können. In den Schulen der Schwarzen und der weißen Unterschicht war das am schlimmsten. Ohne Pommes, Chips, viel Salz, Paprikapulver und Curry geht da gar nichts. Erstaunlicherweise haben sie trotz dem Gematsche einzelne Gerichte mit gut oder schlecht bewertet. Wir haben also vor Ort die Gewürzmischungen direkt angepasst und wir haben jetzt ein repräsentatives Ergebnis. Die neuen Mischungen kommen überzeugend an. Viel einfacher ist das in den Vierteln der Chinesen und der Mexikaner. Die haben ihre traditionellen Gerichte und Gewohnheiten. Ich hab Ihnen schon alles auf den Computer geladen.“
Leon nickt. „Danke. Ist der Einkauf informiert? Können wir mit der Produktion beginnen?“
Auch Daniel nickt. „Jain. Mit dem Schaffleisch haben wir in Nordamerika ein paar Lieferprobleme. Wir haben deshalb auf Veggifleisch umgestellt und das abgeschmeckt. Ist vom Geschmack und der Konsistenz nicht voneinander zu unterscheiden.“ Er grinst. „Da haben wir gedacht, probieren wir das auch mal mit Huhn, Schwein und mit Steak. Kommen sie doch mal mit.“
Er führt ihn ins Nebenzimmer. Seine Assistentin holt gerade zwei Teller aus der Mikrowelle und schiebt zwei neue rein.
„Hier, kosten sie mal. Sagen Sie mir, was das für Fleisch ist.“
Leon wirft einen skeptischen Blick zu Dan. Irgendwas kommt ihm da komisch vor. Er kommt nur nicht gleich drauf. Er schaut die beiden Teller prüfend an. Er nimmt Gabel und Messer, schneidet das Fleisch an, besieht sich die Schnittstellen, er riecht und probiert. Sein feiner Gaumen merkt, dass Fleisch eben nicht gleich Fleisch ist, je nachdem, wo es herkommt, und wie es gegart und abgeschmeckt ist, aber letztlich erschmeckt er keinen gravierenden Unterschied, und er entscheidet sich, „ganz klar. Das ist Schaf.“
„Beides?“ Leon nickt. „Ja, sicher.“
Daniel grinst unmerklich. Die beiden anderen Teller sind gerade fertig. „Bitte probieren Sie das auch mal.“
„Naja, seh' ich doch, das ist gutes amerikanisches Steak. Wahrscheinlich von argentinischen Rindern. Daher beziehen wir doch unser Fleisch.“ Er schneidet die zwei Steaks an, probiert und legte das Besteck wieder hin. „Eindeutig Rind.“
„Bitte noch einen Test.“ Leon sieht Dan an, als wolle er sagen, was soll jetzt dieser Blödsinn?
Aber er probiert auch das dritte Fleisch. Es ist Huhn.
Daniel lacht breit und fast feixend. „Seh’n Sie Chef. Jeder denkt das. Selbst Sie mit Ihrem Gespür für Geschmack und Substanzen und Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung. Jetzt dreh'n sie die Teller mal nacheinander um.“
Leon macht das Spiel mit und liest: „Vegetarisch, Huhn, Vegetarisch, Rind, Vegetarisch, Schaf.“ Er sieht Daniel verblüfft an und Dan wartet gespannt auf das Urteil. „Hast du das ordentlich testen lassen?“ Daniel nickt. „Die Leiter hoch und runter. In Deutschland, den USA und in Südamerika. Niemand merkt einen Unterschied. Sehen sie sich die Fasern des Veggi-Steaks an. Man kann das Blut fast riechen. Halb durch ist das der Hammer. Unsere Testesser in den USA fanden das Veggi-Fleisch sogar noch zarter als das tierische Fleisch. Sie schworen, das sei von besten amerikanischen Rindern aus dem Mittelwesten.“
Leon nickt. "Das ist ja eine Meisterleistung, und die Kosten?“ Daniel kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen. „Liegen zu 80 Prozent unter dem Fleisch.“ Bei jedem Fertigmenü, das wir verkaufen, verdienen wir bei gleichem Preis jetzt das doppelte. Deine Tochter Chénoa Maria hat die Menüs in ihrer Fabrik in Ciudad del Sol schon ausprobiert und mehrere große Test-essen veranstaltet, jeweils auf den Gaumen der Süd- und Nordamerikaner abgeschmeckt. Sie waren begeistert.“
Er fährt fort, "ich muss Ihnen allerdings gestehen, dass wir Ihnen den Test nicht einfach gemacht haben. Wir haben inzwischen gelernt, tierische Fette und tierisches Eiweiß synthetisch herzustellen. Das haben wir Ihnen in dieser Probe beigemischt, um Ihren feinen Geschmackssinn zu überlisten. Normalerweise tun wir das nicht, aber das Geschmackserlebnis ist dasselbe."
Er erwähnt nicht, dass er die Proben einem befreundeten Chemiker zur Analyse gegeben hatte, und der hatte selbst mit seinen Untersuchungsmethoden Schwierigkeiten, den Fleischersatz zu erkennen. Er hatte diesen Trick auch mit Chénoa versucht, aber die hatte ihm gezeigt, dass er sie nicht überlisten kann. Sie hatte ihn nur verschmitzt angesehen, und gemeint, "das ist sehr gut. Wirklich täuschend echt. Ich bin mal gespannt, ob Vater den Unterschied bemerkt."
Leon sieht ihn an. Das war nicht abgesprochen gewesen, aber seine Tochter Chénoa Maria ist die Kronerbin des Unternehmens. Sie hat jede erdenkliche Freiheit und kann alleine entscheiden. „Seid ihr immer noch so?“ Er kreuzt die Finger. Daniel nickt. „Wir treffen uns immer noch, und wir gehen immer noch zusammen ins Bett. Ich glaube das wird nie aufhören, seit wir uns damals...“. Er spricht nicht weiter, Leon weiß ja Bescheid. Dann schwenkt er wieder zu ihrem ursprünglichen Thema zurück. "Also. Offiziell sagen wir Veggi-Fleisch dazu, denn da ist noch viel mehr drin als bei dem bisherigen Sojafleisch, das bei uns ja schon lange hergestellt wird. Manchmal Bambussprossen, manchmal Lauch und vor allem mehrere Pflanzen, die dein Sohn Nakoma mal zusammen mit Chénoa und seinen eigenen Kindern aus dem Urwald geholt hat. Sie sind in Südamerika schon 1500 Jahre vor Christus systematisch angebaut worden, und sie sind sehr nahrhaft. Wir wissen das inzwischen. Wichtigster Bestandteil unseres neuen Veggi-Fleisches ist die Faser eines Gehölzes, dessen Blätter essbar sind. Wir hüten dieses Wissen, wie unseren Augapfel, vor allem die Aufbereitung dieser Faser, die den typischen Biss von Fleisch garantiert. Bei eurer Ausgrabung der Königsstadt in Ciudad del Sol wurden Tontafeln gefunden, und die Forscher haben die Aufzeichnungen über den Anbau und die Lagerung dieser Pflanze entschlüsselt. Sie haben genaue Beschreibungen der Pflanze entdeckt, und auf einigen Tonkrügen gibt es sogar Bilder. Auch in den Mägen von mumifizierten Toten hat man solche Speisereste entdeckt. Sie sind damals auf Terrassen kultiviert worden. Man hat offenbar eine Art Brei, Fladenbrot und verschiedene Sorten von Gemüse und Fleischersatz daraus gemacht, die vor allem auf langen Reisen gut haltbar waren. Das bauen wir heute wieder an. Damals hießen diese Pflanzenprodukte wohl Huẽ-Chee'ze, was sehr frei übersetzt soviel bedeutet wie, der Müsli-Riegel der ausdauernden Krieger, hat deine Tochter gesagt. Dieser Riegel wurde damals wohl getrocknet und wurde auf Kriegszügen mitgeführt, wie Astronautennahrung, oder wie Superfood."
Daniel lächelt. "Die alten Peruche waren da schon erfinderisch. Wir verstehen nur nicht, warum dieses Wissen bei späteren Hochkulturen offenbar in Vergessenheit geraten ist. Die Inkas und die Maya haben diese Pflanze nicht mehr kultiviert. Naja, wer weiß, vielleicht hatte das kultische Gründe, vielleicht wurde das später sogar als böser Zauber verstanden. Deine Tochter Chénoa hat auch keine Erklärung für dieses Vergessen."
Leon staunt. "Ich kenn' natürlich das Projekt der Terrassenanbauten, aber ich hab' gedacht, dass dort überwiegend Mais, Bohnen und Kartoffeln angebaut werden. Ich weiß, dass diese Produkte, und noch ein paar andere, wie z.B. Kürbisse und verschiedene Nüsse, an unsere südamerikanischen Werke verkauft werden. Die Organisation hab' ich aber immer meiner Tochter überlassen. Sie hat da unten ja die Federführung."
Daniel nickt. "Ist aber so. Natürlich gibt's auch Kartoffeln, Mais und Kürbisse, und noch ein paar andere Dinge, wie Bohnen, Physalis und diverse Knollen, die wir schon seit ein paar Jahren in unsere südamerikanischen Menüs einbauen. Das ist kein Geheimnis. Zunächst haben wir das Huẽ-Chee'ze auch nur zu Versuchszwecken angebaut. Inzwischen haben wir regelmäßige Ernten, weil das schnellwachsende Büsche sind, mit Früchten, die relativ einfach geerntet werden können, und die auch essbar sind. Sehr aromatisch übrigens. Sehr saftig. All diese Pflanzen sind genau genommen die Basis unserer neuen Produkte. Wir müssen den Mitbewerbern nur nicht auf's Brot schmieren, was wir da machen, und wie wir das genau machen." Er grinst. "Technologischer Fortschritt entscheidet darüber, ob ein Unternehmen die Führung im globalen Kräfteverhältnis übernehmen und auch behalten kann, oder nicht. Jedenfalls ist das in unserem Bereich ziemlich sicher."
Er ergänzt: "Außerdem gibt es da noch einen Urwaldriesen, 50-70m hoch. Der hat Hülsenfrüchte, ähnlich wie Stangenbohnen. Sehr nahrhaft. Die Affen und die Vögel lieben das. Da wissen wir nur nicht, wie wir den auf Terrassen züchten sollen, und für die Ernte bräuchte man eine enorme Manpower, das wäre völlig unwirtschaftlich.