es sich um eine Orientierung für die Realisierung systemischer Handlungsmuster (siehe Kap. 3.2.3) und nicht um einen anzuwendenden ‚Handlungsbogen‘. Über die konkrete Ausgestaltung systemischer Praxis wird auf der Grundlage von Interpretation und Reflexion entschieden. Die Leistungen Sozialer Arbeit bestehen in der reflexionsbasierten Bezugnahme auf verschiedene Personen und soziale Systeme, um zusätzliche soziale Optionen und Teilhabechancen zu schaffen. Dieses Leistungsbündel wird von einigen Autoren mit dem Begriff Hilfe zusammengefasst (Baecker 1994; Weber /Hillebrandt 1999). Über Hilfe muss entschieden werden, wie anhand des folgenden Beispiels deutlich wird:
| Streitet ein Klient mit einem Mitarbeiter einer Sozialbehörde, dann kann dieser Streit unterschiedlich interpretiert werden. Mögliche Interpretationsebenen wären z. B. die Persönlichkeit des Klienten, der soziale Nahraum des Klienten, die Interaktion von Klient und Sozialarbeiter, rechtliche Vorschriften, die beteiligten Organisationen, gesellschaftliche Teilsysteme (z. B. Wirtschaft, Recht), kulturelle Muster von Männern und Frauen. | |
An diesen Möglichkeiten der Ausdeutung knüpft Soziale Arbeit an. Sie übersetzt Seinsbeschreibungen in soziale Relationen, und wo andere Ansätze Probleme wie Dinge behandeln, führt sie Prozesse ein. Soziale Arbeit entscheidet wesentlich darüber mit, wem Hilfe wie, wann und wo gewährt wird. Über ihre Traditionen, Erfordernisse und Wertsetzungen verdichtet sie soziale Zusammenhänge zu ihrem Gegenstand. Da schwierige soziale Situationen in vielen verschiedenen Lebenslagen auftreten, ist es auch nicht verwunderlich, dass Soziale Arbeit so unterschiedliche Praxisausprägungen hat. Damit wird weder theoretisch noch praktisch eine Allzuständigkeit begründet. Aufgrund der Vielzahl von Akteuren, die am Aushandlungsprozess um Hilfe beteiligt sind, entsteht ein sich stetig wandelnder, aber nicht beliebiger Gegenstand sozialarbeiterischen Handelns. | Dimensionierung von Praxis |
Eine systemische Gegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit ist relational ausgelegt. Als Gegenstand wird eine abgegrenzte Kommunikation verstanden: Sie verknüpft die gesellschaftliche Ebene über eine Analyse von Aufgaben, Funktionen und Traditionen der Sozialen Arbeit mit einer organisations- und interaktionsbezogenen Ebene. Je nachdem, wie gut Personen der Anschluss an Interaktionen, Organisationen bzw. an gesellschaftliche Teilsysteme gelingt, werden ihre Chancen der Teilhabe am Sozialleben und an gesellschaftlichen Gütern verbessert. Dies wirkt sich auf die Selbstwahrnehmung und das Selbstmanagement aus. Mit systemtheoretischen Begriffen lassen sich die Verwirklichungschancen von Menschen präzise über die Teilhabebedingungen von Personen aus der Perspektive von Systemen analysieren. Gesellschaftliche Teilhabe vollzieht sich regelhaft über Organisationen und die Beteiligung an Kommunikation. Der Gesellschaft als Abstraktion kann man nicht ‚begegnen‘ – ihr auch nicht gegenüber stehen. Begegnen kann man Organisationen, und man kann über passende Kommunikationsmöglichkeiten verfügen oder nicht. Die Gegenüberstellung von Mensch und Gesellschaft macht aus systemtheoretischer Perspektive wenig Sinn. Die Perspektiven der Systemischen Sozialen Arbeit sind ausgerichtet auf Kommunikation, soziale Systeme und Organisationen. Das Selbstverständnis geht von der Sozialen Arbeit als einem Kommunikationszusammenhang aus, der sich als Lösung für die Probleme der modernen Gesellschaft etablieren konnte (Maaß 2009). | soziale Teilhabe |
Ort der Leistung | |
Der Ort der Leistung Sozialer Arbeit wird hier nicht als räumlicher Ort verstanden, sondern systemisch (relational) gedeutet und als zwischen den Systemen bestimmt (z. B. zwischen Klienten und einer Organisation). Soziale Arbeit steht in ihren Praxisvollzügen vor der Notwendigkeit vermitteln zu müssen und zu entscheiden, auf welche Systeme sie sich in ihrer Arbeit bezieht. Bei diesen Verknüpfungsentscheidungen und -leistungen zwischen Systemen ist ein hohes Maß an Wissen, kommunikativem Geschick und Verantwortungsübernahme erforderlich, um | |
●sich für Klienten engagieren zu können (Adressatenbezug), | |
●die eigenen Ressourcen effizient einzusetzen (Selbstbezug) und | |
●nachhaltige Lösungen mit gestalten zu können (Gesellschaftsbezug). | |
Soziale Arbeit hat es mit mehreren Beteiligten zu tun (z. B. mit Vertretern einer Kommune, Geldgebern, Bürgern, Klienten) und richtet sich an verschiedenen Personen und Systemen mit unterschiedlichen Geschichten, Besonderheiten und Erwartungslagen aus. Eine Voraussetzung, dass dies in der Praxis gelingen kann, besteht in der genauen Reflexion und Überprüfung von Kooperationen und Parteilichkeiten. Mehrere Auftraggeber und Auftragslagen zu haben, ist nicht ehrenrührig, sondern als normal erwartbar. Sowohl die Geber von Ressourcen (Geld, Zeit, Rechte) haben Interessen, wie auch die Nehmer (Soziale Arbeit, die Personengruppen und Organisationen, für die sie Leistungen erbringt). Bürger, Adressaten, Klienten begegnen sich als Gestalter und als Betroffene. | zwischensystemische Stellung |
Um zwischen den Systemen zu bleiben und erfolgreich an diese anschließen zu können, ist eine Kenntnis deren interner Logik notwendig. Deswegen fördert Wissen aus Gebieten wie Soziologie, Recht, Medizin, Wirtschaft und Psychologie die Kompetenz des Wahrnehmens, Erklärens, Verstehens, Bewertens und Handelns. Ebenso notwendig ist das Wissen um das Zusammenwirken unterschiedlicher Dynamiken in der Lebenswelt und der Lebenslage der Adressaten. | Bedeutung anderer Gebiete |
Ob auf der Ebene von Interaktion mit Adressaten oder auf der Ebene von Organisationssystemen: Soziale Arbeit ist auf Kommunikation angewiesen. Kommunikative Anschlussfähigkeit bildet die Plattform ihrer Leistungserbringung. Durch Selbstbeobachtung in der Praxis (z. B. im Rahmen von Supervision bzw. Evaluation) besteht die Möglichkeit, die eigene Positionierung zu prüfen, beschreibbar zu machen und diesen ‚nichtstationären Ort‘ auszuhalten. | |
Theorieentwicklung | |
Die systemtheoretische Ausrichtung erlaubt eine Vielzahl von theoretischen und praktischen Verbindungen und bezieht sich auf die Alltags- und Lebensweltorientierung wie auf Aspekte von gesellschaftlicher Beteiligung und Sozialer Gerechtigkeit (Ritscher 2020; Heiner 2004, 158). Der systemische Ansatz in der Sozialen Arbeit erarbeitet sich seine besondere Form in Abgrenzung zu anderen Ansätzen, auch zu paar- und familientherapeutischen, und ist unabhängig von soziologischen Analysen systemtheoretischer Art (Bommes / Scherr 2012). | |
Die Ansprüche an die Reflexionsleistung werden systemtheoretisch bestimmt und orientieren sich daran, dass Reflexionsleistungen geeignet sind, die Einheit des Systems einzubeziehen. Mit der Thematisierung der Einheit als Bezugsrahmen besteht die Möglichkeit der professionellen Selbstvergewisserung und der Weiterentwicklung. Theorien dienen nach unserem Verständnis dem Justieren von Grundüberzeugungen und Handlungsausrichtungen. | Reflexionsleistung |
Im Handbuch „Forschung für Systemiker“ (Ochs / Schweitzer 2012) weist Hollstein-Brinkmann darauf hin, dass systemische Forschung keine Verengung auf eine bestimmte Forschungsmethodik bedeutet, sondern durch eine spezifische systemtheoretische Fundierung gekennzeichnet ist. In Anlehnung an Schiepek (2010) nennt er als Gegenstand der empirischen bzw. theoretisch ausgerichteten Systemforschung die Struktur, Funktion und Dynamik von Systemen sowie deren Interaktionen und System-Umwelt-Relationen (Schiepek 2010). Für die systemische Forschung in der Sozialen Arbeit dimensioniert Hollstein-Brinkmann Forschungsmethodiken sowie drei Verständnisse empirischen systemischen Forschens. Diese werden über die Abb. 5 dargestellt. | Forschungsmethoden |
Abb. 5: Drei Verständnisse empirischen systemischen Forschens in der Sozialen Arbeit (aus Hollstein-Brinkmann 2012, 77) | |
Diese Dimensionen werden durch den Autor um zwei weitere ergänzt: um eine theoretische und historische und um die Dimension Praxisentwicklung und –reflexion (Hollstein-Brinkmann 2012). Konkrete Forschungsdesigns können sich z. B. auf komplexe Dynamiken von Inklusion und Exklusion oder auf Bedingungen für ‚best practice‘ hinsichtlich der Organisations- und Interaktionsformen Sozialer Arbeit beziehen. | |
1.2.2Systemische Grundsätze des Vorgehens | |
Die folgenden sechs Grundprinzipien veranschaulichen, woran systemische Praxis ausgerichtet werden kann (siehe Kap. 3). Je nach Arbeitsfeld und programmatischer Ausrichtung kommen die skizzierten Grundsätze des Vorgehens in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen. | |
Respekt | |
Systemisches Arbeiten erkennt die Autonomie und Eigendynamik der Systeme, mit denen sie arbeitet, an. Der damit eng verbundene sensible Umgang mit der eigenen Expertenschaft spiegelt sich in der Orientierung an Beteiligungsformen in Bezug auf Adressaten wider
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