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Systemische Erlebnispädagogik


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groß muss mein Löffel sein, wie die Form, um all das, was ich benötige, zu schöpfen. Ich nehme Kontakt auf zu meiner Umgebung, den Menschen, dem Boden, den Bäumen.

      Klare Regeln, feste Strukturen, als ob das ihm erst Möglichkeit gebe, zu innerer Freiheit zu gelangen.

       Wir trennen uns, jeder geht auf seinen Weg, der Abschied ritualisiert und die Ankunft bei sich mit einer Waschung vollzogen. Geräusche sind so schnell, meine Augen verbunden, sehe mit den Fingerkuppen, ein moosbedeckter Stein, weicher Waldboden, feine Tannennadeln, strecke die Fühler aus, mein Platz für die Nacht.

       Eine kleine, flache Vertiefung auf einer Hügelkuppe. Knappe drei auf zwei Meter, genügend Platz für ein Feuer, mein Gepäck und gemütlich Liegen.

      Vereinzelung heißt das in der Fachsprache, mein Eintritt in diese Mauern, stehe in einem Raum so groß wie eine Telefonkabine, in der Mitte am Boden ein großer runder Kreis, da muss ich draufstehen, die Türe vor mir kann ich erst öffnen, sobald die Türe hinter mir geschlossen ist, technische Sicherheit ritualisiert, ich transformiere mich.

       Auf drei Seiten geht es runter, auf einer Seite durch einen großen Stein begrenzt, er hat die Form einer riesigen Vagina, was wird hier geboren?

       Nach vorn den Hügel rauf zu einer kahlgeschlagenen Lichtung, von der Abendsonne hell beleuchtet, höre Äste knacken, ein fernes Singen, es sind Kollegen / -innen in meiner Nähe, dabei wollte ich ganz allein sein. Ebne meinen Schlafplatz, spanne die Plane, sammle Holz fürs Feuer, schmücke meinen Platz mit Gesammeltem, ruhig und ohne Hast, lasse aufkommende Gedanken an mir vorbei, ohne nachzuhaken, will sie nicht einfangen, nur anschauen und ziehen lassen. Konzentriere mich auf das, was ich tue, esse mit meinem Löffel, lasse ihn so grob geschnitzt, wie er ist, er passt zu mir.

      Der erste Kontakt mit einem Arbeitskollegen, er steht hinter Glasscheiben im Zentrum, ich bekomme mein PSS (Personenschutzgerät), ab jetzt bin ich überwacht und erreichbar, in Sicherheit, noch ist Trägheit spürbar.

      Die nächste Tür öffnet sich, wie ist meine Haltung, meine Wahrnehmung, die nächste Tür, ein Klick, aber öffnen muss ich selber, dann der endgültige Eintritt, ich brauche zum ersten Mal meinen Schlüssel, Schleuse im Arbeitsalltag, Gang durch den Erschließungstrakt, Vertrautheit, die ersten Geräusche, die auf menschliches Leben schließen lassen, mein Weg durch den Trakt überwacht durch Kameras. Wie ist meine Haltung? Eine kunstvoll mit Glassplittern gefüllte Wand, dann rohe Eisenplatten, gegenüber Glasbausteine, die Licht vom Innenhof durchlassen, Kunst am Bau.

       Zu viel ist in Bewegung um mich, werde abgelenkt, die Aufmerksamkeit auf Nachbarn von mir gerichtet, packe schon früh am Morgen, will weiter, in die Höhe und in den Wald, will meinen eigenen Rhythmus, versuche, ihn in der eigenen Bewegung, dem eigenen Tempo zu finden.

      Gebe einen sechsstelligen personifizierten Code ein, mit dem Schlüssel identifiziere ich mich auf dem Leser, kann die Türe öffnen. Die technische Sicherheit gibt mir auch den Raum, um das wahrzunehmen, was um mich geschieht. Ich trete in einen rechteckigen Raum, das dumpfe Geräusch der Belüftung, dicker Zigarettenrauch, Männer an schwarz-grauen Tischen, auf schwarz-grauen Stühlen, vor dunklem Kaffee, schweres Gelächter oder stumme Anspannung, Frühstück, ich setze mich zu ihnen. Ruhig, ohne große Worte und ohne Hast beginnt unser Tag, jeder auf seine Art damit beschäftigt, die nächtlichen Träume zu verscheuchen.

       Auf dem Waldboden eingeschlafen erwache ich, liege im eigenen, noch offenen Grab und schaue in das grüne Dach über mir, darin verfangen ein riesiger abgebrochener Ast. Er wirkt nicht bedrohlich und doch, ein kleiner Windstoß und er würde direkt auf mich runterfallen. Das schützende grüne Dach über mir, darin verwoben das Zerbrechliche, Vergängliche. Ich drehe mich zur Seite und stehe vorsichtig auf, als ob ich durch meine Bewegung den Windstoß auslösen könnte. Warum habe ich das nicht gesehen, als ich mich hinlegte und lange in das Blätterdach schaute, bevor ich einschlief? Was bedeutet dieser Traum?

      Langsam füllt sich der Arbeitsraum, ich bin am Mich-Einlesen, Mails, Logbuch, Vorfälle und Beobachtungen. Das Gelesene steht zwischen mir und den Männern, die jetzt an ihren Arbeitsplätzen sitzen, zum Teil neu verteilt, der Neue hat seinen Platz in der Hierarchie der Gruppe bekommen. Lasse es geschehen. Wir stellen uns vor, erkläre ihm die Regeln und was ich von ihm erwarte, was er von mir erwarten kann.

       Es gibt keinen sichtbaren Weg. Zwischen riesigen Felsbrocken steige ich den Hang entlang. In Gedanken verstrickt vom Gebären und Sterben, stehe ich plötzlich am Rand einer kleinen Waldlichtung, mittendrin ein Wasserloch. Verwundert und fasziniert bleibe ich stehen. Was für eine unergründliche Kraft von diesem Ort ausgeht. Eine wunderbare Zufriedenheit überkommt mich. Schließe die Augen. Bilder aus vergangenen Zeiten tauchen auf. Taste mich vorsichtig voran, verbinde sie. Eine Lebensbilderkette entsteht. Ob ich sie mir um den Hals legen kann?

       Stephan Schmid

      Jahrgang 1956, lebt in Luzern (Schweiz)

      Derzeit: Arbeitsagoge im Strafvollzug

      Posteingang (1): Stuttgarter Betrachtungen

       Andreas Bühler, Peter Thomas, Karin Wabersich

       20.12. I Betreff: Was ich schon immer mal fragen wollte

      Liebe Karin, lieber Andi, vor gut drei Jahren habe ich meine Ausbildung in Kreativ-ritueller Prozessgestaltung abgeschlossen. Ich erinnere mich noch immer gern an diese zwei außergewöhnlichen Jahre. Sie haben bei mir eine dauerhafte Wirkung hinterlassen in der Art und Weise, wie ich heute arbeite. Besonders in Erinnerung sind mir die emotional und spirituell berührenden Momente, wie zum Beispiel meine Ahnengalerie in Griechenland. Außerdem habe ich ein neues Verhältnis zu meinem Körper und zur Natur gewonnen. Als „Kopfmensch“ ist mir das Lernen über den Körper näher gekommen.

      Bei meinen ersten Rückblicken sind mir natürlich einzelne Erlebnisse eingefallen, aber die sind nicht immer so leicht zu erzählen. Da bin ich auf eine interessante Einteilung gestoßen: Die Wirkung eines Lernprozesses lässt sich gut erklären, wenn zwischen beruflicher, fachlicher und persönlicher Rolle unterschieden wird. Die berufliche Rolle bezieht sich auf die berufliche Tätigkeit. Die fachliche Rolle meint die Ausbildung, die man im Studium oder in der Lehre bekommen hat und die persönliche Rolle ist das Private. Ist euch zum Beispiel aufgefallen, dass wir alle drei während unserer Fortbildung die berufliche Rolle verändert haben oder dass bei uns in der Institution mittlerweile aus fachlicher Sicht viel mehr systemisch gearbeitet wird?

      Für mich selbst würde ich sagen, dass es die persönlichen und fachlichen Aspekte sind, die das größte Gewicht hatten in meinem Lernprozess. Im Zusammenspiel zwischen Körper und Kopf hat sich Entscheidendes verändert. Ich vermute, es sind die Wahrnehmung und die Philosophie, die sich heute deutlich von der Zeit vor der Ausbildung unterscheiden. Wenn ich früher vor allem auf den Kopf gehört habe, dann folge ich heute auch meinen Körperwahrnehmungen. Brauchte früher alles eine Erklärung, finde ich es heute reizvoll, manches offenzulassen.

      Ihr beide habt die Ausbildung nach mir durchlaufen und seid nun auch schon eine Weile damit fertig. Welche Wirkung haben die zwei Jahre bei Euch hinterlassen?

      Ich selber bin ja immer gut zu begeistern für grundsätzliche Themen wie die Philosophie, ebenso interessieren würde mich die praktische Ebene, zum Beispiel Fragen der Wahrnehmung und Handlungsorientierung. Ein lieber Gruß aus Sindelfingen. Peter PS: Wie geht es Dir in der Schwangerschaft, Karin?

       30.12. I Betreff: Leicht und schwer liegen dicht beieinander

      Lieber Peter, lieber Andi, die letzten Tage vor der Geburt meines ersten Kindes sind doch etwas schwerfällig, aber zugleich auch aufregend. Es ist so eine Art „Zwischenzeit“, in der ich mich immer wieder frage, ob ich denn schon bereit bin und was es überhaupt bedeutet, bereit zu sein. Ich fühle mich extrem schwanger und irgendwie gibt es kein Zurück mehr. Ich freue mich auf die Geburt, habe aber