Mike Wienbracke

Allgemeines Verwaltungsrecht


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      JURIQ-Klausurtipp

      Wie bereits in der Verortung der für den öffentlich-rechtlichen Vertrag geltenden Vorschriften zum Teil im VwVfG (§§ 54 bis 62 S. 1) und zum Teil im BGB (siehe § 62 S. 2 VwVfG) zum Ausdruck kommt, bewegen sich auch Fallbearbeitungen in diesem Bereich auf der Grenze zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Seiner Grundstruktur nach unterscheidet sich der öffentlich-rechtliche Vertrag denn auch nicht vom privatrechtlichen Vertrag. In beiden Fällen kann ein vertraglicher Anspruch, d.h. das Recht der einen Vertragspartei, von der anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können (vgl. § 194 Abs. 1 BGB), nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Anspruch entstanden, nicht erloschen und durchsetzbar ist. Insoweit ist daher auch in der öffentlich-rechtlichen Klausur zivilrechtlich zu „denken“, d.h. der aus dem Zivilrecht bekannte Aufbau zu wählen:

1. Anspruch entstanden? → Ist der öffentlich-rechtlich (Rn. 97) zu qualifizierende Vertrag (Rn. 95) wirksam zustande gekommen, d.h. ist die Schriftform des § 57 VwVfG (Rn. 106 und Rn. 117) gewahrt, die etwaig erforderliche Zustimmung Dritter bzw. die Mitwirkung anderer Behörden nach § 58 VwVfG erfolgt (Rn. 104 f.) und liegt auch i.Ü. keine Nichtigkeit i.S.v. § 59 VwVfG (Rn. 115 ff.) vor?
2. Anspruch erloschen? → Erlöschenstatbestände enthalten u.a. § 60 VwVfG (Rn. 114) und § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 275, 323 ff., 362 BGB.
3. Anspruch durchsetzbar? → Einredetatbestände sind v.a. in § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 214, 242, 273 und 320 BGB enthalten.

      Inhaltlich – und insoweit ist die Klausur wieder originär öffentlich-rechtlich – sind die öffentlich-rechtlichen Normen (des VwVfG, vgl. dessen § 62 S. 1, sowie v.a. die Grundrechte) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, an welche die Behörde auch bei Wahl der vertraglichen Handlungsform gebunden ist (Rn. 107 f.).

      Im Fall der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung muss die jeweils andere Vertragspartei Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben, um ihren Anspruch zwangsweise durchzusetzen. Dies gilt auch für die Behörde, die sich durch den Vertragsschluss mit dem Bürger auf die Ebene der Gleichordnung begibt und ihre Ansprüche aus öffentlich-rechtlichem Vertrag daher nicht einseitig mittels Verwaltungsakt fest- und durchsetzen darf (Argument der „Waffengleichheit“; Rn. 127). Zur Möglichkeit der Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung siehe § 61 VwVfG.

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      Erforderlich hierfür sind mindestens zwei mit Bezug aufeinander abgegebene, sich inhaltlich entsprechende und mit Rechtsbindungswillen (andernfalls: unverbindliche informelle Absprache wie z.B. gentlemen's agreement), Handlungswillen sowie (potentiellem) Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärungen in Form von Angebot und Annahme, die zu ihrem Wirksamwerden dem jeweils anderen zugehen müssen, siehe § 62 S. 2 VwVfG i.V.m. §§ 130, 145 ff. BGB. Da die Behörde nicht rechtsfähig, d.h. kein eigenständiges Rechtssubjekt ist, ist nicht sie selbst Vertragspartner des Privaten (natürliche oder juristische Person oder teilrechtsfähige Vereinigung), sondern vielmehr derjenige Rechtsträger, dem ihre Erklärungen zugerechnet werden (vgl. Rn. 49).

      Hinweis

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      Kein Fall des § 54 VwVfG, sondern vielmehr des § 35 S. 1 VwVfG, liegt hingegen vor, wenn der Bürger aufgrund eines gesetzlich vorgesehenen Antrags- oder Zustimmungserfordernisses lediglich Einfluss darauf hat, ob eine einseitige behördliche Regelung überhaupt ergeht oder nicht (mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt, z.B. Beamtenernennung; Rn. 46). Voraussetzung für eine vertraglich herbeigeführte Regelung ist vielmehr, dass der Private Gelegenheit hat, auch auf den Inhalt des Rechtsverhältnisses Einfluss zu nehmen. Bedeutsam wird diese Unterscheidung insbesondere dann, wenn die Behörde über die Wahlmöglichkeit verfügt, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen (Subordinations-)Vertrag mit demjenigen zu schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde, vgl.