bessere Erfahrungen haben wir mit Stevia gemacht. Einer Pflanze, die im Urwald von Paraquai und Brasilien gedeiht, und die schon früher bei den Indios als Süßstoff verwendet wurde. Sie wird dort als ka'a he'ẽ bezeichnet. Wir verwenden sie schon seit längerem als Zuckerersatz. Ist viel gesünder als Rohrzucker oder der Zucker aus der Zuckerrübe."
Leon nickt. Das weiß er.
Daniel schließt seinen Vortrag: "Ohne deine Tochter und ohne deinen Sohn Nakoma hätten wir das meiste nicht hingekriegt, und die Kinder von Nakoma sind im Entdecken und Analysieren von pflanzlichen Kulturen und Substanzen mindestens so genial wie ihr Vater. Deine Enkelin Ana Théla ist eine dieser Genies. Sie hat in den letzten Jahren viele Pflanzen aufgespürt, die wir schon als verloren geglaubt haben, obwohl wir aus frühen Aufzeichnungen der Indios wissen, dass es sie einmal gegeben hat. Ana Théla ist heute erst 18, da wird noch einiges auf uns zukommen. Mein Labor war nur für die Herstellung einiger weniger Zusatzstoffe, wie Bindemittel, Farbe und Geschmack verantwortlich, und naja, auch die Aufbereitung der Faser und die Mixtur, also die endgültige Zusammensetzung unseres neuen Veggi-Fleisches und unserer Gemüsepfannen, und auch des Geheimnisses, warum das Veggi-Fleisch einmal nach Huhn, zum andern nach Rind usw. schmeckt. Und schließlich mussten wir garantieren, dass das vermeintliche Blut im Rindfleisch beim Durchgaren seine Farbe verändert, fest wird, und nicht mehr aus dem Fleisch herausfließt, anders als bei "rar" oder "medium rar". Man darf unsere eigene Leistung nicht kleinreden."
Er fährt fort, "deine Tochter und Nakoma haben ursprünglich nur die langfristig gesicherte Ernährung der südamerika-nischen Indios im Auge gehabt, aber das hat sich schnell verselbständigt. Naja, Sie haben das Terrain schon lange ihrer Tochter überlassen, aber Sie haben das Projekt seinerzeit ja angeregt. Wenn alles klappt, können wir daraus in Zukunft flächendeckend auch weitere Gemüsesorten und Frühstücksflocken anbieten, aber dann brauchen wir noch viel mehr Anbauflächen. Vorerst haben wir dafür noch nicht die Kapazitäten. Ganz im Gegenteil. Es gibt noch Lieferprobleme für das Veggi-Fleisch. Die weltweite Produktion können wir damit noch lange nicht abdecken, nicht mal die Produktion für Nordamerika. Also haben wir uns entschieden, zunächst nur das Schaffleisch für den US Markt vegetarisch herzustellen, und später Steak, Huhn und Truthahn nachzuschieben. Leider. Darum kümmert sich Chénoa Maria, und ich hoffe, dass sie uns in den nächsten 2-5 Jahren grünes Licht gibt. Dann revolutionieren wir den Markt." Er lacht unwillkürlich laut auf. "Das wird der Kracher."
Leon ist zwar ständig mit seiner Tochter vernetzt, aber sie hatte es verstanden, das selbst vor ihm geheim zu halten. Er staunt, denn ihm entgeht in seiner Firma fast nichts, aber er fasst sich schnell. „Da hat meine Tochter wohl einen Alleingang hingezaubert." Er sieht, wie Daniel grinst, dann ergänzt Leon in einer seiner typischen schnellen Entscheidungen: "Gut. Wenn die Produktion gesichert ist, wenn das Produkt biologisch sauber ist, und wenn meine Tochter ihr OK gegeben hat, dann bin auch ich einverstanden, aber du gibst mir die Daten jetzt komplett und wie immer offline auf den Rechner. Deine übrigen Vorschläge habe ich gelesen. Mir geht's zunächst nur um die neue US-Linie. Lass uns die Produktion in Mexiko anschieben. Die Kalkulation wird noch mal durchgerechnet, aber das scheint bisher alles in Ordnung. Chénoa wird das federführend übernehmen. Wenn sie uns das eingebrockt hat, soll sie auch die Verantwortung dafür übernehmen."
Er lächelt verschmitzt, "gegen den Mehrprofit aus der Marge des vegetarischen Schaffleischs hab ich nichts. Die Marge müssen wir auch nicht an den Verbraucher weitergeben, solange darüber nicht öffentlich spekuliert wird. Lass uns also in den großen Städten im Norden beginnen, in New York, Chikago und den anderen Metropolen, dann gehen wir in den Osten, dann in den Westen und schließlich nach Florida und den Süden der USA. Die Einzelheiten sind ja abgesprochen. Die Tonnagen sind ungefähr bekannt. Begleite die ersten Lieferungen mit weiteren Tests. Es kann ja sein, dass die Chicago Kids einen anderen Gaumen haben, als die New Yorker, oder die Leute in LA. Um den rechtlichen Rahmen zu gewährleisten, werden wir das Schaffleisch im Kleingedruckten aber als rein pflanzliches Fleisch deklarieren. Vielleicht ergibt sich daraus im nächsten Schritt sogar ein sehr gutes Verkaufsargument, aber nicht gleich, und vor allem nicht bei den Fleisch-Fexen in den USA.“
Daniel nickt. "Haben wir schon eingeplant. Deine Tochter hat vorgeschlagen, das Fleisch zunächst nur für Europa und Asien auf dem Label deutlich als vegetarisch zu kennzeichnen, sonst nur im Kleingedruckten, sobald sie liefern kann. Wir haben auch Ihre Briefings aufmerksam gelesen. Vielleicht kriegen wir ja sogar mal ein Gütesiegel für unser Produkt, das wäre für uns wie ein Adelstitel." Er grinst breit. "Vorerst sollten wir das nicht an die große Glocke hängen, meint Chénoa Maria.“
Die Tür geht auf und Leons Assistentin kommt rein. „Telefon Chef, Ihre Enkelin.“ Sie gibt ihm ein kabelloses Telefon. Leon hat zwar sein eigenes Smartphone und er ist generell darüber erreichbar, aber zu wichtigen Meetings schaltet er dieses Ding immer aus, und auch dann, wenn er nicht geortet werden will. Mit diesen Geräten bist du durchsichtig geworden, wie Glas. Leon ist nicht technikfeindlich, das kann er sich in seinem Job auch nicht leisten, aber er war in einer Zeit groß geworden, wo die Face-to-Face-Relations noch nicht durch die ständige Abrufbarkeit durch Smartphones gestört wurden. Diese Technik ist wirklich gefährlich. Jede Reiseroute, jedes Gespräch, jeder Internetkontakt und jedes SMS kann durch Dritte minutiös nachverfolgt werden, wenn man dieses Ding hackt. Darauf kann Leon in seinem Job wirklich verzichten, und er hat auch Anweisung an seine engsten Mitarbeiter gegeben, den Gebrauch rigoros einzuschränken. Mit seinen Kindern kommuniziert er in wichtigen Angelegenheiten nur noch drahtlos über seinen Energiestrom, der für niemanden sonst sichtbar ist, als für seine leibliche Familie.
„Ja?“, sagt Leon, und dann, mit einem schnellen Seitenblick zu Daniel, „oh, Ana Théla, schön, dich zu hören. Ja, ich hab Zeit für dich. Du willst nach Deutschland kommen? Ob du bei mir wohnen kannst? Ja, wo? Berlin oder Sachsen-Anhalt? Sachsen-Anhalt? Na sicher. Weißt du, wie du herkommst? Chénoa bringt dich? Heute Abend schon? Ja klar. Kommt her, ich freu' mich.“
„Wenn man vom Teufel spricht“, lacht er Daniel an. „Dann kannst du deine deutschen Freundinnen gleich mal aus deinem Bett werfen. Chénoa Maria kommt nachher mit meiner Enkelin, und ich kann mit meiner Tochter und Anna Théla mal direkt über diese Neuigkeiten sprechen.“
Auch Daniel lacht. „Müssen sie wohl geahnt haben, dass wir von ihnen reden. Sie haben ja immer solche besonderen Antennen.“
3.
Leon hat auf dem Werksgelände eine komfortable Wohnung. Für ihn ist das praktisch. Das erlaubt kürzeste Wege, und die Wohnung steht unter dem Schutz seiner Wachleute. Er kann von hier aus ungesehen in die USA, nach Frankreich oder Südamerika springen, wo er gerade gebraucht wird. Kein Flieger, kein Einreisevisum, keine Aufenthaltsbescheinigung, keine Warteschlange und auch keine Flugverspätung. Seine geheime Kraft, den Raum zu überwinden, macht ihm das möglich. Das ist eines der Geheimnisse des Erfolges von Mac Best Food. Das und die geheime Rezeptur, die Daniel damals erfunden hatte. Sie wird all den Tiefkühlgerichten und den Soßen beigemischt, ob in Europa, den USA oder in Südamerika. Sie war es, die seine Burgerkette auf Platz eins aller Schnellimbiss- und Restaurantketten weltweit hochkatapultiert hatte. Das, ein geschicktes Management und ein paar gute Freunde seiner Tochter, die ihm damals das Geld vorgeschossen hatten, um die amerikanische Burgerkette zu übernehmen. Das ist jetzt zwölf Jahre her.
Als Leon an diesem Abend in seine Wohnung kommt, wird er von Bratengeruch empfangen.
Seine älteste Tochter Chénoa Maria und Ana Théla sind schon da. Er hört sie in der Küche lachen. Er stellt die Tasche mit den Unterlagen ab, die er heute noch prüfen will, und schaltet das Smartphone aus, das ihn jetzt nur stören würde. Dann geht er in die Küche.
„Oh Opa“, wird er begrüßt. „Schön, dass du kommst. Wir haben Hammelfleisch und Reis mit Gemüse und Salat. Das isst du doch?“
„Opa, Opa“, beschwert sich Leon. „Mach mich nicht älter, als ich bin. Du weißt, dass du mich nicht so nennen sollst.“
„Ach Opa“, meint Ana Théla und fällt ihm um den Hals.
Leon hält sie auf Armeslänge von sich. Er hat Ana Théla schon länger nicht