Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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IPR bisher nur in engen Grenzen eine Rechtswahl zugelassen (vgl Art. 14 Abs. 2 und 3, Art. 15 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1 aF iVm Art. 14; Art. 25 Abs. 2 aF) wurde. Im EU-Kollisionsrecht wird die Rechtswahl auch in diesen Bereichen ausgedehnt (Art. 5 Rom III-VO, Art. 22 EU-ErbVO), wobei eine fragwürdige Funktion hinzutritt: Der EU-Gesetzgeber erwartet, dass die Beteiligten die vordringende Grundanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, die nicht immer angemessen ist und zu Zweifelsfällen führt, durch Parteiautonomie korrigieren; das setzt freilich Kenntnis und Beratung über die Wahlmöglichkeit und das Anknüpfungsproblem voraus, was gerade in familienrechtlichen Fragen nicht ohne weiteres zu unterstellen ist. Im Internationalen Sorgerecht kommt hingegen eine Rechtswahl nicht in Betracht, da das Kindesinteresse im Vordergrund steht.

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      5. Häufig wirken sich auch rechtspolitische Werturteile zum materiellen Recht mittelbar aus, weil das IPR eines Staates nicht im rechtspolitisch freien Raum entsteht, sondern denselben Grundwertungen gehorcht, die sich im materiellen Recht durchsetzen. Besonders deutlich wird dies im Internationalen Familienrecht, das – wie das materielle Familienrecht – in seiner Fortentwicklung kaum von Dogmatik, dafür umso mehr von aktuellen rechtspolitischen Tendenzen geprägt ist.

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      Dem Übergang des materiellen Rechts von der Verschuldens- zur Zerrüttungsscheidung (1.7.1977) und der Erkenntnis, dass Art. 6 Abs. 1 GG auch die Freiheit der Scheidung einer gescheiterten Ehe als Teil der Eheschließungsfreiheit schützt, entsprach die Regel des Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF, die dem deutschen Ehegatten eine Scheidung nach deutschem Recht sicherte, wenn das eigentliche Scheidungsstatut die Scheidung verweigert. Art. 10 Rom III-VO erklärt in diesem Fall die lex fori für anwendbar. Das Internationale Kindschaftsrecht des Kindschaftsrechtsreformgesetzes 1998 kehrt sich mit dem materiellen Recht ab von der Unterscheidung ehelicher und nichtehelicher Kindschaft; was keineswegs zwingend erst so spät erfolgen musste, hatte sich doch schon vorher das deutsche IPR mit zahlreichen Rechtsordnungen auseinanderzusetzen, deren Kindschaftsrecht mit der Unterscheidung der Anknüpfung in Art. 19 und 20 aF nicht sachgerecht zu bewältigen war. Der Schutz bestimmter Personen im Internationalen Schuldrecht (Verbraucher, Versicherte, Arbeitnehmer, Vertragspartner von AGB-Verwendern) durch Sonderanknüpfungen folgt den entsprechenden materiellen Schutzbestimmungen nach.

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      Eine Berücksichtigung solcher Wertungen, sei es seitens des Gesetzgebers durch eine legislatorische Entscheidung für ein bestimmtes Prinzip, sei es durch den Rechtsanwender in der Auslegung der Norm, bedeutet jedoch immer kollisionsrechtliche Umsetzung, nicht aber konkrete materielle Verwirklichung eines gewünschten Ergebnisses.

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      Verbraucherschutz im IPR bedeutet zB nur, den Verbraucher vor dem Entzug eines ihm nahen Rechts (regelmäßig seines gewöhnlichen Aufenthalts) zu bewahren. Ob dadurch konkreter Schutz gewährleistet wird, kann nur der Inhalt dieser Rechtsordnung entscheiden.

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      Gleichberechtigung von Mann und Frau im Kollisionsrecht bedeutet also nicht die Verwirklichung eines materiell gleichberechtigungskonformen Ergebnisses. Eine gleichberechtigungskonforme Kollisionsnorm wird (lediglich) die Auswahl des maßgeblichen Rechts ohne Bevorzugung eines nicht Art. 3 GG entsprechenden Kriteriums vornehmen. Erweist sich sodann das grundrechtsentsprechend ausgewählte Recht inhaltlich nicht als grundrechtskonform, so kann – in engen Grenzen – nur der ordre public helfen.

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      Ob mit der zunehmenden Europäisierung des IPR der hohe Standard der Verwirklichung deutscher Grundrechte im IPR erhalten bleiben kann, muss angesichts der Selbstbeschränkung des BVerfG gegenüber dem Europarecht und angesichts des zum Teil geringeren Schutzstandards der EU-GRC bezweifelt werden.

      Teil I IPR: Grundlagen§ 1 Einführung und Abgrenzung › E. Quellen des IPR

E. Quellen des IPR I. Autonomes deutsches Recht

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      Das im EGBGB kodifizierte IPR ist komplementär zum fortschreitend europäisierten IPR (im Einzelnen Rn 91); es umfasst somit noch größere Teile des internationalen Personen- und Familienrechts (außer dem Unterhaltsstatut, dem Scheidungsstatut und künftig dem Ehe- und ELP-Güterstatut) mit geringen Lücken – zB ist das Verlöbnisstatut nicht ausdrücklich geregelt. Auch das Sachenrecht ist im EGBGB geregelt. Europäisiert ist das internationale vertragliche Schuldrecht (außer für Altfälle) und in weiten Bereichen das außervertragliche Schuldrecht; das internationale Erbrecht ist de facto vollständig europäisiert, weil Art. 25 Abs. 1 EGBGB subsidiär auf die EU-ErbVO verweist.

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      Daneben finden sich zahlreiche Normen des IPR in anderen Gesetzen, von denen nur einige wesentliche hier zu nennen sind:

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      Art. 9 Abs. 2 Nr 5 FamilienrechtsänderungsG stellt Personen, die Deutsche iSd Art. 116 GG sind, deutschen Staatsangehörigen gleich, soweit nach deutschem Recht die Staatsangehörigkeit einer Person maßgebend ist. Dies gilt insbesondere auch für Normen des IPR, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen.

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