Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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ggf den Ehenamen (Passbehörden), Sozialhilfeansprüche (Sozialbehörden und -gerichte), Zeugnisverweigerungsrechte (alle Verfahrensordnungen) und die Erbfolge (Nachlassgericht). Wenn verschiedene Statute auf diese Fragen anwendbar sind, könnte es geschehen, dass die Ehe einmal als wirksam, einmal als unwirksam angesehen wird. Niemand könnte verstehen, wenn ein Ehepaar von einer deutschen Behörde als verheiratet, von einer anderen als unverheiratet angesehen wird.

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      3. Entscheidungseinklang kann nie vollständig verwirklicht werden.

      a) Den größten Beitrag zum internationalen Entscheidungseinklang kann die IPR-Gesetzgebung durch international vereinheitlichtes (völkervertragliches oder europarechtliches) IPR leisten; aber auch die Wissenschaft ist – in ihrer beratenden Funktion für die Gesetzgebung – aufgerufen, durch Kollisionsrechts-Vergleichung die Basis für zumindest ähnliche Kollisionsnormen in unterschiedlichen nationalen Kodifikationen zu schaffen.

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      b) Wenig förderlich für den Entscheidungseinklang ist hingegen die an sich dem Entscheidungseinklang gewidmete Methode der Rückverweisung (Art. 4 Abs. 1, dazu Rn 348 ff). Haben zwei Staaten in einem Fall spiegelbildliche Anknüpfungen und folgen beide der Rückverweisung, so wenden sie – höchst disharmonisch – jeweils eigenes Recht an. In völkervertraglichen- und europarechtlichen Instrumenten würde diese Methode die Vereinheitlichung und damit den Entscheidungseinklang wieder auflösen und wird daher nicht angewendet.

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      c) In Anwendung der Kollisionsnormen sind die Möglichkeiten, internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen, beschränkt. Ist die Verweisung objektiv bestimmt, so kann der Rechtsanwender das Ergebnis nicht korrigieren, selbst wenn er erkennt, dass die verwiesene Rechtsordnung oder ein anderer berührter Staat abweichend entscheiden würde. Ist jedoch die Verweisung flexibel, hat insbesondere der Richter eine engste Verbindung zu ermitteln, so kann er bei seiner Abwägung auch berücksichtigen, wo eine beteiligte Rechtsordnung den Schwerpunkt des Sachverhalts sieht. Dies führt umso mehr zu Entscheidungseinklang, als solche Schwerpunktanknüpfungen regelmäßig nicht in fremdes IPR, sondern direkt in fremdes materielles Recht verweisen, also Sachnormverweisungen sind (dazu Rn 358 ff). Auch die fakultative Berücksichtigung zwingenden Rechts einer an sich nicht berufenen Rechtsordnung (Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO) dient dem internationalen Entscheidungseinklang.

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      d) Selten erlaubt auch das nach deutschem IPR anwendbare materielle Recht, eine nach einem fremden IPR anwendbare materielle Rechtsordnung zu berücksichtigen. Dies setzt voraus, dass die anwendbare Norm Ermessen einräumt, insbesondere die Beachtung von Interessen (häufig das Kindesinteresse im Familienrecht) erlaubt, der Auslegung zugänglich ist oder ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe (gute Sitten, grobe Unbilligkeit) enthält.

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      e) Der interne Entscheidungseinklang wird vor allem dadurch erreicht, dass bestimmte Rechtsverhältnisse, deren Bestehen Tatbestandsmerkmal für mehrere Rechtsfragen ist, unabhängig von der jeweiligen Sachfrage beurteilt werden. Wichtiges Instrument hierzu ist die sog selbständige Anknüpfung von Vorfragen (zur Vorfrage Rn 497 ff).

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      So wird in der geschilderten Situation (Rn 58) das Bestehen der Ehe in formeller und materieller Hinsicht nicht nach dem maßgeblichen öffentlichen Recht (Sozialrecht oder Passrecht), Erbstatut, Scheidungsstatut etc beurteilt, sondern einheitlich nach dem Eheschließungsstatut, auch wenn die Eheschließung nicht die Hauptfrage ist (was bei Anmeldung der Eheschließung oder im Aufhebungsverfahren der Fall wäre), sondern eine Vorfrage, also eine bloße tatbestandliche Voraussetzung einer anderen Rechtsfrage.

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      1. Im Übrigen verlangt die Rechtssicherheit meist nach starrer Anknüpfung und verbietet die individuelle nachträgliche Beachtung einzelner Parteiinteressen. Der Einzelne muss – sofern er sich diese Frage stellt – vorher mit Verlässlichkeit bestimmen können, welcher Rechtsordnung sein Rechtsgeschäft, seine familienrechtliche Beziehung oder sein Nachlass später unterworfen sein wird. Wo die Rechtssicherheit starre Anknüpfungen nicht verlangt, ist auch das IPR offen für einen Blick auf das materielle Ergebnis. Die jüngeren IPR-Kodifikationen, auch das deutsche Gesetz zur Reform des IPR von 1986, haben sich deutlich dieser Idee geöffnet.

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      2. Gehen die Interessen der Beteiligten typischerweise in unterschiedliche Richtungen, so muss entweder ein gemeinsames oder ein neutrales Anknüpfungskriterium gefunden werden, es sei denn, es werden die objektiv vermuteten Interessen eines der Beteiligten vor die des anderen gestellt, insbesondere weil die Beteiligten unterschiedlich schutzwürdig sind.

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      3. Wo ein bestimmtes materielles Ergebnis vermutlich von allen Beteiligten oder einem besonders schutzwürdigen Beteiligten gewollt ist, dringen auch alternative Anknüpfungen vor, die es erlauben, den Eintritt einer Rechtsfolge (zB Abstammungsfeststellung, Formwirksamkeit) nach mehreren Rechtsordnungen zu prüfen und schon dann anzunehmen, wenn nur die Voraussetzungen einer Rechtsordnung gewahrt sind.

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      Im Internationalen vertraglichen Schuldrecht ist dies die Regel (vgl Art. 3 Rom I-VO). Hingegen