Kerstin Groeper

Im Eissturm der Amsel


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zurück: „Wir haben gesiegt!“ Ja, sie hatten ihre Toten gerächt! Sie hatten die Ree besiegt! Zufrieden sah er auf die Frauen und Kinder, die klagend in die Gefangenschaft geführt wurden. Er schluckte Staub, als die geraubten Pferde vorbeigetrieben wurden. Ihre Kriegs-Medizin war gut gewesen! Er verschwendete keinen Gedanken daran, dass dieser Angriff wiederum Racheaktionen der Ree nach sich ziehen würde. Er war Tokala, und es war seine Pflicht, das Volk zu schützen. Wenn sie kamen, wäre er bereit! Er fühlte den Triumph des Sieges, der durch sein Blut rauschte, und es fühlte sich gut an. Nun galt es, ohne weitere Verluste nach Hause zurückzukehren und den Sieg auszukosten

      Die Krieger trieben die Pferde über die hügelige Prärie und gönnten sich keine Pause. Sie befürchteten, dass die Palani sich sammeln und ihnen nachsetzen würden. Diese Sorge war nicht unbegründet, doch die Ree hatten so viele Verluste erlitten, dass sie vermutlich erst ihre Toten bestatten würden, ehe sie ihnen nachsetzen würden. Als es dunkel wurde, sammelten sich die Tituwan in einem Tal und hatten zum ersten Mal Zeit, ihre eigenen Verluste zu zählen. Zwei Männer waren verwundet, konnten aber noch reiten. Drei Männer wurden vermisst, und die Krieger gingen davon aus, dass sie getötet worden waren. Das minderte den Siegesrausch, denn man brachte Trauer zurück ins Dorf.

      Thimahel-okile erkundigte sich, ob jemand gesehen hätte, dass die Männer gefallen waren. Ein Mann namens Gefleckter-Hund erzählte, dass er einen der Vermissten am Wasser gesehen hätte, als er das Baby herausgezogen hatte. „Ich sah, wie Krummes-Bein davongaloppiert ist. Vielleicht kommt er noch?“

      „Er wurde nicht getroffen?“ Der Anführer sah den Krieger mit ernstem Gesicht an.

      „Nein!“

      Ein anderer Mann berichtete, dass einer seiner Freunde durch einem Schuss vom Pferd geworfen worden war. „Ich wollte zu ihm und ihm helfen, wurde aber von zwei Palani bedrängt. Dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

      „Hohch!“, knurrte Thimahel-okile unterdrückt. „Vielleicht haben diese Maisfresser ihn erwischt und martern ihn nun über ihren Feuern.“

      „Oder er konnte flüchten!“, hoffte Wambli-luta.

      „Wir sollten zurückkehren und nach ihm sehen. Wir dürfen unsere Freunde nicht in den Händen der Palani lassen.“ Thimahelokile sah auffordernd von einem zum anderen. „Wer begleitet mich?“

      Einige Krieger stimmten sofort zu. Auch Wambli-luta meldete sich sofort. Er war Tokala und es wurde von ihm erwartet. Außerdem machte er sich Sorgen um seinen Cousin. Krummes-Bein gehörte zu seinen besten Freunden, und er befürchtete, dass er gefallen sein könnte. Zehn weitere Krieger äußerten spontan, dass sie den Anführer erneut begleiten würden. Der Angriff war ein voller Erfolg gewesen, und sie vertrauten seiner guten Medizin. Schnell wurde beschlossen, dass ein Teil der Krieger die erbeuteten Pferde und die Gefangenen ins Dorf zurückbringen sollten, während die anderen am Morgen zurückreiten würden, um nach den Vermissten zu suchen.

      „Vielleicht tauchen sie ja noch auf?“, hoffte Wambli-luta. Der Platz für ihr Nachtlager war bekannt und als Treffpunkt ausgemacht worden.

      Die Nacht verlief unruhig, denn die Männer befanden sich noch im Rausch des Kampfes und konnten kaum die Augen schließen. Kurz vor der Morgendämmerung horchten die Krieger auf, denn sie konnten in der Ferne den Hufschlag eines Pferdes hören. Einige Wachposten gaben Entwarnung, und kurze Zeit später ritt ein reichlich müder Krieger mit einem schlafenden Baby im Arm in das Lager. Es war Krummes-Bein! Die anderen umringten ihn und nahmen ihm das Kind aus den Armen. „Wo warst du so lange?“, wollte Wambli-luta wissen. „Ich habe mir Sorgen gemacht!“ Krummes-Bein ließ sich vom Pferd gleiten und hob die Hände. „Ich musste mich verstecken, weil sie mich fast erwischt hätten. Ich konnte erst weiter, als es dunkel war.“

      Thimahel-okile legte nachdenklich den Kopf schief. „Sind sie dir gefolgt?“

      „Nein, ich habe nichts gehört. Sie sind im Dorf und trauern um ihre Toten!“

      „Hast du gesehen, ob sie einen von uns gefangengenommen haben?“

      Wieder schüttelte Krummes-Bein den Kopf. „Nein. Ich konnte das Dorf sehen. Sie haben ihre Wut an niemandem ausgelassen. Sie haben ihre Toten geholt und Trauergesänge gesungen. Haben auch wir Verluste erlitten?“ Der Mann sah sich mit großen Augen um.

      Thimahel-okile kniff fragend die Augen zusammen. „Wir vermissen Habicht-der-am-Boden-geht und Guter-Bär. Hast du sie gesehen?“

      Das Gesicht von Krummes-Bein verdüsterte sich. „Ja! Ich sah, wie Guter-Bär fiel. Er ist tot. Habicht-der-am-Boden-geht müsste auch bald kommen. Er hatte kein Pferd und machte sich zu Fuß auf den Weg. In der Dunkelheit sieht ihn bestimmt niemand! Wir sollten ihm einen Reiter entgegenschicken.“

      Thimahel-okile nickte zustimmend und machte eine gebieterische Handbewegung, woraufhin zwei junge Krieger sich sofort mit ihren Pferden auf den Weg machten. Stille breitete sich aus, als die Männer an Guter-Bär dachten. Er war ein Lanzenträger der Tokala gewesen. Er hatte seine Aufgabe erfüllt. Wambli-luta schluckte schwer, denn Guter-Bär war einer seiner Freude gewesen. Er fühlte Wut in sich, aber auch eine tiefe Trauer. Der Sieg hatte nun einen bitteren Beigeschmack. Aber sein Freund hatte tapfer gekämpft und so war es ein guter Tod gewesen. Wambliluta richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Cousin, der sich das Kind geben ließ.

      „Was hast du mit ihm vor?“, fragte Thimahel-okile.

      „Es ist ein kleiner Junge. Ich gebe ihn einer Familie, die einen Verlust erlitten hat. Er wird einmal groß und stark werden, und unserem Volk zur Zierde gereichen.“

      Etwas skeptisch musterten die Männer das Bündel, das einen eher hilflosen Eindruck vermittelte. Der kleine Junge, der noch keinen Winter zählte, war vor Erschöpfung eingeschlafen. Sein Gesicht war tränennass, und im Schlaf hatte er etwas Schluckauf, was die Männer zum Lachen reizte.

      „Gib das Kind einer der Gefangenen!“, meinte Thimahel-okile. „Sie soll sich darum kümmern.“

      Krummes-Bein humpelte zu den Frauen, die still in einem engen Kreis hockten und sich in ihr Schicksal ergeben hatte. Ein Mädchen sah auf, als er sich näherte, und rückte etwas weg, als wollte es vor ihm davonlaufen. Der Mann gab ihr zu verstehen, dass er ihr nichts tun würde, und drückte ihr das Kind in die Arme. „Du achtest auf ihn!“, befahl er mit Gesten. „Dann geschieht dir nichts!“ Mit diesen Worten humpelte er wieder zurück. Ein Bison hatte letzten Sommer sein Bein aufgeschlitzt und die Sehnen verletzt, sodass er seitdem ein Bein etwas nachzog. Es hinderte ihn jedoch nicht beim Reiten, und seine Kampfkraft wurde nach wie vor sehr geschätzt.

      Am frühen Morgen kehrten die beiden Krieger, die nach Habichtder-am-Boden-geht sehen sollten, in Begleitung des Kriegers zurück. Er hatte eine Schussverletzung, die nur notdürftig versorgt worden war. „Hohch!“, stöhnte er, als er vom Pferd glitt. Sein Gesicht war grau vor Schmerzen. Sogleich kümmerte sich ein Mann um ihn, der Kenntnisse hatte, wie man solche Verletzungen behandelte. Die Wunde war sauber, aber tief. Zum Glück blutete sie nicht mehr, sodass der Heiler einige schmerzstillende Kräuter darauf presste und dann den Arm in eine Schlinge legte, um ihn ruhigzustellen. Mehr konnte man im Moment nicht tun. Die Krieger konnten auch keine große Rücksicht auf ihn nehmen, denn sie mussten aufbrechen, um einer möglichen Verfolgung vorzubeugen.

      Die Gefangenen wurden hochgetrieben und auf Pferde gesetzt. Um eine Flucht zu verhindern, wurden ihnen die Beine unter den Bäuchen der Pferde zusammengebunden und die Hände gefesselt. Drei kleine Kinder wurden Knaben mitgegeben, die sonst die Aufgabe hatten, Wasser zu holen oder die Pferde anzutreiben. Die Kinder weinten leise, als die Jungen sie mit wenig Begeisterung vor sich auf dem Pferd hielten. Auch das Baby weinte leise, und konnte von dem jungen Mädchen kaum beruhigt werden.

      Sie war nicht unerfahren, hatte aber nichts, um den Hunger des Kleinen zu stillen. Krummes-Bein ritt heran und drückte dem Mädchen etwas Trockenfleisch in die Hand, damit sie es weichkauen und dem Kind geben konnte. Außerdem gab er ihr eine Kalebasse mit Wasser, damit der Junge trinken konnte. Er war wohl noch die Brüste seiner Mutter gewöhnt, hatte aber so einen Durst, dass er gierig das Wasser trank, das sie ihm anbot. Krummes-Bein lächelte wohlwollend und gab auch dem Mädchen