04 Um Pallottis Geist ringen
„Das Orginal stirbt in den Epigonen.“ Dieser Satz eines polnischen Schriftstellers begleitet mich schon einige Zeit. Das Wort „Epigone“ bedeutet ursprünglich „Nachgeborener“, ist aber in unserem Sprachgebrauch heute negativ geworden und bezeichnet einen „Nachmacher“. Einen, dem nichts Neues einfällt und der so das Vergangene ohne eigene Gestaltungskraft imitiert.
Wir Pallottiner lieben den heiligen Vinzenz Pallotti – mit seinen Eigenheiten, mit seinen Stärken und mit seiner Leidenschaft. Wir schätzen sein offenes Kirchenbild und seine Liebe zu Gott. Wir lieben ihn für seine Weite und für seine unendliche Sehnsucht nach Gott. – Zumindest lieben wir ihn so, wie wir glauben, dass er war und wir ihn zu erkennen meinen. Denn: Nie haben wir den ganzen Menschen, nie alle seine Dimensionen und seine Vielschichtigkeit; wir wählen aus. Manches in der Biographie des Heiligen zieht unsere Aufmerksamkeit stärker auf sich, und für manches haben wir nur einen blinden Fleck übrig.
Manchmal, scheint mir, legen wir auch etwas in die Person und in das Leben unseres Heiligen hinein, weil wir gar zu gerne hätten, dass er so denke wie wir. Nie haben wir den „ganzen“ Menschen, den „ganzen“ Heiligen. Wir leben in einer anderen Zeit und haben einen anderen Lebenshintergrund. Unsere Lebenssicht färbt ab auf unser Bild von Pallotti.
Und das ist erlaubt. Es ist auch gut so; es geht auch gar nicht anders.
„Das Original stirbt in den Epigonen.“ Würden wir Pallotti imitieren, kopieren, ihn „nachmachen“, so wie wir ihn uns vorstellen, hätte er uns und unserer Zeit wenig zu sagen. Wir würden im 19. Jahrhundert stehen bleiben. Wir würden die Antworten für damals finden, unsere Zeit und unsere Nöte aber gingen leer aus.
Wer Vinzenz Pallotti und seinem Ideal, seinem Traum treu bleiben will, muss sich in gewisser Hinsicht auch vom Blick in die Vergangenheit lösen. Er braucht die Zwiesprache mit den Menschen, die heute leben, mit den Nöten, die heute nach Antwort schreien. Was einen Heiligen frisch und lebendig hält, ist, wenn sein Geist in seinen „Geisteskindern“, in seinen Nachfolgern, lebendig bleibt. Wenn die Größe seiner Liebe, seiner Menschenzugewandtheit, seines Opfergeistes und seiner Gottesleidenschaft auch unser Kennzeichen ist.
Die „Übersetzungsarbeit“ eines Heiligen, ihn in der Sprache der Jetztzeit, der Gegenwart, zu übertragen, ist wesentlich schwieriger und mühseliger. Es braucht Gestaltungskraft, Mut und eine gute Portion Vertrauen in den Heiligen Geist. Leichter ist es, zurück zu schauen und „historische Studien“ zu betreiben.
Wer sich noch an den Mathematikunterricht erinnert, kennt das „Parallelverschieben“: Eine geometrische Figur wird von einem Ort zu einem anderen (parallel) verschoben. Dabei bleibt die Gestalt der Figur unverändert, aber sie befindet sich in einem neuen Umfeld.
Es ist die Aufgabe in der pallottinischen Familie, dass wir um Pallottis Geist ringen: Wie würde seine Person und sein Handeln in der heutigen Zeit, an unserem Ort, an diesen Menschen, sichtbar werden: die Größe seines Geistes, seine Liebe zu den Menschen, seine Weite und Offenheit, seine mutige Tatkraft, seine unendliche Sehnsucht nach Gott, sein Ergriffensein von Gottes Barmherzigkeit …
Wie würde es unser Leben verändern? Zu welchen Taten würde es uns anspornen? Welche Spuren würden wir hinterlassen?
Das „Orginal“ soll leben. Sein Geist soll erfahrbar werden in den „Nachgeborenen“.
P. Helmut Scharler SAC
05 Glauben ist Herzenssache
Als ich in den 90er Jahren Theologie studierte, lag in den ersten beiden Studienjahren der Schwerpunkt auf der Philosophie. Ich muss gestehen, dass mich dies damals überfordert hat. Es wurden in der Philosophie denkerische Leistungen gefordert, die oft über meinen Horizont hinausgingen.
Ich fragte mich, ob das denn alles wirklich nötig sei und zweifelte an der Struktur des Theologiestudiums, genauso aber auch daran, ob ich dem allem gewachsen sein werde.
Innerlich regte sich bei mir aber auch Widerstand: Es könne doch nicht sein, dass es so schwer und „verkopft“ sein müsse, wenn man Theologie studieren wolle. Wieso sollte es nur mit intellektuellen Höhenflügen möglich sein, etwas von Gott zu verstehen beziehungsweise zumindest zu erahnen?
Es war in dieser Phase meines Studiums, als wir Studenten von einem Professor nach unserem Lieblingsbibeltext gefragt wurden.
Spontan fiel mir dabei die Stelle ein: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast.“ (Mt 11, 25)
Dies war für mich ein Trost, und bis heute ist mir dies ein ganz wichtiger Bibeltext.
Der Glaube kommt nicht zuerst vom Verstehen und hat schon gar nichts mit dem Intelligenzquotienten zu tun. Ich habe manchmal sogar den Eindruck, dass es überhaupt nicht hilft, „sich einen Kopf zu machen“, also zu viel zu grübeln und nachzudenken.
Glauben ist zutiefst eine Herzenssache.
Wenn auch das Nachdenken über den Glauben mit dazu gehört und es auf jeden Fall vernünftig ist, zu glauben, so ist dies für mich doch erst der zweite Schritt. Dieser kann nicht gegangen werden, wenn der erste fehlt, der da lautet: Ergreife Gott mit deinem Herzen!
So wünsche ich allen Christinnen und Christen, dass sie sich von Herzen auf diesen Gott der Liebe einlassen und immer mehr lernen, Ihm zu vertrauen.
P. Jochen Ruiner SAC
06 Keine Sorge um den Sonntag
An jenem Sonntag-Nachmittag stutzte ich, als ich sah, dass ein Mann in Arbeitskleidung den Hof am Straßenrand kehrte. Sofort kamen mir zwei Erinnerungen. Irgendwo habe ich irgendwann eine Bemerkung von Kardinal Meisner gelesen, der von seiner DDR-Zeit berichtete: Katholische Dörfer habe er daran erkannt, dass dort am Samstag-Nachmittag der Hof und die Straßenrinne gekehrt wurde. Das erinnerte mich wiederum an mein Westerwälder Heimatdorf. Am Samstag-Nachmittag wurde gekehrt. Und es wurde gebadet. Denn: Morgen ist Sonntag. Am Sonntag gab es besseres Essen, den berühmten Sonntagsbraten. Man zog Sonntagskleidung an. Hose und Hemd ließen geradezu körperlich spüren, dass dieser Tag etwas Besonderes war, und man nicht an die Schule, an die Mitarbeit in der kleinen Landwirtschaft denken musste. Dass die Sonntagsmesse wohl letztlich der Grund für die „gute“ Kleidung war, das ahnte die Kinderseele schon früh.
Heute noch pflege ich Sonntagskleidung, ziehe niemals den Anzug an, den ich am Werktag trage. Und ich gestehe, dass es mir immer noch ein bisschen Mühe macht, wenn ich beim Frühstück auf Mitbrüder treffe, die nach meinem Gefühl nicht sonntäglich gekleidet sind. Alles ist eben Biographie, sagen Psychologen.
Der Sonntag ist nicht mehr das, was er mal war. Und wir Katholiken sind selbst mit daran Schuld. In der Nachkonzilszeit haben wir die Vorabendmesse eingeführt. Sie bröckelt allerorten, denn die Sonntagabendmesse ist attraktiver geworden, entspricht sie doch eher heutigem Lebensrhythmus. Jedenfalls öffnete die Vorabendmesse etwa den Feuerwehren und Sportvereinen das Tor zu Übungen und Turnieren am Sonntagmorgen.
Dass viele in der Wirtschaft die Sonntagsruhe gerne aufweichen wollen, damit der Rubel rollt und sich Investitionen sich lohnen, ist sogar verständlich. Aber Christen und Gewerkschaften sind in der Sonntagsfrage gottlob gute Verbündete. Der Sonntag ist der „Tag des Herrn“, für viele der Tag des gemeinsamen Gottesdienstes. Für viele auch der „Tag der Familie“. Und der Tag „kollektiven Sammelns“. Da ist man frei für gemeinsames Tun. Und für’s Ruhn.
Dieses Ruhen geschieht vielfach vor dem Bildschirm. Fernsehen oder Internet.