meiner Tochter, und ich bin in dieser Sache leider auch sehr unzureichend informiert worden.“
„Papa“, beschwichtigt Chénoa. „Bitte nicht böse sein. Ana Théla und ihre Geschwister waren an dieser Sache schon seit mehreren Jahren dran, immer ohne einen durchschlagenden Erfolg. Sie waren damals noch sehr jung und naiv. Nakoma hat sie einfach machen lassen, aber er hat sie in dieser Angelegenheit nicht wirklich begleitet und gefördert. Er hat genug am Hals. Deshalb habe ich mich eingemischt. Jetzt haben wir endlich ein befriedigendes Ergebnis. Aber es gibt da noch ein paar Dinge, die wir besprechen müssen. Irgendwann in den nächsten Tagen, in Berlin, zusammen mit Mama, Roy und Spek. Das soll dir Ana Théla nachher erzählen. Ich ziehe mich zurück und besuche jetzt Daniel. Morgen bin ich in Berlin. Abends bin ich wieder hier. Ich will Daniel ein paar Nächte lang genießen.“
4.
Chénoa ruft kurz bei Daniel an. „Jaja, er erwartet sie sehnsüchtig.“
Sie kennt Daniel nun schon seit ihrer Zeit in Berlin. In jungen Jahren war sie zwei Jahre in Charlottenburg zur Schule gegangen. Seit damals hat sie ein lockeres Verhältnis mit Daniel. Er war ihr verfallen, aber er hatte begriffen, dass er sie nie ganz besitzen würde, und er hatte sich arrangiert. Sie gehen weiter zusammen ins Bett, immer wenn sie sich sehen. Mal auf Reisen, mal in Südamerika, mal in Deutschland. Sie weiß, dass Daniel hier einige Freundinnen hat, aber wenn Chénoa da ist, schmeißt er alle raus. Die räumliche Trennung ist natürlich groß, und so geht jeder seine eigenen Wege. Wenn sie sich zufällig treffen, so wie jetzt, oder wenn sie sich verabreden, dann gibt es jedes Mal ein Fest der Liebe. Eine Heirat mit einer anderen Frau hat Daniel stets abgelehnt. Er hat als Chefchemiker genug zu tun, sieht gut aus, verdient gut, und kann sich seine Freundinnen aussuchen. Inzwischen hat Chénoa ihm auch einen Teil ihrer Kraft zur Verfügung gestellt. Die Gefahr, dass er blind in irgendeine Liebesfalle tappen wird, nur um ihn und seine geheimen Rezepte auszuspähen, ist äußerst gering. Dafür hat Chénoa gesorgt.
Daniel hat schon gehört, dass Chénoa von einem anderen Mann schwanger ist. Für ihn ändert sich dadurch nichts, und er ist in dieser Nacht sehr vorsichtig. Er befühlt ihren Bauch. Er fragt, ob er ihr nicht wehtut, wenn ..., „nein, nein“, meint Chénoa, „ich brauche dich. Du glaubst nicht, was so eine Schwangerschaft an sexuellen Gelüsten entstehen lässt.“
Es ist nicht sein Kind, aber das ist ihm völlig egal. Er liebt diese Frau.
„Ach“, meint Chénoa später in der Nacht. „Da ist noch etwas. Du bekommst morgen eine Praktikantin. Ja, du denkst dir schon, wer das ist? Du denkst richtig. Meine Nichte Ana Théla. Sie wird bei Papa wohnen. Wenn du sie anrührst, dreh ich dir den Hals um. Haben wir uns verstanden?" Er weiß schon, dass dies nicht wörtlich zu verstehen ist, aber Daniel hat keine Ambitionen auf einen Streit mit Chénoa.
5.
Während Chénoa und Daniel sich in ihre Liebe stürzen, flötzt sich Leon mit Ana Théla in die bequeme Couchgarnitur.
„Lass uns ein bisschen erzählen.“
Sie stellen das Radio leise, das Leon zur Sicherheit regelmäßig auf eventuelle Wanzen untersuchen läßt, und Ana Théla beginnt:
"Du weißt, dass man deiner Tochter nicht einfach in den Kopf sehen kann, wenn sie das nicht will. Auch Paco und ich können einen solchen Schutzring um uns legen. Wir haben uns bei einigen Projekten völlig abgeschottet, um das Wissen um bestimmte Vorgänge selbst vor der Familie zu verheimlichen. Deshalb will ich einfach mal erzählen, um dich auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn dir einige Einzelheiten schon bekannt sind, macht das nichts. Es geht um das große Ganze, und deshalb hole ich ein wenig aus."
Leon nickt. Das zeichnet diese Kinder als zukünftige Führer des Clans aus. Er selbst hat auch diverse Geheimnisse, die er für sich behalten will. Nur vor Chénoa kann er nichts verbergen. Sie kann ihm in den Kopf kriechen, wann und wie oft sie will. Niemand kann das so gut wie Chénoa.
Ana Thela fährt fort, "Papa hat mich zum ersten Mal mit in den Urwald genommen, da war ich fünf. Wir haben uns in Adler verwandelt und sind den ganzen Weg bis ins Amazonasgebiet geflogen. Papa wollte mir den Regenwald aus der Luft zeigen. Dort wo wir geflogen sind, war der noch intakt. Ein unendliches Meer aus Grün. Manchmal verborgen unter dichten Regenwolken. Schließlich sind wir an einem See gelandet. Da hatte Papa schon lange ein Baumhaus, das wir erst wieder in Schuss bringen mussten, weil solche Häuser im Urwald wenig Überlebenschance besitzen, wenn man sie nicht ständig pflegt. Dann ist Papa mit mir zurückgesprungen, hat eine große Tasche mit Flaschen, Mörsern, Tiegeln und Töpfen gepackt und ist mit mir wieder zu diesem See gesprungen. Papa hat mit mir Blätter, Wurzeln, Rinde und Früchte gepflückt. Wir haben Ameisen, Kröten und Giftschlangen gemolken. Wir haben Beeren entsaftet. Wir haben Bäume angeritzt, und den Lebenssaft aufgefangen. Wir haben alles beschriftet, in unsere Gefäße gepackt, und sind wieder nach Hause gesprungen. Dort haben wir alle diese Dinge noch einmal aufbereitet, und verfeinert, und Papa hat mir gezeigt, wie er Medizin daraus macht. Seit dieser Zeit war ich noch oft in unserem Baumhaus."
Leon nickt, Ana Théla seufzt. "Es war eine glückliche Zeit. Manchmal sind wir zu dritt oder zu viert geflogen. Papa wollte uns diesen Urwald von oben zeigen, so wie ihn die Adler sehen. Später sind wir auch in andere Gebiete vorgedrungen, und da habe ich zum ersten Mal diese gewaltigen Brände gesehen, die entstehen, wenn der Regenwald angezündet wird. Ich habe diese Plantagen gesehen. Mais, Raps, Hanf, und anderes, auch die illegale Abholzung, die Goldgräberei und die Suche nach Öl und anderen Bodenschätzen.
Das Saatgut ist importiert. Es gehört nicht hierher. Es ist genmanipuliert. Es verdrängt andere Pflanzen. Zum Auswaschen von Gold wird Quecksilber genutzt. Das verseucht die Böden und lässt die Tiere sterben. Ich habe die gewaltigen Bewässerungsanlagen der Plantagen geseh'n und ich habe geseh'n, wie ganze LKW-Ladungen abtransportiert worden sind. Nach drei Jahren sind die Böden ausgelaugt. Manchmal bleiben riesige Krater zurück. Die Reste von fruchtbaren Böden sind von dem ständigen Regen weggewaschen, und zurück bleiben faulende und stinkende Flächen, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wär' ja alles nicht so schlimm, wenn der Urwald wieder zuwachsen würde. Tut er aber nicht. Die fruchtbare Erde ist mit dem Amazonas ins Meer geflossen. Ohne Humus kein Wachstum. Die Reste von Wurzeln faulen. Es entstehen Microorganismen und Algen, die in großen Mengen Methangas, Lachgas und Stickoxide freisetzen. Die Faulgase steigen in die Luft. In diesen Gebieten gibt es kein Leben mehr. Keine Falter, keine Vögel, keine Säugetiere. Nichts. Es sind Todeszonen."
Sie seufzt, "die Männer der Patrones sind längst weitergezogen und die nächsten Flächen sind in Flammen aufgegangen, nur um nach drei Jahren wieder verlassen zu werden. Man macht sich oftmals nicht mal die Mühe, die Bäume zu roden, und das Holz zu verwenden, denn das kostet Zeit, und die Barone haben bei solch kurzen Anbauzyklen keine Zeit zu verschwenden, weil sie mit Raps und Mais viel mehr verdienen als mit Holz. Bei den Bränden kommen auch alle Tiere um, die dort leben, und alle die wertvollen Pflanzen werden ausgerottet, die wir für unsere Medizin brauchen. Seit das Rapsöl gewonnen wird, um als Benzinzusatz zu dienen, haben sie in großem Stil den Wald verbrannt. Die Nachfrage hat die Preise in die Höhe getrieben. Das war ein lohnendes Geschäft. Inzwischen sind das Flächen, zehn mal so groß, wie Deutschland. Du weist selbst, wieviele Millionen Tonnen Gas das jährlich sind."
Sie schweigt betreten und traurig. Dann fährt sie fort, "der Urwald ist zwar nur sehr dünn besiedelt, aber natürlich leben dort Menschen. Diese Großgrundbesitzer haben die Indios am Amazonas vertrieben, zwangsumgesiedelt, oder mit Stromerzeugern, Farbfernsehern und befristeten Arbeitsverträgen bestochen. Die Armut in diesen Gebieten ist traditionell groß, das spielt den Bossen in die Hände. Wer sich nicht freiwillig untergeordnet hat, der wurde Opfer der schwarzen Garden, dieser brutalen Geheimkommandos. Männer und Kinder wurden einfach ermordet. Die Frauen sind vergewaltigt, und dann zu Liebesdiensten gezwungen worden. Überall gibt es solche Bordelle für die Erntearbeiter und LKW-Fahrer. Die Natur wurde rücksichtslos ausgeplündert. Wir Indianer und Mestizen wissen das seit Jahren. Die Geschichten werden von Mund zu Mund weitergetragen.“
Sie schüttelt wütend den Kopf. "Der Sauerstoffgehalt verringert sich weltweit dramatisch, und das Ozonloch ist inzwischen gigantisch