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Systemische Erlebnispädagogik


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das der Gruppe so nicht genug. Sie fühlten sich anscheinend unterfordert, vielleicht hielten sie den Auftrag für nicht erfüllt, war der Weg unseres Vertrauens noch nicht zu Ende oder stimmten die Vorstellungen und Bilder, die im Vorfeld entstanden waren, nicht mit dem Ergebnis überein.

      „Wo stehen wir? Ich meine, was machen die da? Ich verstehe nicht, was hier passiert. Wo wollen sie hin? Ich habe den Eindruck, hier inszeniert sich etwas, was ich nicht kenne. Warum tun sie das?“, fragend schauten wir uns an, als wir, eine Zeit nach der Gruppe das Ziel erreichten und Folgendes beobachteten:

      Sie gehen in einer Schlange hintereinander her, die Hände auf den Schultern des Vordermanns, alle bis auf den Ersten haben verbundene Augen und in einer eigentümlich wirkenden Rhythmik hört man Rufe wie „Stein links“, „großer Stein rechts“, „Steine rechts“ usw. Das alles geschieht mitten in der steinigen Hochgebirgswüste im Sinai. Sozialpädagogen, Jugendhelfer, Kommunikationstrainer, ein Matrose, deren Ziel es ist, als zukünftige Erlebnispädagogen mit anderen Menschen zu arbeiten. Wir werden der Reise dieses fast blinden und ängstlichen 22-Füsslers durch die Steinwüste mit unseren Blicken folgen. Man würde ihn noch weit hören können, Verlustängste kommen da nicht auf. Wie lange mag das wohl noch dauern? Die Sonne geht bald unter, das Abendessen wird gerade von den Beduinen vorbereitet und wir, das Leitungsteam dieser erlebnispädagogischen Zusatzausbildung, wollen eigentlich noch eine zusammenfassende Reflexion zu diesem Tag durchführen. „Vorsicht, großer Stein rechts!“ „Steine links“ …

      „Mir reicht es jetzt! Ich finde das anstrengend und nervend!“

       Das hört sich nach einer Erlösung für alle an.

      „Ich denke, wir sollten das jetzt durchziehen, damit jeder mal vorne war.“

       Vielleicht sollten wir doch intervenieren und dem Ganzen ein Ende bereiten, sonst passiert noch etwas. Es ist paradox, genau das wollen wir ja eigentlich, dass etwas passiert! Also lassen wir den Wurm weiterkriechen, auch wenn wir nicht verstehen.

      Es dauerte noch eine Weile, bis sich die Rebellion durchsetzte und das „Tier“ zum Stehen kam. Der unbekannte Abschnitt bis zu dieser Oase lief für die Gruppe reibungslos, die vertraute und ohne unseren Auftrag angehängte Übung führte zu Chaos und Streit. Die selbst auferlegte Reflexionsrunde fand im direkten Anschluss statt und war eine Tortur für die Gruppe, aber sie konnten lange kein Ende finden.

       „Ich fand diese Vertrauensübung total nervenaufreibend…“ „Jeder sollte vorne einmal in der Leitung sein und das auf seine Art und Weise machen. Dazu muss auch jeder mitmachen, auch wenn es lange dauert…“ „Wer kam überhaupt auf diese Idee?“

      Sie waren in eine nicht endend wollende Auseinandersetzung geraten. Wir, die Leitung, saßen bewusst in Hörweite, denn sie sollten wissen, dass wir zuhörten und auf das Ende ihres Projektes warteten. Wir hatten unseren ursprünglichen Plan, eine Reflexionsrunde zu starten, endgültig aufgegeben. Wir warteten. Unwissend, aber mit wohlwollender Neugier, was uns dieser Prozess noch bringen würde, saßen wir im kühler werdenden Abendwind unter einem der seltenen Bäume. Wir hatten Fragen auf den Lippen, aber wir durften nicht fragen, noch nicht. Auf die selbst installierte Leitung konnten wir nicht mehr hoffen, sie hatte sich längst verabschiedet. Es war lange kein Ende abzusehen, aber glücklicherweise riss unser Geduldsfaden nicht. Irgendwann wurde das Schielen zu uns auffälliger, selbstironische Bemerkungen häuften sich und schließlich einigten sie sich darauf, dass der Auftrag erfüllt und damit die Aktion zu Ende sei. Wir waren als kompetente Leitung gewünscht und gefordert, jetzt unseren Beitrag zur Aufklärung ihres Mysteriums „Weg unseres Vertrauens“ zu leisten.

      Gerne, aber wie? Was hätten wir sagen können, ohne alles kaputt zu machen, was sie sich hart erarbeitet hatten. Das Ziel für diesen Tag war erreicht. Die Teilnehmer hatten sich in dieser selbst gewählten Übung aneinander gerieben, auch unfreundliche Seiten an sich und den anderen erlebt, was zu tieferem Kennen und damit zu mehr Vertrauen in die Gruppe geführt hatte. Die Wüste ist groß und geduldig, wir waren gemeinsam angekommen. Wenn auch auf anderen Wegen, als wir es in der Leitung „geplant“ hatten.

      Susanne: Dieses Beispiel gefällt mir gut. Es verdeutlicht, unter anderem, dass es viel Vertrauen braucht, wenn man in prozessorientierter Haltung leiten will. Es ist fast so, als wäre dieser Prozess ein Wesen, das seinen eigenen Gesetzen folgt. Man bietet ihm einen Rahmen und eine Richtung, und dann macht es, was es will. Man muss aushalten und geschehen lassen können, was man durch den Auftrag oder das momentane Ziel gerufen hat. Letztlich ist der Weg das Ziel. Falls man konkrete Bilder im Sinn hat, wie der Prozess genau vonstattengehen sollte, damit er als erfolgreich gelten kann, gerät man leicht ins Schwitzen, wenn es dann ganz anders läuft. Mir kommt dazu gerade die Metapher des Flusses in den Sinn: Will ich mich auf einem Fluss bewegen, den ich noch nicht kenne, schaue ich vorher auf der Karte, wohin er fließt und wo ich aussteigen will. Später ist es dann aber der Fluss, der meine Bewegung bestimmt und seine Stromschnellen, Hindernisse, Biegungen, Landschaften fordern mich zu Reaktionen und immer neuen Perspektiven heraus, sie verlangen meine Gegenwärtigkeit. Ich kann mich auch am Ufer festhalten, aber auf Dauer muss ich mich doch entscheiden, mich dem Wesen des Flusses hinzugeben oder lieber zurück ans Ufer zu gehen.

      Ein weiterer Aspekt, der mir anhand deines Beispiels zur Prozessorientierung in den Sinn kommt, ist das Prinzip der Autopoiese. Dieser Begriff aus der Erkenntnistheorie wurde von der Systemtheorie adaptiert und beschreibt die selbstorganisatorischen Kräfte in Systemen. Ihr habt der Gruppe grundsätzlich einmal Vertrauen entgegengebracht und sie machen lassen. Dadurch, dass ihr nicht interveniert habt, konnten sie sich als Wüsten-Tausendfüßler so lange aushalten, bis sich so etwas durchgesetzt hat wie ein „Sinn für Sinnhaftigkeit“. Dennoch kann man diese Erfahrung ja nicht als sinnlos bezeichnen, denn sie hat – wie du ja auch schreibst – die Begegnung mit Schattenaspekten ermöglicht. Das war offenbar ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ziel. Würde man sich in der Leitung nur auf drei oder vier Wege beschränken, die man in Bezug auf diese Aufgabe für richtig hält, dann könnte es sein, dass man ihren Sinn nicht erfasst. So gesehen öffnet Prozessorientierung immer wieder Räume für Unerwartetes und vor allem für Lernen – sowohl für die Leitung als auch für die Teilnehmer.

      Robert: Für mich ist Prozessorientierung im Grunde ein Anteil der Haltung und setzt eine für Phänomene offene Wahrnehmung voraus. Das gelingt nur, wenn in mir ein neugieriges Fragezeichen angeschaltet ist, manchmal sogar vom Kontext unabhängig. So als ob die Vergangenheit und die Zukunft des „prozessierenden“ Systems undeutlich verschwimmen. In diesen Momenten der Gegenwart nehme ich Auffälligkeiten im besten Fall erst einmal wertneutral wahr, soweit das überhaupt möglich ist. Glücklicherweise gibt es einen Auftrag und damit auch mindestens ein Ziel, die dem System, inklusive der Leitung, Orientierung bieten. An diesem roten Faden spielt sich der differenzierte Umgang mit neuen Informationen ab. „Was nehme ich wahr?“ und dann „Was hat das mit dem Auftrag bzw. Ziel zu tun?“. „Welche Hypothese war entscheidend für die Methodenwahl?“ und „Was verändert es jetzt im System?“. „Welche Lösung liegt in der Luft?“ und „Interveniere ich aktiv oder passiv?“.

      Im Krpg-Globo steht die Prozessorientierung ja im Feld der „weichen Wirklichkeiten“, zwischen Menschenbild und Haltung einerseits und Handlungs- und Lösungsorientierung andererseits. Die Interventionsformen sinnvoll anzuwenden, setzt die Fähigkeit voraus, sich am Prozess zu orientieren. Diese nährt sich unter anderem aus einer klaren Haltung und einer geschulten Wahrnehmung. Darin liegt für mich der Unterschied zwischen Methoden „kennen“ und „können“. Wie schnell ist der Wüstenstaub nur aufgewirbelt …

      Susanne: Aus deinen Ausführungen ergeben sich für mich zwei weitere Ansatzpunkte zur Prozessorientierung. Du sprichst die Phänomene an, die für die Prozessgestaltung entscheidend sind. Gab es in der Geschichte, die du erzählt hast, solche Phänomene? Oder anders gefragt: Hat die Natur mit einer ihrer Interventionen auf das Geschehen reagiert? Vielleicht fällt dir ja auch noch ein Beispiel ein, in dem Phänomene den weiteren Prozessverlauf bestimmt haben.

      Und dann sprichst du von aktiven und passiven Interventionen. Um zu verstehen, wie man passiv intervenieren kann, braucht es sicher systemisches Grundverständnis. Vielleicht