Wolfram Scheffler

Besteuerung von Unternehmen I


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      Aufgrund der Optionsabhängigkeit des Steuerrechts kann der Steuerpflichtige die Höhe der Steuerschuld zum Teil selbst beeinflussen. Dabei ist zwischen Wahlrechten innerhalb des Rechnungswesens und Wahlrechten außerhalb des Rechnungswesens zu differenzieren:

Wahlrechte innerhalb des Rechnungswesens (rechnungslegungspolitische Wahlrechte) sind Optionen, die sich auf die Bemessungsgrundlage auswirken. Sie finden sich insbesondere bei der steuerlichen Gewinnermittlung mithilfe der Steuerbilanz. Bedeutsame Beispiele für rechnungslegungspolitische Wahlrechte bilden die Wahl der Methode zur Berechnung der Abschreibungen von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die Entscheidung über die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen, erhöhten Absetzungen oder von Bewertungsabschlägen, die Inanspruchnahme von Bewertungsvereinfachungen, die Passivierung von steuerfreien Rücklagen oder die Verrechnung eines Investitionsabzugsbetrags. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist das im Umwandlungssteuergesetz beim Wechsel der Rechtsform eines Unternehmens im Regelfall gewährte Wahlrecht, die bisherigen Buchwerte fortzuführen oder die stillen Reserven vollständig oder teilweise aufzulösen.
Wahlrechte außerhalb des Rechnungswesens (Rechtswahlmöglichkeiten) erlauben dem Steuerpflichtigen eine Entscheidung über die steuerliche Einordnung eines Sachverhalts. Beispielsweise hängt es von der Ausübung der Umsatzsteueroption ab, ob eine Leistung umsatzsteuerpflichtig oder umsatzsteuerfrei ist (§ 9 UStG). Bei Verpachtung eines Betriebs kann der bisherige Betriebsinhaber bestimmen, ob das Entgelt als Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu qualifizieren ist (§ 16 Abs. 3b EStG). Bei ausländischen Einkünften stehen zum Teil mehrere Methoden zur Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung zur Verfügung (§ 34c EStG, § 26 KStG). Einzelunternehmer und Gesellschafter einer Personengesellschaft können darüber entscheiden, ob sie die Begünstigung für nicht entnommene Gewinne in Anspruch nehmen (§ 34a EStG).

      Erster Teil Einführung › Zweiter Abschnitt Merkmale des deutschen Steuersystems › E. Spezielle steuerliche Ungewissheit

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      Die allgemeine Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung wird im Steuerrecht dadurch verstärkt, dass die Höhe der Steuerzahlung, die durch ein Vorhaben ausgelöst wird, im Planungsstadium aufgrund der langen Verfahrensdauern und der Unbeständigkeit der Rechtsnormen häufig nicht bestimmt werden kann.

      Bis zur verbindlichen Entscheidung über die Beurteilung des Sachverhalts können mehrere Jahre vergehen. Nicht nur die Realisierung des Sachverhalts selbst nimmt einige Zeit in Anspruch, zusätzlich sind die Erfassung im Rahmen der steuerlichen Veranlagung und unter Umständen das Ergebnis einer Außenprüfung sowie die Entscheidung über Rechtsmittel abzuwarten. Aufgrund der langen Verfahrensdauern vergeht zwischen der Verwirklichung einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung und ihrer steuerrechtlichen Würdigung nicht selten ein Zeitraum, der sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckt.

      Beispiele:

      Für einen bestimmten Sachverhalt war strittig, zu welcher Einkunftsart die erzielten Mieteinnahmen gehörten. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Voraussetzungen einer „Betriebsaufspaltung“ vorlagen, sodass die Einnahmen als gewerbliche Einkünfte behandelt wurden, während der Steuerpflichtige die Mieten als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung versteuern wollte. Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ das Finanzamt im Jahr 1974 für die Jahre 1967–1970 entsprechend geänderte Steuerbescheide. Gegen diese Steuerbescheide erhob der Steuerpflichtige vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg Klage. Dieses entschied am 23.6.1977 im Sinne des Finanzamts, woraufhin der Kläger Revision beim Bundesfinanzhof einlegte. In seinem Urteil vom 5.2.1981 entschied auch der Bundesfinanzhof im Sinne des Finanzamts. Der Kläger wandte sich daraufhin mit der Begründung an das Bundesverfassungsgericht, dass die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seine Grundrechte verletzen würde. Mit Beschluss vom 12.3.1985 hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesfinanzhofs auf und verwies die Sache an diesen zurück. Erst mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.7.1986 wurde der Fall endgültig entschieden. Zwischen Streitjahr (1967) und endgültiger Beantwortung, welcher Einkunftsart die Mieteinnahmen zuzurechnen sind (1986), sind 19 Jahre vergangen.

      Bei einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland (Tochterunternehmen eines italienischen Unternehmens) bestand zwischen dem Unternehmen und den Finanzbehörden Uneinigkeit darüber, ob der für die Lieferung der Bekleidungsartikel durch das italienische Mutterunternehmen in Rechnung gestellte Preis in den Jahren 1980 bis 1990 angemessen war. Im Anschluss an zwei Außenprüfungen ergingen in den Jahren 1992 und 1993 geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Über den Einspruch des Tochterunternehmens entschied das Finanzgericht Düsseldorf am 8.12.1998. Gegen dieses Urteil wurde sowohl von dem Tochterunternehmen als auch von der Finanzverwaltung Revision eingelegt. Der Bundesfinanzhof hat seine Entscheidung am 17.10.2001 getroffen. Die Finanzverwaltung hat dieses Urteil erst im Jahr 2004 im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Für den Steuerpflichtigen bestand erst nach mehr als zwanzig Jahren Klarheit über die zu zahlende Körperschaftsteuer.

      Aus der langen Verfahrensdauer resultiert Unklarheit über die abschließende Beurteilung von in der Vergangenheit verwirklichten Sachverhalten. Demgegenüber ergeben sich aus der Unbeständigkeit der steuerlichen Normen und deren Interpretation durch Finanzbehörden und Finanzgerichte erhebliche Schwierigkeiten bei der betragsmäßigen Festlegung der durch ein beabsichtigtes Vorhaben in zukünftigen Jahren ausgelösten steuerlichen Folgen. Verhältnismäßig unproblematisch sind in diesem Zusammenhang „große“ Steuerreformen, wie die Einführung des Mehrwertsteuersystems bei der Umsatzsteuer im Jahr 1967 oder die Änderung des Konzepts der Grunderwerbsteuer im Jahr 1983, da sich diese bereits frühzeitig abzeichnen. Weitaus weniger vorhersehbar sind ständige Modifikationen der Einzelsteuergesetze und Änderungen der Rechtsprechung. In den letzten Jahren wurden allerdings auch Änderungen des Besteuerungskonzepts innerhalb kürzester Zeit und ohne ausführliche Diskussion im Gesetzgebungsverfahren umgesetzt. Typische Beispiele hierfür sind die durch die Unternehmensteuerreform 2000 vorgenommenen Änderungen der für Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften geltenden Besteuerungskonzeption und deren erneute Veränderung durch die Unternehmensteuerreform 2008. Die Bedeutung dieser speziellen Form der Ungewissheit wird auch daran erkennbar, dass allein im Einkommensteuergesetz die Übergangsvorschriften in § 52 EStG einen Umfang von 75 Absätzen erreichen. Eine weitere Erschwernis für die Steuerpflichtigen ergibt sich daraus, dass in den letzten Jahren bedeutsame Änderungen des Steuerrechts nur wenige Tage vor ihrer erstmaligen Anwendung verabschiedet wurden. So wurden beispielsweise das Jahressteuergesetz 2009 am 24.12.2008 und das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz am 31.12.2008 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, obwohl beide Gesetze erhebliche Neuerungen beinhalten, die bereits ab dem 1.1.2009 zu beachten waren.

      Der Gesetzgebungsprozess ist zum Teil so dynamisch, dass zahlreiche steuerliche Normen bereits vor ihrem Inkrafttreten geändert oder aufgehoben werden. Andererseits besteht zum Teil zu dem Zeitpunkt, zu dem ein steuerlich relevanter Vorgang ausgeführt wird, keine gültige steuerrechtliche Vorschrift. Bei der aufgrund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts notwendigen Neugestaltung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes wurde das Gesetzgebungsverfahren erst Ende Dezember 1996 abgeschlossen. Angewendet wurde das neue Recht jedoch bereits für unentgeltliche Vermögensübertragungen, die ab dem 1.1.1996 vorgenommen wurden.

      Erster Teil Einführung › Dritter Abschnitt Rechtsquellen

      Dritter Abschnitt Rechtsquellen

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