Vorwort
Wir wollen die Leserinnen und Leser einladen, Systemische Soziale Arbeit kennen zu lernen und deren Nutzen zu prüfen. Damit übernehmen wir die Aufgabe, die abstrakte Sprache der Systemtheorie zu veranschaulichen und verständlich und lesbar zu bleiben. Bitte seien Sie nachsichtig mit uns. Dies ist ein Einführungsbuch, aber nicht immer ein einfaches Buch.
Systemtheorie läuft auf eine besondere Art des Nachdenkens hinaus und ist immer wieder mit Hoffnungen verbunden worden. Ein Vorteil der Theorie ist, dass sie Umwelt einbezieht und daher nicht als geschlossen betrachtet werden muss. So werden in diesem Buch Brücken zu anderen Ansätzen gebaut.
Das Buch wendet sich an Leser – wir meinen immer beide Geschlechter – die noch am Anfang der Begegnung mit diesem Bündel von Theorien stehen. Um Brücken zu bauen, ist es erforderlich, dass der Text zwischen verschiedenen sprachlichen Ebenen wechselt: zwischen Fachsprache und Alltagssprache, zwischen Perspektiven auf die Theorie von außen und von innen, zwischen unterschiedlichen Graden der Abstraktion, zwischen Praxisbeispielen und theoretischen Höhenflügen.
Diese Hinweise wollen darauf vorbereiten, beim Lesen auf Wechselbäder gefasst zu sein. Wir wollen ermuntern, mitunter Textpassagen zu überspringen, oder in einer Reihenfolge zu lesen, die nicht der linearen Abfolge entspricht. Diese Möglichkeit des Umgangs mit dem Buch verweist auf eine Besonderheit der Theorie: Systemtheorie ist auf die Beschreibung von Relationen ausgelegt. Wie in einer „richtigen“ Beziehungsgeschichte kann man bestimmte Angelegenheiten von der einen oder von der anderen Seite aus betrachten.
Anliegen des Buches ist es, mit dem Verständnis und dem Gebrauch systemtheoretischer Grundbegriffe vertraut zu machen und ihren Nutzen für die Soziale Arbeit zu zeigen. Diesen Zusammenhang von Systemtheorie und systemischer Praxis Sozialer Arbeit wollen wir stärken. Die Potenziale des Ansatzes sind weder technisch-instrumentell, noch bestandserhaltend oder unkritisch. Gerade die Möglichkeit, Systembeziehungen zu betrachten, ermöglicht es, Alternativen zu prüfen und Freiräume für Veränderung zu nutzen.
Wir möchten dazu ermutigen, vertraute Denkgewohnheiten aufzulockern, soziale Zusammenhänge mit neuen Begriffen zu analysieren, sich von den daraus entstehenden Ergebnissen zu überzeugen und nicht von den theoretischen Ansprüchen einschüchtern zu lassen. Nach unserer Überzeugung liefert die systemische Perspektive eine Fülle tragfähiger Orientierungen, die Position der Sozialen Arbeit zu bestimmen.
Inhaltlich strukturiert ist das Buch wie folgt: Im ersten Teil wird in der Form einer Einführung grundsätzlich nach der Bedeutung von Systemtheorie und systemischer Praxis für die Soziale Arbeit gefragt. Im zweiten Teil des Buches wird ein Theorie-Netz aufgebaut. Dabei werden jeweils systemtheoretische Fragestellungen und Zugänge zur Theorie angeboten, um dann die Leistungspotenziale der Theorie für die Soziale Arbeit einzufangen. Im dritten Teil bieten wir Zugänge zu grundlegenden Handlungsorientierungen systemischer Praxis. Dabei werden die besonderen Bedingungen Sozialer Arbeit berücksichtigt und Begriffe zur differenzierten Beobachtung und Beschreibung professioneller Situationen angeboten.
Die 2. Auflage geht direkter auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der Sozialen Arbeit ein. Der ökologische Wandel, die Folgen der Veränderungen des Klimas, die Digitalisierung und die Spaltung der Gesellschaft verändern das Umfeld und die Soziale Arbeit. Die Möglichkeiten, darauf aktiv und mit an sozialer Freiheit ausgerichteten Antworten zu reagieren, sollen durch den hier vertretenen Ansatz gestärkt werden. Die neue Auflage bringt mehr Vielfalt im Hinblick auf eine gendergerechte Sprache. Grundsätzlich sind immer alle Geschlechter und Identitätsformen gemeint. Der Mix aus alten und neuen Texten führt zu einem unsystematischen Wechsel der Sprachformen, wir hoffen aber, Sie finden sich hinreichend berücksichtigt und können die Texte mit Gewinn lesen.
Nürnberg und Bamberg, im Frühjahr 2021
Wilfried Hosemann und Wolfgang Geiling
1Einführung | |
Das Einführungskapitel möchte einen Brückenschlag zur Systemischen Sozialen Arbeit eröffnen, der im gesamten Buch weiter geführt und im Einzelnen begründet wird. Zunächst klären wir den Nutzen dieser Perspektive und interpretieren die theoretische Ausgangslage. Dabei konzentrieren wir uns auf die „Passungen“, die Basisargumente und die zentralen Zugewinne dieses Vorgehens. | |
1.1Systeme und Systemtheorie | |
Seit der Antike wird darüber nachgedacht, wie Zusammenhänge in der beobachteten Vielfalt zu beschreiben sind und wie Ordnung in die Pläne kommt, nach denen vorgegangen wird. Als besonders attraktiv haben sich die Auseinandersetzungen um sich ,selbst ordnende Zusammenhänge‘ herausgestellt. Hier werden wesentliche Vorteile, Besonderheiten, Inhalte und Kontroversen des Systembegriffs vorgestellt. | |
1.1.1Die Vorzüge systemischen Denkens | |
Soziale Arbeit hat es mit vielen unterschiedlichen Interessen und Perspektiven zu tun. Es ist beispielsweise oft nicht klar, wer Auftraggeber ist oder wie aktuelle und längerfristige Ziele zusammenhängen. Systemtheoretische Überlegungen helfen bei solchen Ausgangslagen, fachliche Positionen zu bestimmen, Orientierungen in komplexen Situationen zu gewinnen und Interessen der Adressaten zu berücksichtigen. Eines der Motive, sich mit Systemtheorie zu beschäftigen, liegt daher in dem Mehr an Klarheit in Bezug auf eigene Zuständigkeiten und im Zugewinn von Sicherheit im Umgang mit komplexen Ansprüchen an die Soziale Arbeit. | komplexe Anforderungen |
Der allgemeine und häufige Gebrauch des Begriffs System führt aber auch zu Unklarheiten. Dies begründet die Notwendigkeit, sich genauer mit dem Verständnis von Systemtheorien und ihren Begriffen in der Sozialen Arbeit vertraut zu machen – auch, um sie kritisch betrachten zu können. Für das professionelle Mitgestalten des sozialen Zusammenlebens ist es notwendig, verantwortlich mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen des Wirkens umzugehen. | |
Die Systemtheorie, wie sie im Folgenden vermittelt wird, setzt bei genau dieser Verantwortlichkeit an. Sie lässt Soziale Arbeit nicht bei ihren Adressaten oder bei Problemen beginnen, sondern bei der Beobachtung der eigenen Konzepte und des eigenen Handelns. Dieses auf die eigenen Gedanken, Handlungen und Voraussetzungen gerichtete, prüfende Nachdenken ist kennzeichnend für die reflexionsbasierte Profession Soziale Arbeit (Dewe / Otto 2002, 2011) und zugleich für angewandte Ethik. | Selbstbeobachtung Sozialer Arbeit |
Die zunächst schwierige und abstrakte Sprache der Systemtheorie ermöglicht die Beschreibung von unterschiedlichen Zusammenhängen (z. B. biologischen, psychischen, organisatorischen und gesellschaftlichen) mit einheitlichen Begriffen. Eine Folge dieser Abstraktion ist, dass systemtheoretische Theorien und Analysen keine eindeutigen Rezepte richtigen Handelns liefern. Wenn man so will, ist Systemtheorie für sich genommen zunächst inhaltlich offen und – bezogen auf ihre Ausrichtung an menschlichen und sozialen Werten – interpretationsbedürftig. Erst durch die ,Selbstverarbeitung‘ der Theorie durch die Soziale Arbeit gewinnt Systemtheorie unmittelbar an Bedeutung. | Interpretationsbedürftigkeit |
Sie ähnelt in diesem Sinne einem Werkzeug. Welche Rahmen und Bezugspunkte der Sozialen Arbeit im praktischen Handeln jeweils wichtig sind, bestimmt sie auch unter Zuhilfenahme von Wissen aus anderen Wissenschaftsbereichen, wie z. B. der Soziologie oder dem Recht. Soziale Arbeit könnte ihre Entscheidungen jeweils auch an anderen Erklärungszusammenhängen ausrichten. Daher braucht sie eine Theorie, die beobachter- und kontextbezogenes Denken fördert. Genau dies leistet Systemtheorie. | Systemtheorie als Werkzeug |
1.1.2Die Besonderheiten systemischen Denkens | |
Es gibt verschiedene Arten der Beschreibung von Menschen. Dies kann beispielsweise geschehen über |
●Eigenschaften
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