bzw. post-koloniale Lektüre der Bibel und eine feministische Befreiungstheologie. Frauen kämpften schon früh gemeinsam für Frieden und Versöhnung, Ökologie und gerechte Lebensbedingungen, wie z. B. die Geschichte des Weltgebetstags beweist. Und doch: trotz aller Anstrengungen konnten viele Ziele bis heute nicht erreicht werden. Das theologische Denksystem und die Organisation gerade der katholischen Kirche sind nach wie vor zutiefst patriarchal und androzentrisch, Frauen sind von vielen Entscheidungen ausgeschlossen, weltweit erfahren Frauen und trans Menschen auch in der Kirche spirituellen und sexuellen Missbrauch, Gewalt und Unterdrückung.
In der deutschen Kirche wurde die Wichtigkeit der Frauenfrage mittlerweile von den kirchlich Verantwortlichen anerkannt. Der Synodale Weg hat neben den drei inhaltlichen Foren zu den Themen Macht, Sexualität und Priester noch ein viertes Forum ins Leben gerufen, das sich mit „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ beschäftigt. „Die Thematik Frau in der Kirche ist die dringendste Zukunftsfrage“, formulierte am 4. März 2020 der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing. Weiter sagte er: „Wir werden nicht mehr warten können, dass Frauen zu gleichen Rechten kommen“ (Interview im ARD-Morgenmagazin, 4.3.2020). Doch die Beharrungskräfte sind enorm. Forderungen nach echter Partizipation, Gleichberechtigung und einem Zugang von Frauen zu allen Diensten und Ämtern der Kirche werden von den Gegner*innen der Reformprozesse zurückgewiesen, häufig mit dem Argument ‚Weltkirche‘: Man müsse stets die Einheit der ‚Weltkirche‘ im Blick haben und diesbezüglich wären Veränderungswünsche aus einzelnen Regionen eher kontraproduktiv. Dass dieses Argument im Blick auf Frauen und Menschenrechte in der katholischen Kirche nicht verfängt, zeigt das vorliegende Buch.
„The problem with gender is that it describes how we should be rather than recognizing how we are. Imagine how much happier we would be, how much freer to be our true individual selves, if we didn’t have the weight of gender expectations.“
(Chimamanda Ngozi Adichie, We Should All be Feminists, TED Talk 2012)
Die Frage nach Frauen in der Kirche, nach Gender Issues und Geschlechtergerechtigkeit ist keine des 20. oder 21. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Seit jeher sind Frauen mit Ausgrenzung, Ausbeutung und geschlechterspezifischer Gewalt konfrontiert, und ebenso lang kämpfen sie dagegen. Sie tun es in ihren jeweiligen Ländern und Kulturen, in ihren Religionen und Kirchen, auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichem Erfolg. Die Geschlechterhierarchien können historisch von der Antike bis in die Moderne nachgezeichnet werden. Vorstellungen darüber, was Frauen „dürfen“, wie Frauen „sind“ und wie sie zu sein haben, ihr Ausschluss vom öffentlichen Leben, von Bildung und Entscheidungsprozessen sind in patriarchale Ordnungen und Strukturen eingebettet. Insbesondere wissenschaftliche und religiöse Systeme waren (und sind großteils immer noch) männliche Herrschaftsbereiche, die Geschlechtervorstellungen normativ beschreiben, ideologisch begründen und praktisch durchsetzen. Blickt man in die Kirchengeschichte, findet man zahllose Beispiele von Frauen, die an den Grenzen, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts vorgegeben worden waren, gescheitert sind, die daran gelitten haben, die sich dagegen – offen oder subversiv – aufgelehnt haben, aber auch nicht wenige, die die Grenzen verschieben konnten. Blickt man auf theologische Überlieferungsprozesse, findet man epistemische Grenzen mit enormen kulturellen Konsequenzen. Viele Frauen wurden von der Tradition verunsichtbart. Aus der frühen Zeit des Christentums und der Antike sind etliche solcher Verunsichtbarungen erforscht, besonders bekannt ist der Gender Shift der weiblichen Junia zum männlichen Junias (Röm 16,7). Die Forschung hat in den letzten Jahren zunehmend Traditionen und Texte über die Rolle von Frauen in der frühen Kirche beleuchtet, darunter Diakoninnen, Presbyterinnen oder Bischöfinnen (vgl. Taylor Joan E./Ramelli, llaria L. E. (Hg.), Patterns of Women’s Leadership in Early Christianity, Oxford 2021). Auch wenn hier noch viel Forschungsbedarf besteht, kann im Wissen um diese Forschungen nicht mit eindeutiger Sicherheit behauptet werden, dass es in der Tradition der Kirche keine Frauen in liturgischen und Leitungsämtern gegeben habe – und es sollte nicht mit Verweis auf eine vermeintliche ‚ununterbrochene kirchliche Tradition‘ den Frauen der gleichberechtigte Zugang zu Ämtern heute verweigert werden. Es wird damit über die historischen Erkenntnisse hinaus eine theologische Tradition offengelegt, die mit männlicher Deutungshoheit weibliche Spuren getilgt hat und damit in ihren Tiefen geschlechterungerecht agiert.
Jede soziale und kulturelle Praxis hängt eng mit ihrer ideologischen Grundlegung zusammen, und die Bedeutung des Geschlechts unterliegt immer auch seiner sozialen Deutung. Im Fall der christlichen Kirchen ist dies die anthropologische Lehre über „die Frau“ – selbstredend von Männern geschrieben. Die auf Aristoteles zurückgehende Formulierung von Thomas von Aquin, die Frau sei ein „mas occasionatus“, also ein missglückter oder verhinderter Mann, schreibt den Frauen intellektuelle und körperliche Defizite zu, aus der ihre kulturelle Rolle geschlussfolgert (und mit der Bibel hinterlegt) wird: dem Mann zu dienen, ihm Kinder zu gebären und ihm unterlegen zu sein. Später, im 18. und 19. Jahrhundert, werden aus den Defiziten der Frau – immer noch im dualen Gegensatz zum Mann – weibliche Tugenden. Das weibliche ‚Wesen‘ wird ontologisch geformt, die ideale Frau ist nun in ihrem ‚Sein‘ vor allem häuslich, zärtlich, mütterlich, emotional unterstützend, hingebungsvoll und aufopfernd. Im politischen und gesellschaftlichen Bereich erstreiten sich viele Frauen im 19. und 20. Jahrhunderten erfolgreich Freiheiten, angefangen von Wahlrecht und Bildungsmöglichkeiten hin zu reproduktiven Rechten und gesellschaftlicher Gleichberechtigung. Säkulare Gesetzestexte benennen in vielen Teilen der Welt die Gleichberechtigung der Geschlechter als ihre Grundlagen (auch wenn die Umsetzung nach wie vor nicht vollends eingeholt ist und die Benachteiligungen durch Rassismus oder Klassismus intersektional potenziert werden). Während also in vielen Gesellschaften Frauenrechte erkämpft werden, wird in kirchlichen lehramtlichen Texten der wesensgemäße Unterschied von Mann und Frau in dieser Zeit vertieft. Von Familiaris consortio (1981), Mulieris dignitatem (1988) über das Schreiben über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt (2004) bis zu Amoris laetitia (2016) wird klar gemacht: weil Männer und Frauen wesentlich anders sind, wird es in der Kirche keine Gleichberechtigung geben. Die Texte betonen, dass Frauen, die nicht so handeln und sein wollen, wie es ihnen und ihrem „weiblichen Genius“ (AL 172) vom Lehramt zugeschrieben wird, entgegen der Schöpfungsordnung und damit entgegen dem göttlichen Willen agieren. Das wahre Wesen der Frau sei die „Verwirklichung der Mutterschaft“ (Zusammenarbeit von Mann und Frau 13), und ihre „speziell fraulichen Fähigkeiten (…) erteilen ihr zugleich Pflichten“ (AL 172). Die Frau sei in einer natürlichen Ordnung der Geschlechter diejenige, die soziale Güter, ja das Leben zum Nutzen der anderen gibt, sie sei komplementär hingeordnet zu Männern, die in der Tradition des Petrus ihre „männliche Wesensart“ (AL 55) durch aktive Organisation und Leitung z. B. der Kirche verwirklichten. Die lehramtlichen Schreiben idealisieren und wertschätzen ausdrücklich ‚die Frau‘ und ihr ‚Wesen‘. Doch diese vermeintliche Anerkennung hat eine dunkle – und gewalttätig misogyne – Seite. Sie verhindert nicht nur die gleichberechtigte Partizipation von Frauen an den Diensten und Ämtern der Kirche, sondern hat prekäre Auswirkungen auf das ganz konkrete Leben von Frauen, besonders in Ländern, in denen die kulturellen Bedingungen der Gesellschaft auf einem ‚Geschlechtervertrag‘ beruhen, der besagt, dass Frauen bestimmte Bereiche und Verhaltensweisen, v. a. in der Familie, zugewiesen werden, während Männer das öffentliche und wirtschaftliche Leben bestimmen.
Und genau hier liegt eine Gefahr, auf die viele der in diesem Buch versammelten Texte hinweisen: die ideologische Überhöhung der Frau und ihre idealisierenden Rollenbeschreibungen und -erwartungen hängen eng mit einer männlich codierten Anspruchshaltung in konkreten kulturellen bzw. sozialen Kontexten zusammen. Denn von Frauen wird erwartet, dass sie sich so verhalten, wie es ihr ‚mütterliches Wesen‘ von ihnen verlangt. Tun sie es nicht, müssen sie mit Sanktionen und negativen Reaktionen für ihr weibliches ‚Fehlverhalten‘ rechnen. Die Gewaltforschung zeigt, dass Gewalt gegen Frauen durch die Täter häufig als ‚Strafe‘ für ein ‚normwidriges‘ Verhalten der Frauen legitimiert wird. Frauen als zärtlich Gebende und fürsorglich Umhegende zu idealisieren verhindert nicht die misogyne Gewalt gegen Frauen – im Gegenteil. Viele der Texte in diesem Buch, u. a. von Ordensfrauen, berichten auch davon. Die Idealisierung von Frauen, ihre geschlechtsbezogene, eindeutig binäre moralische und soziale Festlegung ist im täglichen