Mike Wienbracke

Allgemeines Verwaltungsrecht


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in jedem Fall, in dem ein Verwaltungsvertrag gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, zugleich ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB vorliegt und damit dessen Nichtigkeit gem. § 59 Abs. 1 VwVfG eintritt. Denn andernfalls wäre die in § 59 Abs. 2 VwVfG enthaltene, abschließende (enumerative) Aufzählung von Nichtigkeitsgründen überflüssig und könnte das gesetzgeberische Ziel der Wirksamkeit schlicht rechtswidriger Verwaltungsverträge (Rn. 113) nicht erreicht werden. Erforderlich ist im Rahmen von § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB vielmehr ein qualifizierter Fall der Rechtswidrigkeit. Dieser liegt vor, wenn der Verwaltungsvertrag gegen ein Gesetz verstößt, das entweder ein Handeln der Verwaltung in Vertragsform überhaupt (Vertragsformverbot; Rn. 102) oder den Inhalt des Verwaltungsvertrags (den mit ihm bezweckten Erfolg oder das zu dessen Herbeiführung erforderliche Verhalten der Parteien) schlechthin verbietet (z.B. § 2 Abs. 2 BBesG bzgl. einer vom zwingenden Beamtenrecht abweichenden Besoldung), was im Wege der Auslegung der jeweiligen Rechtsvorschrift zu ermitteln ist. Kriterien sind insoweit namentlich der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck der die Rechtswidrigkeit begründenden Norm, die Erheblichkeit des Verstoßes, das öffentliche Interesse im Einzelfall an der (Nicht-)Einhaltung der Rechtsordnung etc. Nicht ausreichend für die Annahme eines qualifizierten Rechtsverstoßes i.S.v. § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB ist es hingegen, wenn die betreffende Vorschrift lediglich die Art und Weise des Zustandekommens des Verwaltungsvertrags betrifft.

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      3. Teil Handlungsformen der VerwaltungB. Handlungsformen der Verwaltung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts › III. Übungsfall Nr. 2

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      „Money for nothing“

kein Alternativtext verfügbar

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      E ist Eigentümer eines in der kreisfreien nordrhein-westfälischen Stadt S gelegenen Grundstücks, welches er mit einer dreigeschossigen Wohnanlage bebauen möchte. Diesem Vorhaben standen bislang allerdings die Festsetzungen des insoweit geltenden Bebauungsplans entgegen, der nur eine eingeschossige Bebauung vorsah. Nach längeren Vorbesprechungen einigen sich E und S in dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrag schließlich darauf, dass der Bebauungsplan entsprechend abgeändert wird, „wenn E einen Betrag i.H.v. 50 000 € an S zahlt“. S beabsichtigt, diese Summe zur Begleichung der durch das Bauvorhaben des E ausgelösten Folgekosten zu verwenden. Angesichts der angespannten Haushaltslage kann S es andererseits aber auch nicht ausschließen, das Geld zum Erwerb dringend benötigter PCs für die Mitarbeiter im Rathaus zu verwenden. Um insoweit über eine größtmögliche Flexibilität zu verfügen, heißt es in dem zwischen E und S geschlossenen Vertrag daher, dass die 50 000 € „zur freien Verfügung“ von S stehen sollen.

      Daraufhin zahlt E an S vereinbarungsgemäß die 50 000 €. Aufgrund kommunalpolitischer Querelen kommt es nachfolgend allerdings nicht zur Änderung des Bebauungsplans. E ist frustriert und klagt nach erfolglosem außergerichtlichem Vorgehen gegen S vor dem LG auf Rückzahlung der 50 000 €. Nach Anhörung der Parteien erklärt das LG den Zivilrechtsweg durch Beschluss für unzulässig und verweist den Rechtsstreit an das zuständige VG. Wie wird dieses in dieser Sache entscheiden?

      Bearbeitervermerk: Vom ordnungsgemäßen Zustandekommen des Vertrags ist auszugehen. Die §§ 1 Abs. 3 S. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3, 124, 133 Abs. 3 S. 5 BauGB und § 59 Abs. 1 VwVfG NRW sind ebenso wenig zu prüfen wie die Frage des Ausschlusses eines etwaig bestehenden Rückzahlungsanspruchs.

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      Lösung

      Die Klage ist begründet, wenn E gegen S einen Anspruch auf Rückzahlung der 50 000 € hat.

      I. Anspruchsgrundlage

      Mangels Eingreifens einer Spezialregelung wie z.B. § 49a VwVfG NRW kommt insoweit nur der mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannte allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als Anspruchsgrundlage in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Anspruchsgegner vom Anspruchsteller aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehung etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat, vgl. auch §§ 812 ff. BGB.

      1. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung

      Vorliegend hat S von E Eigentum und Besitz an den 50 000 € erlangt. Fraglich ist, ob diese Vermögensverschiebung auf Grundlage einer öffentlichen-rechtlichen Rechtsbeziehung erfolgt ist. Rechtsgrundlage für die Zahlung der 50 000 € von E an S war der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag. Ob dieser öffentlich-rechtlichen Natur ist, richtet sich nach dessen Gegenstand. Dabei ist insbesondere darauf abzustellen, ob sich der Vertrag auf Sachverhalte bezieht, die das Gesetz öffentlich-rechtlich regelt (Kriterium des Sachzusammenhangs).

      Gegen einen derart zu qualifizierenden Zusammenhang könnte hier sprechen, dass die Zahlung der 50 000 € von E an S nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu der als öffentlich-rechtlich einzustufenden Änderung des Bebauungsplans durch S stand. Vielmehr war Letztere durch die Geldzahlung lediglich bedingt („wenn E einen Betrag in Höhe von 50 000 € an S zahlt“). Einen Rechtsanspruch des E gegen S auf die Planänderung hatten die Parteien im Vertrag demgegenüber gerade nicht ausdrücklich vereinbart.

      An dem tatsächlichen Vorhandensein eines engen Sachzusammenhangs zwischen der Zahlung des E und der von S vorzunehmenden Planänderung vermag dieser Umstand jedoch nichts zu ändern (hinkender Austauschvertrag). Der einzige Zweck der Geldzahlung bestand darin, die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen für das Vorhaben des E zu schaffen. Hiervon ist auch S ausgegangen. Hinzu kommt, dass das Geld letztlich dazu verwendet werden sollte, Folgekosten zu finanzieren, die S durch das Bauvorhaben des E entstehen würden (wenngleich auch eine andere Verwendung nicht ausgeschlossen ist). Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine öffentlich-rechtliche Materie, vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB.