Kyrill-Alexander Schwarz

Aufenthalts- und Asylrecht


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wurde er von den zuständigen Behörden mangels Einreisepapiere zunächst festgehalten. In einer Anhörung erklärt er, dass er mit weiteren Verfolgungen gerechnet habe, wenn er in Afghanistan geblieben wäre. Zudem habe er Angst, erneut ins Gefängnis zu müssen und dort wieder Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seine Tätigkeit im Widerstand möchte er jedoch nicht aufgeben, da er für die Freiheit seines Landes und der religiösen Minderheit weiterkämpfen möchte. Er stellt daher einen Asylantrag.

      Prüfen Sie, ob dem S ein Asylrecht aus Art. 16a Abs. 1 GG dem Grunde nach zusteht.

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      Lösung

      Dem S könnte ein Recht auf Asyl aus Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich dann zustehen, wenn der Schutzbereich des Grundrechts eröffnet ist.

      I. Schutzbereich

      1. Persönlich

      Das Asylgrundrecht steht grundsätzlich nur nichtdeutschen natürlichen Personen zu. Deutscher ist gemäß Art. 116 Abs. 1 GG grundsätzlich derjenige, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Der S ist ausweislich des Sachverhaltes jedoch afghanischer Staatsbürger, weshalb er als Nichtdeutscher (also Ausländer im asylrechtlichen Sinne) gilt. Darüber hinaus ist S auch eine natürliche Person. Da der S sich nunmehr auf deutschem Staatsgebiet aufhält, hat er auch vor Asylantragstellung das Bundesgebiet offensichtlich betreten.

      Der persönliche Schutzbereich ist somit eröffnet.

      2. Sachlich

      Neben dem Hauptmerkmal der politischen Verfolgung müssen auch weitere Kriterien erfüllt sein, auf deren Prüfung es vorliegend ebenfalls ankommt.

      a) Verfolgung

      Vorliegend greift der Herkunftsstaat des S in dessen Religionsfreiheit ein, wenn er diesen auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit verfolgt. Durch diesen Eingriff wird er in seiner Freiheit nicht nur beschränkt, sondern diese wird ihm mittelbar sogar verboten und er muss mit Sanktionen und Unterdrückung rechnen. Insofern kann von einer asylrechtlich relevanten Intensität ausgegangen werden.

      Des Weiteren wird der S auf Grund seiner Beteiligung an einer Widerstandsbewegung verfolgt und inhaftiert. Dies allein mag allerdings noch keine Rechtsgutbeeinträchtigung in asylrechtlich relevanter Intensität begründen. Zwar wurden Gesetze verschärft, um die Minderheit leichter verfolgen zu können. Es fehlen aber jegliche Angaben hinsichtlich des Ausmaßes der Veränderung und einer evtl. Ungleichbehandlung. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass die Inhaftierungen für sich genommen lediglich einer rechtmäßigen Strafverfolgung dienten.

      Eine Rechtsgutbeeinträchtigung könnte sich allerdings durch die körperliche Misshandlung des S im Gefängnis ergeben. Eine solche greift in sein Recht auf körperliche Unversehrtheit ein. Unabhängig vom Grund der Inhaftierung stellt eine körperliche Misshandlung im Gefängnis eine erhebliche Rechtsgutverletzung dar, ist doch der Inhaftierte der staatlichen Gewalt in besonderem Maße ausgeliefert. Wird, wie hier, die Gewaltanwendung mit der Tätigkeit in einer Widerstandsbewegung verbunden, so ist darüber hinaus zu beachten, dass es sich in der Regel insofern um staatliche Maßnahmen handelt, die den Betroffenen einschüchtern sollen, um seine politische Gesinnung zu ändern. Es liegt insoweit also eine Rechtsgutverletzung in asylrechtlich relevanter Intensität vor.

      Hinweis

      Letztlich geht es hier vor allem um eine gute Argumentation, sodass im Ergebnis vieles vertretbar ist. Wichtig ist, dass Sie die Rechtsgutverletzung benennen und erläutern, warum diese Verletzung auch asylrechtlich relevante Intensität ausstrahlt.

      b) Politisch

      Die Verfolgung des S beruht vorliegend auf Zweierlei. Zum einen wird er als Angehöriger einer religiösen Minderheit verfolgt. Insoweit beruht die Verfolgung auf einem asylerheblichen Merkmal, nämlich der Religion. Seine religiösen Überzeugungen kann der S auch nicht einfach ändern. Die Religion einer Person gehört zu den unabänderlichen Merkmalen.

      Zum anderen wird der S als Mitglied einer Widerstandsbewegung verfolgt. Insoweit erfolgt die Verfolgung auf Grund einer anderen politischen Gesinnung, die der Regierung missfällt. Hierbei unterdrückt diese die freie Meinungsäußerung und -bildung des S. Fraglich ist allerdings, ob es sich auch insoweit um ein unabänderliches persönliches Merkmal handelt. Die politische Überzeugung des S ist hier eng mit seiner Religion und der Verbundenheit mit einer entsprechenden Minderheit in seinem Herkunftsland verknüpft. Es ist ihm wichtig, anderen Angehörigen dieser Religion auch aus dem Ausland zu helfen, weswegen er seine exilpolitische Tätigkeit auch nicht einstellen wird und sich damit weiterhin einer Verfolgung im Heimatstaat aussetzt.

      Hinweis

      Auch insoweit ist vor allem eine schlüssige Argumentation wichtiger als das Ergebnis.

      c) Verfolger

      Vorliegend geht die Verfolgung von einer Regierung aus, mithin einer staatlichen Stelle. Es handelt sich damit um einen tauglichen Verfolger.

      d) Verfolgte

      Um als Verfolger im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG gelten zu können, muss er auch individuell von den Verfolgungsmaßnahmen betroffen sein. Auf Grund der Inhaftierung und der körperlichen Misshandlung ist er jedenfalls hinsichtlich seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung unmittelbar und individuell betroffen. Aber auch hinsichtlich seiner Religiosität wurde er bereits Opfer von Verfolgungsmaßnahmen.

      e) Flucht wegen bzw. vor Verfolgung

      Darüber hinaus muss der S auch auf Grund der Verfolgung nach Deutschland geflohen sein. Es bedarf eines Kausalzusammenhangs, für dessen Bewertung auf den Zeitpunkt der Verfolgung abgestellt wird. Der S verließ sein Heimatland unmittelbar nach der Freilassung aus der Haft. Er hatte Angst, erneut inhaftiert zu werden, wenn er nur seine Tätigkeit in der Widerstandsbewegung fortsetzen würde. Diese Annahme wird auch dadurch untermauert, dass er bereits mehrfach in Haft saß.

      f) Verfolgungsprognose

      Die Verfolgung ist im Falle des S unmittelbar und gegenwärtig. Er wurde bereits Opfer der Verfolgung und sie droht auch bei Rückkehr in sein Heimatland.

      Neben dem persönlichen ist somit auch der sachliche Schutzbereich eröffnet.

      3. Einschränkungen

      Im Rahmen des Asylgrundrechts ist zu beachten, dass der Schutzbereich durch gesetzlich normierte, aber auch ungeschriebene Einschränkungen beschränkt wird.

      a) Gesetzliche Einschränkungen

      aa) Drittstaatenregelung

      Nach Art. 16a Abs. 2 GG sind Schutzsuchende vom Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 1 GG ausgenommen, wenn sie aus einem bestimmten Drittstaat eingereist sind. Hierbei ist zu unterscheiden,