser Erde Schritt für Schritt voran gehen. Jedes Erzwingen einer völlig neuen Situation bringt nur Unruhe und Gefahren, die er vielleicht nicht einschätzen kann. Dafür ist seine Position auf diesem Planeten noch viel zu schwach.

      Noch eins hat Artemis auf dieser Erde begriffen. Das Zeit-Raum-Kontinuum war auf seinem Heimatplaneten für das Volk der Cantara (rückwärts gewandt) ein Faktor, den man durch das historische Gedächtnis der Spezies leicht überwinden konnte. Hier auf der Erde funktioniert das nicht, da er auf das sehr unvollkommene, sehr selektive und kurzzeitige menschliche Gedächtnis zurückgreifen muss. Vielleicht wird er eines Tages lernen, auch auf diesem Planeten das Zeit-Raum-Kontinuum zu überwinden, etwa indem er das Gedächtnis von Bäumen oder Steinen benutzt. Noch scheint das nicht notwendig zu sein.

      Inzwischen hat Artemis auch mit dem Bekanntschaft gemacht, was die Menschen mit Philosophie bezeichnen. Es gibt da unterschiedliche Schulen, die sich gegeneinander abgrenzen. Manchmal in regelrechter Feindschaft. In seinem Land gab es nur eine hochintelligente Spezies, und nur eine Philosophie. Zumindest bis sich der Überfall der Xorx ereignete.

      In der zurückliegenden Zeit hatte das Volk der Cantara viele Wechsel miterlebt. Dürren, Kälteperioden, Vulkanausbrüche, Eiszeiten. Die Sonne ist ja kein statischer Klumpen, sondern ein hochexplosives Gemisch aus flüssigem Metall, Kristallen und Gasen, und sie beeinflusst ständig die umliegenden Planeten. Jede Sonneneruption kann das Leben auf den umherkreisenden Planeten beeinflussen, jede Sonnenimplosion kann eine Eiszeit hervorrufen, aber auch gewaltige Stürme, die einen Planeten sogar aus der Umlaufbahn werfen können. Auf diese Weise ist der Planet Cantara einmal aus seiner früheren Umlaufbahn geworfen worden, die damals viel näher an der Sonne lag.

      Damals war der Planet Cantara ein glühend heißer und unbewohnter Ball. Erst in seiner neuen Umlaufbahn entwickelte sich dort Leben. Andere Planeten wurden damals sogar in viel weitere Entfernungen von der Sonne gekickt, und sind heute Eisklumpen, auf denen nichts mehr wächst. Das ist jetzt viele hundertmillionen Jahre her, längst bevor das Volk der Cantara entstanden war.

      Würde das Leben auf Cantara durch natürliche Einflüsse wieder erlöschen, hätten die Cantara sogar die Möglichkeit, sich an Steine, Sand, Metalle oder Gase anzudocken, und könnten auf diese Weise noch sehr lange überleben.

      Es ist also nicht so, dass Veränderungen von den Cantara grundsätzlich als negativ empfunden werden. Veränderungen sind Erscheinungsformen, die überall im Weltall zu finden sind, und die sehr pragmatisch einem bestimmten Lebenszyklus und einem Zeitfenster unterliegen, der zwischen der Geburt und dem Erlöschen eines Sonnensystems angesiedelt ist. Forscht man weiter, so ist zu fragen, ob es nicht letztlich egal ist, dass die Veränderungen auf der Erde durch den Menschen geschehen, oder durch natürliche Einflüsse. Alle beide sind Per se Veränderungen. Im Universum hat diese Zeitspanne, die dem Menschen, oder auch dem Volk der Cantara gegönnt ist, ohnehin keine größere Bedeutung als eine Millionstel Millimeter auf einer Skala von hundert Kilometern, und wenn der Planet Erde durch das Eingreifen des Menschen versteppt, erlischt ja nicht automatisch das Leben. Es sterben nur viele tausend Arten, die einige Millionen Jahre später wieder in einer völlig neuen Form entstehen können. Für das Überleben der Cantara ist das bedeutungslos.

       Teil 3

       Leon und Chénoa

      Die Food Company, die Stiftung,

      die Philosophie des Clans,

      und die Konferenz der fünf Freunde

       Teil 3 Kapitel 1.

       Wittenberge an der Elbe. Der Boss und die Praktikantin.

       1.

      Leon del Sol ist jetzt 47. Er steht im Versuchslabor der Mac Best Food Corporation in Brandenburg und bespricht sich mit seinem Chefchemiker, den er seit nunmehr 13 Jahren mit seinem Nickname anredet, Dan. So lange arbeitete Dr. Daniel Koslowski schon für den Lebensmittelkonzern Mac Best.

      Die Mac Best Food Company ist ein multinationales Unternehmen mit über 130.000 Schnellrestaurants, 75.000 davon alleine in den USA. Leon und seine Freunde hatten das Unternehmen vor Jahren übernommen und den Namen einfach belassen, weil man einen Markennamen nicht ändert, ohne triftigen Grund. Der Name passt auch ganz zur Unternehmensphilosophie, beste Nahrung zu verkaufen. Es geht hier allerdings nicht um Sterneküche für Gourmets, beste Weinlagen und Jahrgänge, sondern um "Food for the World", um Essen für alle, um die Sicherstellung eines bezahlbaren, aber gleichwohl guten und gesunden Essens für möglichst viele Menschen auf der Welt. Mac Best bietet kein Junk Food, sondern eine ausgewogene Nahrungspalette aus ausgesuchten Anbaugebieten und mit dem Anspruch, möglichst großer Transparenz, dem Erhalt nachwachsender Energien und der wirtschaftlichen Produktion und Vermarktung. Damit ist Mc Best anders als alle anderen Restaurants, und anders als alle anderen Fast Food Ketten, oder die Hersteller von Massenware im Bereich von Fleisch, Gemüse oder Süßprodukten.

      Wegen der phonetischen Nähe zu Shakespear's Mc Beth werden immer mal Witzeleien gemacht, aber damit kann Leon gut leben, weil es im Endeffekt den Umsatz sogar steigert. Wohin geh'n wir heute? Zu Mac Beth... (Lacher). Nun ja. Nicht Jeder hat in seinem Leben einmal von Shakespears Dramen gehört, oder sie gar gelesen, aber solche Namensveränderungen machen schnell die Runde, vor allem dann, wenn solche Ableitungen bereits von Vorschulkindern verwendet werden, die das irgendwo aufgeschnappt haben, und dann spielerisch verändern: Mac Bean, Mac Salad, Mac Sausage, Mac Tomato-sauce, Mac Strawberry icecream, Mac Plumpudding... (Kicher kicher)...

      Die Kinder sind für Mac Best fast die wichtigste Zielgruppe. Wenn man die begeistern kann, dann kann man diese Verbraucher ein Leben lang an den Konzern binden. Natürlich verändert sich das Essverhalten im Laufe der Zeit. Die Kleinen wollen vor allem Fritten, Sauce, Burger, Würstchen, Eis, Säfte, gegrillte Marshmallows und Cola, bunt garniert und mit Sonnenschirmchen, Strohhalmen und auf Tabletts mit Kindermotiven. Mac Best hat eigene Kinderabteilungen eingerichtet, mit kleinen Tischen, innenliegender Rutsche, Bällen, Clowns, und Stühlen in Form von Treckern, Lastwagen, oder Dreirädchen. In einigen Restaurants gibt es eine Eisenbahn, die rund um das Lokal fährt, und eine Haltestelle direkt im Kinderparadies hat. So nennt sich das bei Mc Best. Von den Decken hängen lustige Lampions, die in allen Farben leuchten und blinken. Man kann diese Einrichtungsgegenstände für die heimischen Kinderzimmer sogar kaufen. Es gibt einen Online-Katalog, der voll ist mit bunten Bildchen. Es gibt darin sogar Tapeten, Kopfkissen, Bettbezüge, Puzzles, Brettspiele, Sammelbildchen, Sticker und verschiedene Baukästen. Es gibt Malpapier, Stifte, Schulranzen, Kinderbekleidung. Natürlich gibt es auch Artikel aus dem Food-Bereich. Nahrung in Dosen, Nahrung in Flaschen, Schokoriegel, Müsli, Chips. Die bestellten Artikel werden dann direkt mit dem Lieferwagen oder der Drohne nach Hause gebracht, und dieses Sortiment floriert, besonders in den USA, aber auch in China, Japan, Thailand, Australien und Europa. Das Programm ist ausbaufähig.

      Irgendwann hatte sich Leon an Weihnachten mal einen besonderen Werbegag einfallen lassen. Es gab ja schon lange Tomatenmark, Senf und Mayonnaise in Tuben. Er ließ jetzt Sahnekäse, Kräuterfrischkäse, Mischungen mit Leberwurst, Sardellen-, Paprika- oder Lachsgeschmack, aber auch Marmelade-, Erdbeer- oder Bananemischungen in Tuben abfüllen, und machte daraus einen Werbefilm. Man konnte mit den Tuben wunderbare bunte Bilder auf Brot oder auf Fleischstücke malen, und gut schmeckte das auch noch. Die Grafikabteilung entwickelte verschiedene Muster. So bekam man in den Restaurants jetzt Cracker, Schwarzbrot, Laugenbrezeln, Pizzatörtchen, aber auch Mürbegebäck, Blätterteigstückchen oder auch Apfeltörtchen mit leckeren Malereien, mal als Clown, mal als Fisch, mal als Smily. Je nach Wunsch süß, sauer oder salzig.

      Wer wollte, konnte das Ganze mit dem Löffel, dem Messer oder dem Finger verstreichen. Eines seiner Promoter Teams probte das an einem Kindergeburtstag in einem der Restaurants. Leons Tochter Eva war damals schon eine begnadete Videokünstlerin. Sie drehte, mischte den Ton ab, ließ Kommentare