Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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Professor Bartolus de Sassoferrato und sein Schüler Baldus de Ubaldis) haben, die um 1350 die Statuten erstmals klassifizierten in statuta personalia, realia und mixta (lat. persönliche, dingliche und gemischte Gesetze).

Statuta personalia sind solche, welche auf die Person bezogen sind und sich nach deren Herkunftsrecht beurteilen. Hierzu zählt das Personenrecht, aber auch das Mobiliarsachenrecht, das auf die Person des Besitzers bezogen wurde.
Statuta realia sind rein sachbezogen und beurteilen sich nach dem Belegenheitsrecht; hierzu rechnet das Immobiliarsachenrecht.
Statuta mixta sind alle sonstigen Normen. Hierzu gehören familienrechtliche Normen mit hoheitlichem Einschlag (zB die Legitimation durch den Landesherrn), die territorial behandelt wurden; aber auch schuldrechtliche Geschäfte wie Vertragsschlüsse und deliktische Handlungen, für die das Recht des Handlungsortes galt.

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      3. Spätere Anhänger der Statutenlehre in Frankreich (Charles Dumoulin und Bertrand d’Argentré, 16. Jhdt.) verfeinerten die Klassifizierung der Statuten, wandelten zum Teil ihre „Anknüpfungskriterien“ (zB bei statuta personalia von der Herkunft hin zum domicile der Person). Andere in den Niederlanden (Paul und Johannes Voet, Ulrich Huber, 17. Jhdt.) suchten nach tragfähigeren Begründungen für die Statutenlehre in der Reichweite der Souveränität des die Statuten setzenden Staates. Zum ersten Mal taucht dabei im Werk von Ulrich Huber ein Gedanke auf, der noch bis in das 20. Jahrhundert hinein als Rechtfertigung für die Anwendung ausländischen Privatrechts überhaupt wirken sollte: Die comitas gentium (lat. Gemeinsamkeit der Völker) lege es nahe, fremde statuta im eigenen Land durchzusetzen, soweit dies der eigenen Souveränität nicht abträglich sei.

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      4. Das Ende der Statutenlehre wird allgemein Carl Georg von Wächter zugeschrieben, der in den Jahren 1841/1842 im 24. und 25. Band des AcP die Nachteile der Statutenlehre deutlich machte; seine im selben Band veröffentlichten kollisionsrechtlichen Alternativen liefen freilich auf einen Rückschritt zum Territorialitätsprinzip und damit zur lex fori hinaus und wurden in der Wissenschaft nicht angenommen.

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      1. Das IPR des 19. Jahrhunderts ist geprägt durch die Ideen dreier Juristen, die bis heute die Basis der IPR-Dogmatik im kontinentaleuropäischen Raum einerseits und im angelsächsischen Rechtskreis andererseits ausmachen: der Amerikaner Joseph Story, der Deutsche Friedrich Carl von Savigny und der Italiener Pasquale Stanislao Mancini.

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      2. Story griff den Huber’schen Gedanken der comitas gentium auf und entwickelte ihn als comity of nations zur Grundlage seines IPR-Ansatzes. Obgleich er noch nicht die elementare Wende der kollisionsrechtlichen Fragestellung bewirkte, ordnete er die von ihm untersuchte kollisionsrechtliche Rechtsprechung nicht mehr nach Statuten, sondern nach Gegenständen, wie dies im heutigen IPR gebräuchlich ist.

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      3. V. Savigny, dessen vollständige Umorientierung der Kollisionsfrage in seinem 1849 erschienenen System des heutigen Römischen Rechts (Bd. VIII) gerne als „kopernikanische Wende des IPR“ tituliert wird, formulierte erstmals die moderne Fragestellung, die heute unstreitig das IPR beherrscht: Wo ist der Sitz des einzelnen Rechtsverhältnisses? Seit v. Savigny geht es nicht mehr um die Klassifizierung des Geltungsbereichs von Statuten, also Gesetzen, sondern um die Lokalisierung eines Lebenssachverhaltes in einer bestimmten Rechtsordnung.

      Wenn heute im IPR von „Statut“ gesprochen wird, bedeutet dies nicht mehr „Gesetz“. Gemeint ist vielmehr die Rechtsordnung, welche für den jeweiligen Sachverhalt maßgeblich ist. „Erbstatut“ ist das auf einen Erbfall anwendbare Recht, also das Ergebnis der Suche nach dem anwendbaren Recht mithilfe der das Erbrecht betreffenden Normen des IPR.

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      Die durch v. Savigny ausgelöste theoretische Kehrtwende des IPR musste nicht notwendig zu anderen praktischen Ergebnissen führen. Sie verband sich jedoch mit der von Story übernommenen comitas gentium; die geänderte Fragestellung nach dem Sitz, dem Schwerpunkt oder der Natur des Rechtsverhältnisses erlaubte eine wesentlich stärker gleichberechtigte Anwendung eigenen und fremden Rechts als die unter der Statutenlehre geübte hoheitliche Orientierung am Geltungsanspruch der eigenen – naturgemäß als angemessen empfundenen – Gesetze.

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      4. Nicht entschieden war damit die bis heute jede Reform des IPR am heftigsten bewegende Frage, wo das einzelne Rechtsverhältnis seinen Sitz hat, welche Rechtsordnung ihm am angemessensten ist. Während Story und v. Savigny den Schwerpunkt – vor allem personen- und familienrechtlicher Verhältnisse – am Domizil des Betroffenen sahen, entwickelte Mancini 1851 den Gedanken der Nationalität als Grundlage des Völkerrechts, den er später auch auf das IPR übertrug. Er wurde damit zum Begründer des Staatsangehörigkeitsprinzips, das mit vielen modernen, an kollisionsrechtlichen Interessenwertungen orientierten Einschränkungen das IPR in Mittel-, Süd- und Osteuropa sowie in weiten Teilen Lateinamerikas beherrscht. Die Gegenströmung, das Domizilprinzip, hat sich vor allem im angelsächsischen Rechtskreis erhalten. Die gegenwärtige Diskussion der geeigneten Anknüpfung des jeweiligen Rechtsverhältnisses wird jenseits dieser Grundprinzipien stark geprägt durch die Gewichtung der beteiligten Interessen (vgl Rn 46 ff) und verfassungsrechtliche Notwendigkeiten. Beides führt zunehmend zu einer Lockerung des Staatsangehörigkeitsgrundsatzes. Hinzu kommen in jüngster Zeit europarechtliche Entwicklungen, die weniger von Prinzipien als von der Suche nach erträglichen Kompromissen geprägt sind.

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      Beispiele verfassungsrechtlicher Impulse finden sich in der deutschen Reform des Internationalen Familienrechts 1986, die aus Gründen der Gleichberechtigung von Mann und Frau für alle familienrechtlichen Sachverhalte Hilfsanknüpfungen für den Fall verschiedener Staatsangehörigkeiten der Ehegatten schuf. Interessenwertungen stehen im Vordergrund, wenn im Internationalen Kindschaftsrecht die Staatsangehörigkeit weitgehend dem gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfungskriterium weicht (Art. 19 bis 21 idF des Kindschaftsrechtsreformgesetzes seit 1.7.1998 sowie die im KSÜ 1996 (dazu Rn 97) verwirklichte Streichung von Art. 3 Haager Minderjährigenschutzabkommen).

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      1. Das IPR nimmt seit der Kodifikation in den italienischen preleggi al codice civile des Jahres 1865, die zugleich die erste Umsetzung der Lehre Mancinis bedeuten, an der das 19. Jahrhundert prägenden Tendenz zu nationalen Kodifikationen teil. Die Nationalisierung des IPR war nicht in gleicher Weise selbstverständliche Konsequenz der nationalstaatlichen Entwicklung, wie dies für das Privatrecht im Übrigen gilt. Gerade Mancini, der Begründer des Staatsangehörigkeitsprinzips, sah nicht im nationalen IPR, sondern im staatsvertraglichen IPR die eine ideale, einheitliche Rechtsanwendung sichernde Lösung.