Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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target="_blank" rel="nofollow" href="#u38fe8040-75ce-59be-91af-3a757a050e8a">Teil I IPR: Grundlagen › § 1 Einführung und Abgrenzung › D. Interessen im IPR

D. Interessen im IPR

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      1. Die Suche nach dem Schwerpunkt des jeweiligen Rechtsverhältnisses erfolgt im deutschen IPR grundsätzlich nicht individuell wertend, sondern durch eine formale Anwendung von typisierten Anknüpfungsnormen.

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      Aus einem Katalog abstrakt umschriebener Anknüpfungsthemen (vgl die Überschriften zu Art. 7 ff, Erbrecht, Ehegüterrecht, Abstammung etc) wird der Sachverhalt einem oder mehreren dieser Begriffe zugeordnet („qualifiziert“, zur Qualifikation siehe Rn 443 ff) und nach dem von der jeweiligen Kollisionsnorm – wiederum abstrakt generell – berufenen materiellen Recht entschieden. Das materielle Ergebnis hat dabei grundsätzlich keinen Einfluss auf die Auswahl des anwendbaren Rechts. Eine Korrektur des Ergebnisses erfolgt nur ganz ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des ordre public (Art. 6), wenn das Resultat im konkreten Fall unerträglich gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt.

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      1. Die Interessen im IPR sind damit objektiv für bestimmte Anknüpfungsthemen nach dem Maßstab einer generellen Wertung zu bestimmen, sie kommen vorrangig in der Festlegung abstrakt-genereller Anknüpfungsmerkmale zum tragen.

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      Es kommt für die Entwicklung der Kollisionsnorm nicht darauf an, ein materiell gerechtes Ergebnis für die konkreten Beteiligten zu erzielen, sondern, wo der Sachverhalt typischerweise internationalprivatrechtlich gerecht zu lokalisieren ist. Nur innerhalb des so bestimmten anwendbaren Rechts kann die materielle Gerechtigkeit gesucht werden, wobei bis zur Grenze des deutschen ordre public das anwendbare Recht und nicht das deutsche Rechtsverständnis entscheidet, was „Gerechtigkeit“ bedeutet.

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      2. Das bedeutet nicht, dass das IPR lediglich formal irgendeine Anknüpfung zu finden hat. Ziel ist die Suche nach der richtigen Rechtsordnung, die – auch in Hinblick auf die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einbettung der von der jeweiligen Rechtsbeziehung am stärksten berührten Beteiligten – auf den Sachverhalt zugeschnitten ist.

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      Staatliche Ordnungsinteressen an der Durchsetzung des eigenen Rechts sind bei dieser Auswahl nicht bedeutsam.

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      Im IPR geht es um die Gestaltung und Entscheidung privatrechtlicher Verhältnisse, auf die staatliche Ordnungsprinzipien nur ausnahmsweise – in zwingenden Normen – durchgreifen. Daher ist ein grundsätzliches Interesse des Staates an der Anwendung des eigenen Rechts nicht anzuerkennen. Wo zwingende Wertungen bestehen und in unabdingbaren Normen oder sozial-, gesellschafts- oder wirtschaftspolitischen Ordnungsnormen Niederschlag gefunden haben, können diese nur durch Sonderanknüpfungen gegen ein „eigentlich“ anwendbares fremdes Recht durchgreifen (vgl Art. 9 Rom I-VO). Auch Art. 6 schützt deutsche Grundrechtsprinzipien nicht nur im individuellen Interesse. Hingegen dienen Art. 17a EGBGB bzw Art. 3 Abs. 3, 6 Abs. 2 S. 2, 8 Abs. 1 Rom I-VO überwiegend dem Schutz von Individualinteressen, obgleich der Schutz „Schwächerer“ immer auch sozialpolitisch motiviert ist.

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      Die Anwendung deutschen Rechts mag praktisch für Gerichte und Behörden sein, weil die Ermittlung des ausländischen Rechts oft aufwendig ist. Das damit verbundene „Heimwärtsstreben“ (Kegel) ist verständlich, wird gelegentlich auch vom IPR gefördert (vgl Art. 4 Abs. 1 S. 2, Art. 5 Abs. 1 S. 2), führt aber, wie vor allem Art. 5 Abs. 1 S. 2 zeigt, nicht immer zu den IPR-gerechtesten Ergebnissen. Dieses Streben findet eine Entsprechung in jüngeren Tendenzen des EuIPR, wo sowohl im Scheidungsstatut (Art. 8 lit. a Rom III-VO) als auch im Erbstatut (Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO) die gesetzliche Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt auch mit der Harmonisierung von Internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht, also mit der Anwendung der lex fori, begründet wird.

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      1. Ein Idealziel des IPR, das schon v. Savigny genannt hat, ist die Sicherung des Entscheidungseinklangs, der in zwei Richtungen gefordert sein kann.

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      Einerseits soll die Entscheidung eines gleichartigen oder desselben Sachverhalts nicht von der Zufälligkeit des Gerichtsstandes abhängen. Bei Fällen mit Auslandsbezug, für deren Entscheidung eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte besteht, muss damit gerechnet werden, dass auch eines oder mehrere ausländische Gerichte eine internationale Zuständigkeit annehmen. Ziel ist hier der internationale Entscheidungseinklang. Es geht dabei um die Vermeidung widersprechender Entscheidungen, sei es im selben, sei es in vergleichbaren Fällen, die von den Rechtssuchenden und in der Öffentlichkeit als ungerecht empfunden würden.

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      2. Andererseits ist der interne Entscheidungseinklang zu suchen. Angestrebt ist dabei eine harmonische Behandlung derselben Rechtsfrage durch alle damit befassten deutschen Gerichte und Behörden.

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      Beispielsweise ist