Wilfried Hosemann

Einführung in die Systemische Soziale Arbeit


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da sie auf der Mitwirkung verschiedenster Akteure aufbauen. Respekt und Bescheidenheit sind notwendige Korrektive zu institutioneller Macht, Überlegenheit aus Expertenwissen und persönlichen Bedürfnissen. Die Haltung von Respekt und Bescheidenheit begünstigt, dass Adressaten Gegengewichte zu den Einflussmöglichkeiten von Sozialarbeitern und ihren Organisationen bilden können.persönliche HaltungZirkularität und VernetztheitSystemische Praxis arbeitet mit Kommunikation und deren Regeln und Mustern. So wird weniger die Suche nach der Problemursache, als vielmehr die Frage des Umgangs mit unterschiedlichen Ursachen- und Kausalitätsvorstellungen in der sozialen Praxis bedeutsam. Die Betrachtung von isolierten Problemen wird selten dem Zusammenwirken von Alltagserfordernissen, emotionalen und sozialen Erfahrungen und den Erfordernissen von Organisationen gerecht. Die Aufmerksamkeit wird auf Komplexität und Wechselwirkungen zwischen Systemen gelenkt (z. B. Familie – sozialer Raum – Erwerbsleben). Diese Perspektive ermöglicht, die Zirkularität und Vernetztheit sozialer Zusammenhänge zu erfassen.praktischer Umgang

Leitdifferenz sozialer Teilhabe
Als Leitdifferenz der Sozialen Arbeit wird aus systemischer Perspektive das Problem der sozialen Teilhabe oder Nicht-Teilhabe diskutiert. Nicht generell Defizite an individueller Kompetenz, Gesundheit oder Bildung lassen Soziale Arbeit notwendig werden. Erst wenn bestimmte Definitionsgrößen des sozialen Zugangs, der gesellschaftlichen Teilhabe an Gütern und der Eigenverantwortung unterschritten werden, wird Soziale Arbeit herausgefordert, Formen der Leistungserbringung zu prüfen. Soziale Teilhabe umfasst auch die Mitwirkung an der Gestaltung der Zukunft und gleiche Chancen für gesellschaftliche Anerkennung.Teilhabe oder Nicht-Teilhabe
Nicht Not, sondern soziale Gerechtigkeit ist konstituierender Bezugspunkt für die Soziale Arbeit (siehe Kap. 2.8 und 3.3.5). Die Begründung hierfür findet sich in den Aufgaben und Funktionen der Sozialen Arbeit:Ausgangspunkt Sozialer Arbeit
●Gewährleistung der Freiheitsrechte,
●Legitimation der Gesellschaftsform und
●Beitrag zur Transformation der Gesellschaft (Erath 2004).
Daraus ergeben sich die Legitimation und die Aufgabe, andere gesellschaftliche Bereiche wie z. B. den Arbeitsmarkt oder das Bildungswesen zu thematisieren. Die Übernahme sozialer Dienstleistungen und der damit verbundenen Kosten muss demokratisch legitimierbar sein.
Ressourcen- und Lösungsorientierung
In der Arbeit mit Klienten fokussiert eine systemische Vorgehensweise nicht nur auf Defizite und Probleme im Klientensystem, sondern auch auf vorhandene bzw. noch verdeckte Stärken, Kompetenzen, Ressourcen und Lösungspotenziale. Soziale Arbeit setzt bei der Orientierung an Lösungen sowohl an Personen als auch an deren Umwelt an (Eger 2015). Leitend in der Beziehung zu Klienten ist die Perspektive auf Lösungen im Sinne von Erweiterungen von Handlungskompetenzen, der Austauschbeziehungen und der Möglichkeiten sozialer Teilhabe. Der systemisch-konstruktivistische Ansatz bietet für eine Lösungsorientierung die passenden theoretischen Grundlagen.systemischer Fokus
imageAbb. 6: Zirkulärer Kreis positiver Rückmeldungen
Abb. 6 veranschaulicht stark vereinfacht eine zirkuläre Dynamik in Folge einer Orientierung an Bewältigungskompetenzen.
Kontextsensibilität
Systemische Praxis ist daran orientiert, sensibel mit dem Kontext jeden Verhaltens bzw. jeder Kommunikation umzugehen. Mit Kontext wird der Zusammenhang benannt, an denen Personen und Systeme ihre Entscheidungen ausrichten. Durch Kontextsensibilität gewinnt Soziale Arbeit Zugänge zu Sinn und zu Möglichkeiten der Veränderung. Verhalten kann vor einem bestimmten Hintergrund sinnvoll entschlüsselt werden (z. B.: Für welche soziale Situation aus der Vergangenheit könnte dieses Verhalten eine Antwort gewesen sein?). Die Frage, an welchen Kontexten Systeme ihre Entscheidungen und Handlungen ausrichten, bezieht sich u. a. auf soziale und gesellschaftliche Traditionen, Verhältnisse und Wertvorstellungen, Erfahrungen und Erwartungen. Mithilfe von Kontextsensibilität wird der Spagat zwischen Erfahrung und aktuellen Ausrichtungen bearbeitbar. Die ökologische Krise und der Klimawandel verändern den Gesamtkontext aller Gesellschaften auf der Welt.Ursache von Entscheidungen
Reflexivität
In der Sozialen Arbeit wird organisatorisch entschieden und methodisch gehandelt. Wirkungen werden beobachtet und bewertet. Alle diese Aktivitäten haben spezielle Voraussetzungen, Erfordernisse und Folgen, die reflektiert werden müssen. Da in der Praxis mehrere Themen und Beteiligte angesprochen werden, muss eine Auswahl getroffen werden: Wer, was, wie, wann und warum wird aktuell thematisiert? Diesen Selektionsprozess unter professionellen Gesichtspunkten zu gestalten, kann als Merkmal eigenständiger und verantwortungsvoller Praxis verstanden werden. Die Autonomie Sozialer Arbeit zeigt sich in Entscheidungen darüber, welche Wissensvorräte aus anderen gesellschaftlichen Bereichen Bedeutung erlangen sollen (z. B. aus der Medizin bei der Betreuung psychisch Kranker oder auffälliger Jugendlicher). Soziale Arbeit versteht sich aus den genannten Gründen als wissens- und reflexionsbasierte Wissenschaft und Praxis.reflexionsbasierte Wissenschaft
Lebensfähige Einheiten können nur im Zusammenhang von Organismus und Umwelt existieren, so der Grundgedanke des Pariser Klimaabkommens. Der Klimawandel erfordert Reaktionen auf der Ebene der Menschheit zur natürlichen Umwelt. Bateson (1981) hat auf das Risiko des Abschmelzens der Eisberge hingewiesen und darauf, dass diese nicht diskutieren und kein soziales Gewissen haben. Die Antworten auf klimatische und ökologische Veränderungen müssen in sozialen Zusammenhängen gefunden werden. Sie können nicht aus der Natur abgelesen werden. Die Fähigkeit, Gefährdungen im Verhältnis von Gesellschaft und Natur zu realisieren, ist mit der gesellschaftlichen Möglichkeit der Erkenntnis und der Kommunikation verknüpft. Grundlegend ist, dass ökologische Fragestellungen bei den Systemen, die sich selbst beobachten und entwickeln, angesetzt werden müssen und „nicht bei einer zu unterstellenden Ontologie der Kausalität“ (Luhmann 1986, 29). Kausalität ist ein umkämpftes Gut (siehe Kap. 2.6).Ökologischer Wandel
DefinitionDer Titel „ökologisch“ soll beschreiben, dass ein Zusammenhang von Systemen erkennbar ist. Dieser realisiert sich über Informationen und Kreisläufe, wobei kennzeichnend ist, dass Aktivitäten eher durch das reagierende System als das auslösende System angeregt werden (Bateson 1981).
Die Klimaveränderungen führen zu sozialen Konflikten und die Möglichkeiten, darauf mit sozialer und wirtschaftlicher Flexibilität zu reagieren, sind höchst ungleich verteilt. Diese wird durch die Auseinandersetzungen um Antwortstrategien öffentlich. Die Gegensätze treffen konflikt- und folgenreich aufeinander, obwohl die Unterschiede zwischen Armut und Reichtum und unterschiedlichen Klassen in Deutschland vergleichsweise verdeckt sind. Die inhaltliche Struktur der Konflikte ist u. a. davon abhängig, welche Unterschiede, Risiken und Folgen wahrgenommen werden und welchen der Status verliehen wird, darauf reagieren zu müssen. Die Auseinandersetzungen konkretisieren sich in den Dimensionen Zeit, Inhalt und Raum, sowie den sozialen Konsequenzen und den Inhalten der Reaktion. Die Leitfragen und ihre Antworten: Wer hat welche Folgelasten zu tragen und wer hat Ansprüche auf Kompensation seiner Belastungen, ergeben sich aus den sozialen Konstruktionen mehrerer Akteure. Die Herausforderungen für die Demokratie sind hoch, da von unterschiedlichen Auswirkungen auf die Bedarfs-, Leistungs-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit auszugehen ist. Konflikte werden die gesellschaftlichen Kontexte bestimmen, und den demokratischen Institutionen kommt die besondere Bedeutung zu, diese im Rahmen demokratischer, ziviler Prozesse auszutragen. Repräsentanten einer naturwissenschaftlichen Logik können, gestützt auf ihre Beobachtungen und ihre Beobachtungsinstrumente, Folgeabschätzungen vertreten, treffen aber auf gesellschaftliche Gruppen und Teilsysteme verschiedenster Art sowie auf weit abweichende Vorstellungsgewissheiten („Gott hat mit uns vor …“). Es ist schwierig zu bestimmen, wer in der Gesellschaft eine anerkannte Rationalität verkörpert, um Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen.
Für die Soziale Arbeit stellt sich die Frage, wie sowohl ihre Adressaten, die von ihr vertretenen Gruppen und sie als eigene ressourcenabhängige Professionsgruppe sich als Teil dieser Auseinandersetzungen verhält. Mit folgenden Fragen ist zu rechnen:Gesellschaftliche Orientierungen
●Mit welchen Argumenten kann Soziale Arbeit auf moralische Forderungen ebenso mit moralischen Forderungen antworten und – auf einer anderen Begründungsebene – mit Hilfe der Ethik deren Stellenwert bestimmen? Im konkreten Fall ist gerade ein verallgemeinernder