Achim Bönninghaus

Schuldrecht Besonderer Teil I


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des Verkäufersitzes

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      Es kann vorkommen, dass der Verkäufer die Ware gar nicht bei sich hat, sondern ausgelagerte oder „rollende“, auf dem Antransport befindliche Ware verkauft hat. Denkbar ist auch, dass die verkaufte Ware direkt vom Lieferanten des Verkäufers an den Käufer verschickt werden soll.

      Beispiel

      V mit Geschäftssitz in Köln soll die Ware dem K nach Berlin (Ablieferungsort) versenden. Die Ware befindet sich im Lager des V in Kassel und wird von dort direkt per Kurier nach Berlin geschickt.

      Wenn sich der Käufer mit einer Versendung von einem anderen Ort als dem Sitz des Verkäufers aus (Vereinbarung etwa: „Lieferung ab Lager Kassel“) einverstanden erklärt hat, haben die Parteien den Absendeort einvernehmlich festgelegt und damit einen speziellen Leistungsort i.S.d. § 269 Abs. 1 bestimmt. Die Gefahr geht dann bei Übergabe der Ware an die Transportperson am betreffenden Ort auf den Käufer über. In diesen Fällen fallen Absendeort und Leistungsort in Wahrheit gar nicht auseinander.

      Hinweis

      Denken Sie immer daran, dass sich der Leistungsort nach § 269 nur „im Zweifel“ am Sitz des Schuldners befindet. Er kann bei abweichender Festlegung auch ganz woanders liegen!

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      Kommt § 447 aber auch dann zur Anwendung, wenn die Versendung von einem anderen Ort als dem Leistungsort erfolgt? Im Beispiel liegt dieser Fall vor, wenn K keine Kenntnis vom Lagerort der Ware hatte und nach der Vereinbarung davon ausgehen konnte, die Lieferung erfolge ab dem Sitz des Verkäufers in Köln.

      JURIQ-Klausurtipp

      Beide Ansichten sind gut vertretbar. Für die Auffassung der h.M. spricht, dass sie den Anwendungsbereich des § 447 klarer eingrenzt und dass der Verkäufer den Leistungsort nicht eigenmächtig verlegen kann. Die Gegenauffassung muss sich vorhalten lassen, dass sie mit dem Kriterium der „Gefahrerhöhung“ keine verlässliche Eingrenzung des § 447 erreichen kann.

      ee) Auslieferung an Transportperson

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      Nach § 447 geht die Gefahr in dem Moment auf den Käufer über, in dem der Verkäufer „die Sache dem Spediteur, dem Frachtführer oder der sonst zur Ausführung der Versendung bestimmten Person oder Anstalt ausgeliefert hat.“

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      Umstritten ist, ob auch eigene Mitarbeiter des Verkäufers bzw. dieser selber Transportperson i.S.d. § 447 sein kann. Dies hätte zur Folge, dass im Versendungskauf auch der eigene Transport mit Mitteln des Verkäufers den frühen Gefahrübergang nach § 447 herbeiführt.

      Beispiel

      Winzer W hat dem K 10 Kisten Riesling verkauft. K bittet ihn, den Wein an seinen Wohnort zu übersenden. W hat etliche Kunden zu beliefern, die in der Nähe des K wohnen. Er beauftragt deshalb seinen Angestellten A damit, den Transport durchzuführen. Die gesamte Ware geht infolge eines von A nicht verschuldeten Verkehrsunfalls unter. Der Unfallverursacher bleibt unbekannt. Muss K den vereinbarten Kaufpreis entrichten, obwohl er den Wein nicht erhält?

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      Im Beispiel ist nun entscheidend, ob der Angestellte A eine „sonst zur Versendung bestimmte Person“ im Sinne des § 477 Abs. 1 ist: Dafür spricht auf den ersten Blick der Wortlaut der Norm, die keinerlei Einschränkung erhält. Zweifel ergeben sich allenfalls aus dem Zusammenhang mit den beispielhaft genannten Transportpersonen. Denn Spediteur und Frachtführer sind gegenüber dem Verkäufer eigenverantwortliche, selbstständige Dritte.

      Je nachdem, welcher Ansicht man sich anschließt, hat W im Beispiel den Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegen K gem. § 326 Abs. 1 S. 1 verloren oder nicht.

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      Folgt man der h.M. muss man beim Transport durch eigene Leute großes Augenmerk auf die Frage richten, ob der Untergang/Verschlechterung wirklich „zufällig“, also vom Verkäufer nicht zu vertreten ist. Nehmen wir einmal an, im vorigen Beispiel sei der Unfall vom A verschuldet worden. Einer Zurechnung seines Verschuldens nach § 278 könnte entgegenstehen, dass der Verkäufer (W) zum Transport bei vereinbarter Schickschuld ja nicht verpflichtet ist und der A deshalb nicht „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ i.S.d. § 278 tätig wird.

      Hinweis

      Im Fall des Transports durch fremde Personen kommt eine dem Verkäufer nach § 278 zurechenbare Rücksichtspflichtverletzung während des Transports nicht in Betracht. § 278 ist zum einen deshalb nicht anwendbar, weil der Transporteur nicht im Leistungspflichtenkreis des Schuldners tätig wird (s.o.). Zum anderen schuldet der Verkäufer während des Transports durch fremde Personen mangels eigener Beteiligung kein besonderes Verhalten im Umgang mit der Sache. Auch insoweit können fremde Transportpersonen also keine Erfüllungsgehilfen des Verkäufers