Stefan Storr

Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht


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somit ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, die MS Ltd. auf diese Erwägung hinzuweisen. Jedoch ist hiergegen einzuwenden, dass das Gebot rechtlichen Gehörs nicht absolut gewährleistet wird, sondern Durchbrechungen kennt, wie § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG erweisen. Rechtsstaatlichen Grundsätzen wird dadurch genügt, dass dem Betroffenen vorläufiger Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zusteht[18]. Die MS Ltd. musste somit zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht angehört werden.

      3. Form

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      Nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründung muss über die Begründung des Verwaltungsakts hinausgehen, da gerade das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen ist. Die Begründung darf sich nicht in Formeln, der Wiedergabe des Gesetzestextes oder einem Verweis auf die Begründung der Sachentscheidung erschöpfen[19].

      Hier werden von der Behörde letztlich Argumente herangezogen, mit denen sie schon den Erlass der Untersagung begründet hat. Allerdings wird durch den im Wortlaut unterschiedlichen Begründungsaufwand deutlich, dass sich die Behörde der Warnfunktion des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war, indem sie das besondere Interesse hinsichtlich des sofortigen Stopps des Bewachungsbetriebs gesondert herausgearbeitet hat. Damit sind die Formanforderungen gewahrt.

      Hinweis:

      Sollte angenommen werden, die Anordnung sofortiger Vollziehung genüge wegen der unterlassenen Anhörung oder einer unzureichenden Begründung nicht den rechtlichen Anforderungen, stehen die Konsequenzen im Raum. Jedenfalls bei einem Begründungsmangel ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO wegen Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung[20] begründet, ohne dass das Gericht in eine materielle Rechtsprüfung einsteigt[21]. Dasselbe wäre anzunehmen, wenn von einem Anhörungsgebot ausgegangen wird[22]. Umstritten ist, ob das Verwaltungsgericht in diesen Fällen die aufschiebende Wirkung wiederherstellt[23] oder nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufhebt[24], um die Verwaltung nicht zu hindern, diese formell korrekt zu wiederholen. Gegen die bloße Aufhebung der Anordnung spricht, dass § 80 Abs. 5 VwGO eine solche Entscheidungsbefugnis nicht vorsieht. Zudem hindert die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die Verwaltung nicht an einer erneuten Anordnung, da die Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung nur soweit reicht, wie das Gericht in der Sache entschieden hat, also nur hinsichtlich der formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung bestünde[25]. Sachliche Unterschiede bestehen zwischen beiden Ansichten aber nicht. Nach beiden Ansichten ist der Antrag ohne weitere Sachprüfung erfolgreich. In der Klausur müsste daher hilfsgutachterlich weitergeprüft werden[26]. Nach richtiger Auffassung scheidet eine Nachholung der ordnungsgemäßen Begründung mit heilender Wirkung im Unterschied zur ordnungsgemäßen Wiederholung der Vollziehungsanordnung aus. Die Warn-, Rechtsschutz- und Kontrollfunktion des Begründungserfordernisses lassen sich nicht mit Erwägungen der Prozessökonomie beiseiteschieben[27].

      II. Interessenabwägung

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      Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in materieller Hinsicht rechtswidrig, wenn das Vollzugsinteresse der Stadt S nicht das Aussetzungsinteresse der MS Ltd. überwiegt. Dabei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von entscheidender Bedeutung[28]. Stellt sich die Untersagung bei summarischer Prüfung als rechtswidrig dar, kann an deren sofortigem Vollzug kein überwiegendes Interesse bestehen.

      Hinweis:

      Anders als in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO ist das Vollzugsinteresse in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig, weil der Sofortvollzug nicht auf einer Anordnung des Gesetzgebers, sondern einer solchen der Behörde beruht. Für die (materielle) Rechtmäßigkeit der Anordnung ist deshalb maßgeblich, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiegt[29]. Dies muss im Obersatz zum Ausdruck kommen.

      1. Ermächtigungsgrundlage

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      Wegen der Gewerbefreiheit nach § 1 Abs. 1 GewO bedarf die Untersagung einer Ermächtigungsgrundlage. Eine solche könnte sich in § 15 Abs. 2 S. 1 GewO finden, der die zuständigen Behörden ermächtigt, die Fortsetzung eines Betriebs zu untersagen, der ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird.

      Hinweis:

      Grob fehlerhaft wäre ein Abstellen auf § 15 Abs. 2 S. 2 GewO, da die Rechtsfähigkeit einer ausländischen juristischen Person in Deutschland anerkannt ist[30]. Im Übrigen macht der Sachverhalt hinreichend deutlich, dass die Fortsetzungsuntersagung auf die fehlende gewerberechtliche Erlaubnis gestützt wird.

      2. Formelle Rechtmäßigkeit

      a) Zuständigkeit

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      Die sachliche Zuständigkeit der Stadtverwaltung von S für die Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO ergibt sich aus § 1 ZuVO Rh-Pf Gewerberecht.

      Hinweis:

      Die Zuständigkeit bestimmt sich gemäß § 155 Abs. 2 GewO nach Landesrecht.

      b) Verfahren

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      Laut Sachverhalt wurde die MS Ltd. gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG angehört.

      c) Form

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      Formverstöße sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt eine Begründung für die Fortsetzungsuntersagung gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG vor.

      3. Materielle Rechtmäßigkeit

      a) Tatbestandliche Voraussetzungen

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      Nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebs verhindert werden, wenn ein Gewerbe ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird. Fraglich ist deshalb, ob der Betrieb des Bewachungsgewerbes erlaubnisbedürftig ist. Die Erlaubnisbedürftigkeit könnte sich aus § 34a GewO ergeben. Nach § 34a Abs. 1 S. 1 GewO bedarf der Erlaubnis, wer gewerbsmäßig Leben oder Eigentum fremder Personen bewachen will.

      Vorausgesetzter Gegenstand der Bewachung ist ua das fremde Eigentum. Maßgeblich hierfür sind nicht die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse[31]. Selbst wenn in den Juwelier- und Handygeschäften Waren angeboten werden, die nicht im Eigentum des Ladeninhabers stehen, liegt folglich fremdes Eigentum als Bewachungsgegenstand vor.

      Fraglich ist hingegen, ob die Tätigkeit der Mitarbeiter der MS Ltd. die Kriterien der Bewachung erfüllt. Bewachung ist die auf den Schutz fremden Eigentums gerichtete aktive personale Obhutstätigkeit[32]. Nach dem Sachverhalt beobachten die Mitarbeiter der MS Ltd. aktiv das Verhalten der Kundschaft in den Geschäften und beschränken sich nicht auf passive Tätigkeiten zB eines „Haushüters“[33]. Fraglich könnte aber – in Abgrenzung zu Detekteien iSv § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GewO – die Schutzintention dieser Tätigkeit sein, denn nach dem Sachverhalt schreiten die Mitarbeiter erst dann ein, sobald ein Ladendieb mit der weggenommenen Ware die Kassenzone passiert hat. Allerdings führt diese „Gewahrsamslockerung“ bezogen auf den Eigentumsschutz nicht zu einer Ablehnung des Merkmals der Bewachung. Das Abwarten der Mitarbeiter vor dem Zugriff dient vor allem Beweiszwecken. Es ist nicht gleichzusetzen mit der Ermittlungstätigkeit von Detektiven und rechnet noch der präventiven Bewachung zu[34].

      Schließlich setzt die Erlaubnispflicht die Gewerbsmäßigkeit der Bewachung fremden Eigentums voraus. Dies erfordert eine selbstständige, auf Dauer angelegte Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht. Die MS Ltd. übernimmt die Bewachung selbstständig und fungiert nicht etwa als angestellter „Werkschutz“. Sie ist auch dauerhaft mit Gewinnerzielungsabsicht tätig. Folglich liegen die Voraussetzungen der Erlaubnisbedürftigkeit nach § 34a Abs. 1 GewO vor.