Wilfried Hosemann

Einführung in die Systemische Soziale Arbeit


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(Person X kann beschrieben werden als zugehörig zu einer Organisation, sozialen Gruppe, Schicht, Klasse oder einem Milieu).Im Gegensatz zu einem Denken, das sich durch die Beschreibung von Eigenschaften kennzeichnet, die bestimmten Objekten oder Personen zugeordnet werden, orientiert sich systemische Theoriebildung an●Relationen (orientiert an Beziehungen),●Rückwirkungen (orientiert an Zirkularität) und●zeitlichen Prozessen (orientiert an Stabilität und Veränderungen).Diese Merkmale werden im Folgenden kurz veranschaulicht.Beziehungsorientierung

Abb. 1: Bedeutung von MusternBeziehungen zwischen EinzelelementenWenn eine Melodie in der Notenschrift auf Papier gebracht ist, sind dort die einzelnen Töne beschrieben. Hört man nun jeden einzelnen Ton und macht dazwischen eine längere Pause, hat man zwar alle Töne nach einiger Zeit wahrgenommen, die Melodie aber trotzdem nicht gehört. Die Melodie scheint nicht in den einzelnen Tönen zu stecken (denn diese kommen z. B. auch in anderen Kombinationen vor), sondern in einem spezifischen Muster.
Beziehungen sind nicht auf der einen oder anderen Seite von Elementen oder Personen zu entdecken, sondern zwischen ihnen. Mit dem Begriff Relationen werden Verbindungen beschrieben, die aber keine Interaktionsbeziehungen sein müssen.verbindende RelationenRückwirkungenDie Beschreibung von Rückwirkungen auf Ausgangszustände führt zu einer veränderten Sichtweise von Zusammenhängen. Nicht mehr die einseitige Wirkung von A auf B leitet die Beschreibung von Rückwirkungen auf Ausgangszustände, sondern auch Rückwirkungen, die von B auf A beobachtbar sind. Dieses Prinzip ist Grundgedanke aller ökologischen Überlegungen und wird hier am Verhalten von Personen veranschaulicht.Rückwirkungen statt einseitiger Kausalitäten
imageAbb. 3: Lebenszyklus der Amöbe (Kriz 1999, 59)Die Beobachtung des Lebenszyklus verdeutlicht, dass1.ständiger Wandel zur Normalität des Kreislaufs gehört,2.sehr unterschiedliche Zustände Bestandteil dieses Lebenszyklus sind,3.die Beobachtung einzelner Stationen eine Auswahl durch den Betrachter bedeutet,4.sich der Vorgang wiederholt, aber die Elemente bei aller Ähnlichkeit neue Elemente sind, und5.erst eine Gesamtschau den Blick auf die grundsätzlich passenden Umweltbedingungen erlaubt.Um Ihnen den Einstieg in systemische Überlegungen zu erleichtern, möchten wir Sie noch zu der folgenden kleinen Geschichte einladen.Systemtheorie im Alltag
Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einer Bushaltestelle. So wie Sie stehen, kann man Sie als Teil einer Gruppe von Wartenden beschreiben. Der Bus kommt, Sie steigen ein und bezahlen beim Busfahrer. Nach dem nächsten Stopp des Busses bekommt einer der Fahrgäste plötzlich Herzschmerzen und japst nach Luft. Ihm wird ganz schwindelig, und einige andere Fahrgäste beginnen, sich um ihn zu kümmern. Eine der Mitfahrenden gibt sich als Krankenschwester zu erkennen und versucht, dem Mann zu helfen. Ein anderer Mitfahrer berichtet, er sei Arzt, und mithilfe eines weiteren Fahrgastes wird der Betreffende auf die Rückbank des Busses gelegt. Die drei Fahrgäste kümmern sich um ihn, andere Fahrgäste schauen dem Geschehen interessiert zu, einige erscheinen dagegen vom Geschehen unbeeindruckt zu sein. Währenddessen benachrichtigt der Fahrer über Funk den Rettungsdienst. Nach einer Weile kommt der Krankenwagen und überführt den vermutlich Herzkranken ins Krankenhaus.
Anhand dieser Geschichte lassen sich unterschiedliche Systeme und die Entstehung eines Interaktionssystems beobachten. Aus den zunächst unverbundenen, miteinander den Bus benutzenden Personen entwickelt sich ein soziales System, ein kommunikatives Netzwerk von Helfenden, das abgegrenzt werden kann von denjenigen, die nicht mithelfen. Darüber hinaus bildet sich innerhalb der Helfergruppe eine Ordnung, die eine unterstellte Kompetenz zur Basis hat. Das System stabilisiert sich um einen Zusammenhang herum als Interaktionssystem und löst sich wieder auf, als der Herzkranke von Sanitätern des Krankenwagens übernommen wird.Entstehung von Systemen
Je nach Betrachtung lassen sich verschiedene Systeme analysieren, u. a. das System ,öffentlicher Nahverkehr‘ oder das ,Medizinsystem‘. Anhand der Geschichte lässt sich erkennen, dass jemand ein bestimmtes System bei seiner Beschreibung zugrunde legen muss, damit auf dieses Bezug genommen werden kann. So lässt sich aus der Perspektive des öffentlichen Nahverkehrs fragen, wie mit Notfällen umgegangen wird, und welche Rettungsdienste direkt vom Fahrer oder anderen Personen kontaktiert werden können. Völlig andere Beschreibungen entstehen, wenn man aus einer anderen Perspektive nach dem Zustandekommen von medizinischer Hilfe fragt, oder sich dafür interessiert, wie hilfreiche, effektive Kommunikation beschaffen ist.unterschiedliche Betrachtungsweisen
In der Geschichte systemtheoretischen Denkens finden sich verschiedene Vorstellungen von dem, was unter einem System zu verstehen ist. Der Begriff System basiert auf dem Grundgedanken, dass sich Wirklichkeit über die Beobachtung und Beschreibung bestimmter Ordnungsmuster erfassen lässt.verschiedene Systemvorstellungen
DefinitionHier wird von einer Definition ausgegangen (Willke 1991), welche unter einem System ein Netz zusammengehöriger Operationen versteht, das sich von einem Beobachter von nicht dazugehörigen Operationen abgrenzen lässt. Mit Operationen werden die grundlegenden Aktivitäten eines Systems verstanden (Operation = ein System vollzieht eine Unterscheidung, es macht dieses und nicht jenes).
Merkmal dieser Definition ist, dass ein relationales Begriffsverständnis zur Anwendung kommt, das sich grundlegend auf die Differenz zwischen System und Umwelt bezieht. Ein System konstituiert sich, indem es eine Grenze zu seiner Umwelt bildet, es verfügt über die Fähigkeit, sich durch eigenes Handeln abzugrenzen. Die Vorzüge dieser Definition sind, dass ein System auf Operationen aufbaut und nicht auf untereinander geordneten Elementen oder Objekten und, dass der Beobachter einbezogen wird.
Ältere Systemdefinitionen stellen darauf ab, dass in Systemen Elemente miteinander verknüpft werden und sich Regeln beobachten lassen. Bertalanffy (1979) bestimmt ein System z. B. als eine Menge von Elementen, zwischen denen wechselseitige Relationen bestehen. Eine weitere Idee ist, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile (Prinzip der Übersummation). So ist eine Schule mehr als die Summe der Schüler, der Lehrer und der Verwaltungsangestellten. Das, was die hochspezialisierte Verknüpfung der einzelnen Elemente ermöglicht, unterscheidet sich wesentlich von dem, was den einzelnen Elementen an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht.ältere Systemdefinitionen
DefinitionDie besondere Leistung, die erbracht