Thomas Rauscher

Internationales Privatrecht


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href="#ulink_6107c220-d0cd-580a-b776-f3bfc42e48d3">Rn 348) als Wohnsitzrecht bei Tod des Ehemannes kommt.[73]

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      a) Die Lehre von der Gesamtverweisung geht davon aus, dass jeder Staat ein IPR hat, auch wenn dieses IPR nicht kodifiziert sein muss. Diese Annahme ist nur insoweit richtig, als sich in jeder Rechtsordnung – aus Sicht des deutschen Verständnisses von IPR – abstrakt die Frage stellen lässt, welches Recht auf einen bestimmten Sachverhalt mit Auslandsbezug anzuwenden ist. Soweit solche Fälle entschieden werden, wendet das ausländische Gericht aus deutscher Sicht „Kollisionsnormen“ an. Dabei braucht sich das fremde Gericht allerdings nicht bewusst zu sein, dass es „IPR“ anwendet. Zahlreiche Staaten wenden in bestimmten Sachverhalten immer das eigene materielle Recht an, ohne dass dies auf einem kollisionsrechtlichen Prüfungsschritt beruht. Das eigene Recht wird vielmehr als das am Gerichtsort geltende Recht (lex fori) angewendet; entscheidend ist damit die Zuständigkeit des Gerichts.

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      Verweist das deutsche IPR im Wege der Gesamtverweisung auf eine solche Rechtsordnung, so muss ein solches nicht bewusst kollisionsrechtliches Verhalten als Kollisionsnorm interpretiert werden. Die heute herrschende Theorie der versteckten Rückverweisung argumentiert ausgehend von einer Hypothese: Hält die verwiesene Rechtsordnung die Anwendung der lex fori für angemessen, so würde sie auch die Anwendung der lex fori durch deutsche Gerichte oder die Gerichte eines dritten Staates für angemessen halten, wenn diese Gerichte zuständig sind. Als Kollisionsnorm interpretiert bedeutet das: Diese Rechtsordnung verweist auf das Recht des Staates, der nach ihren Vorstellungen zuständig ist. Die Kollisionsnorm versteckt sich also in der Zuständigkeitsnorm des verwiesenen Rechts. Versteckte Rückverweisung liegt vor, wenn es aufgrund einer solchen versteckten Kollisionsnorm zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht kommt.

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      Häufigster Anwendungsfall war vor Inkrafttreten der Rom III-VO die Verweisung in das Recht eines US-Bundestaats für das Scheidungsstatut: US-amerikanische Gerichte wenden in Scheidungssachen immer die lex fori an. Im Prinzip besteht eine Zuständigkeit (jurisdiction) aus US-amerikanischer Sicht in dem Staat, wo die Ehegatten ihr domicile haben, wobei der Begriff des domicile für diesen Zweck zunehmend auf einen von Staat zu Staat unterschiedlich langen (häufig 6 Monate), nicht der Zuständigkeitserschleichung dienenden Aufenthalt (bona fide residence) reduziert wird. Hatte ein deutsches Gericht in einem vor dem 21.6.2012 eingeleiteten Verfahren über die Scheidung der Ehe zweier US-Staatsangehöriger zu entscheiden, die sich in Deutschland dauerhaft niedergelassen haben, so verwies Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 1 in das gemeinsame Heimatrecht. Wendet man die jurisdiktionelle Regel an, so sind zur Entscheidung des Falles aus Sicht amerikanischer Gerichte die deutschen Gerichte zuständig, denn hier haben die Ehegatten ihr domicile. Die Theorie der versteckten Rückverweisung interpretiert das als Verweisung auf deutsches Recht. Zu beachten ist aber: Deutsche Gerichte bestimmen natürlich ihre internationale Zuständigkeit nicht nach den jurisdiktionellen Normen des US-Rechts, sondern nach eigenem Recht (Brüssel IIa-VO bzw § 98 FamFG). Sie müssen aber die Feststellung einer versteckten Rückverweisung am amerikanischen – und nicht am deutschen – Zuständigkeitsrecht orientieren. Unter Geltung von Art. 5 ff, 8 ff Rom III-VO spielt die versteckte Rückverweisung keine Rolle mehr, weil diese Kollisionsnormen keine Gesamtverweisung aussprechen.

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      Seit den 1960er Jahren haben US-amerikanische Bundesstaaten zunehmend die Zuständigkeitsregeln für Scheidungsverfahren gelockert; häufig genügt eine bona fide residence über einen bestimmten Zeitraum. Vor allem aber teilt nicht mehr wie nach ursprünglichem Common Law die Ehefrau das domicile des Ehemannes als matrimonial domicile. Daher können getrennt lebende Ehegatte verschiedene Domizile haben.

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      c) Eine versteckte Weiterverweisung kommt dagegen nicht in Betracht: Hält das verwiesene Recht deutsche Gerichte überhaupt nicht für zuständig, so kann die als Kollisionsnorm interpretierte Regel, dass ein zuständiges Gericht sein Recht anwendet, nicht helfen. In diesem Fall muss die deutsche Verweisung als Sachnormverweisung verstanden werden.

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      Wie im Fall Rn 388, die Ehefrau hat sich mehr als 3 Monate vor Antragstellung in Österreich niedergelassen. Da alleine die deutsche Staatsangehörigkeit der Ehefrau nach § 98 Abs. 1 Nr 1 FamFG die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet (die Brüssel IIa-VO begründet keine Zuständigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat, so dass nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIa-VO auf deutsches Recht zurückgegriffen werden darf), kommt auch hier ein Scheidungsantrag vor deutschen Gerichten in Betracht. Wieder verweist Art. 17 Abs. 1 aF, Art. 14 Abs. 1 Nr 2 Alt. 2 in das texanische Recht. Aus texanischer Sicht sind aber nur texanische oder österreichische Gerichte zuständig. Dies kann nicht als Verweisung interpretiert werden. Es ist daher texanisches Scheidungsrecht anzuwenden, die Verweisung ist wegen Scheiterns der Gesamtverweisung als Sachnormverweisung zu verstehen.

      Literatur:

      Staudinger/Hausmann (2013) Art. 4 EGBGB