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Systemische Erlebnispädagogik


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entwickelt und genutzt werden, durch Methoden des „Sozialen Kosmos“, durch „Aufstellungen“ und „Psychodrama“. Da kommt es beispielsweise zu Fragen wie:

       Welche Beziehungen und Beziehungsfelder sind für die Beteiligten (Führende und Geführte) energetisch bestimmend?

      Welche Bündnisse, Vermächtnisse und Rollenerbschaften wirken sich auf die Zusammenarbeit aus?

      Welche Geschichte hat die Organisation, welchem „Mythos“ ist sie entsprossen, und auf welche Vision hin bewegt sie sich?

      Zu meinen, für solcherlei „gründliche“ Sichtweisen bestünde im „Durcheinander der Postmoderne“ kein Platz mehr, ist ein grobes Verkennen der Wirklichkeit, in der wir leben und durch die wir, oft ahnungslos und auf banalsten Pragmatismus fixiert, eben doch geformt werden. Führungspersonen, die von alledem nichts wissen wollen, holt früher oder später ihre Kurzatmigkeit ein; davon soll später noch die Rede sein.

      „Wir arbeiten mit dem, was geschieht“ und nicht nach vorgefassten Konzepten, diese Botschaft war im Krpg-Lehrgang wegleitend, implizit noch mehr als explizit (ging es doch nicht um Doktrin). Heute hört man und liest man es allerorten: Wir sind prozessorientiert.

      Doch was es wirklich bedeutet, dem Prozess zu folgen und sich selbst als Teil dieses Prozesses zu verstehen, erfahre ich in der Führungsbegleitung regelmäßig als Stolperstein. Selbst aufgeschlossene Vorgesetzte neigen leicht dazu, den Prozess in ihrer Organisation gleichsam von außen zu beobachten und je nach Ermessen (sprich: Ungeduld) laufen zu lassen, ohne zu intervenieren. Sie erkennen nicht, wie sie auch mit dieser Beobachterrolle Teil des Prozesses sind, indem sie die Macht, einzugreifen oder geschehen zu lassen, bei sich behalten.

      Die Gratwanderung zwischen Ermöglichen (facilitate!) und Manipulieren folgt der Bruchlinie von Vertrauen versus Widerstand (bei den Geführten). Lebendigkeit des Führens hat viel damit zu tun, ob und wie die Leitenden im Biotop ihrer Arbeitsbeziehungen fassbar und transparent sind. Ränkeschmiede, Karrieristen und Graue Eminenzen führen jedenfalls nicht prozessorientiert; sie bleiben an der Peripherie des sozialen Kosmos, den jede Arbeits- und Erwerbsgemeinschaft in ihrem menschlichen Kern darstellt.

      Sicher scheint mir zu sein: Die hohe Zeit der Konzepte und generalstäblichen Planung ist zu Ende. Sie macht einem neu verstandenen Lernen-durch-Tun Platz, neu verstanden deswegen, weil es nicht um einen Rückfall in Pragmatismus geht, sondern um die stärkere Gewichtung des Prozesses. In die Handlung gehen, um miteinander zu lernen und zu wachsen. Wie einfach erschien doch Führen noch in den Jahren der Stab-Linien-Organisation: Hier die Vor-Denker, dort die Ausführenden, und dazu die „drei K-Prinzipien“: Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren. Der Chef als Befehlshaber, als Kapitän auf dem Schiff, oder idyllischer: als Kutscher, der die Zügel seiner Pferde fest in Händen hält. Ganz andere Metaphern drängen sich heute auf, zum Beispiel die des Architekten (Führen als Systembau und -gestaltung), das des Orchesterdirigenten (Führen als Anleiten und Inspirieren zur konzertierten Aktion). Gewiss gibt es noch heute auch die Metapher des Spielers: Team-Player, Global Player, Games Man. Doch spätestens im Money-Power-Game wird der gnadenlose Ernst des Spiels unverkennbar.

      Zurück zur Führungsachse, zur Haltung, auf die es in jedem Führen ganz wesentlich ankommt. Wer sich die Merkmale dieser Führungsachse näher anschaut (und Führende in ihrem Wirken näher anschaut), erkennt Eigenheiten, die viel mit individueller Lebensgeschichte und Persönlichkeitsstruktur zu tun haben. Wir alle haben im Zusammenhang mit Führen und Geführtwerden unsere persönliche Geschichte, die mit dem ersten Erleben der Eltern begann, sich über die Erfahrung mit Autoritätspersonen in den Jahren des Heranwachsens fortsetzte, bis hin zu den später folgenden Rollen als Untergebene und / oder Führungsverantwortliche.

      Schon daraus lässt sich folgern: Führen ist nur teilweise eine Disziplin (eine Methodenkomposition), die man / frau lernt wie irgendeinen Beruf. Vorverständnisse, Beweggründe, Ängste, Erfolgsbedürfnisse usw. wurzeln in der individuellen Geschichte der Führenden wie der Geführten. Damit diese Grunderfahrungen in der Führungssituation nicht zum Störfaktor werden (zum Beziehungsdrama!), müssen sie von den Exponenten (und Exponierten!) mindestens ein Stück weit aufgearbeitet und geklärt werden.

      Führen hat immer mit Menschen zu tun, also mit Beziehungsarbeit. Menschen mit Leitungsaufgaben müssen sich als Beziehungsarbeiter verstehen und bewähren. Sind sie darin ungeschickt und unsensibel, wirkt sich dies auf die ganze Atmosphäre im organisatorischen Umfeld aus. Ein Altmeister der Wirtschaftswissenschaft, der Amerikaner Herbert A. Simon, erhielt 1978 (!) den Nobelpreis für seine „Verhaltenstheorie der Unternehmung“. Diese Theorie lässt sich in sechs Punkten wie folgt zusammenfassen:

      • Unternehmungen (jedwelcher Art, also nicht nur Firmen) bestehen zuallererst aus Menschen, deren Verhalten durch ihre Individualität (Einmaligkeit) geprägt wird.

      • Menschen lassen sich auch in ihren Berufstätigkeiten von ihren persönlichen Wünschen und Zielen leiten (bewusst oder unbewusst).

      • Besonders gilt dies für Führungspersonen, das heißt Menschen mit einer Laufbahn-Perspektive und dem Anspruch, auf die Dinge Einfluss zu nehmen.

      • Leistung und Entwicklung in einer Organisation hängen somit in erster Linie von menschlichen Beweggründen und deren Dynamik ab. Was wiederum bedeutet: Frustrierte Menschen behindern die Leistung und Entwicklung einer Organisation.

      • Jede Art von Struktur und Führungsinstrumenten bleibt dieser psychischen Dynamik nachgeordnet und hat ihr Rechnung zu tragen.

      • Die Unternehmung ist also nicht primär ein formales Gebilde, sondern eine Koalition von Menschen, die sich immer wieder entscheiden, ob sie auf eine gemeinsame Aufgabe hin zusammenwirken wollen oder nicht.

      Als diese Leitsätze des Nobelpreisträgers publiziert und gefeiert wurden, war ich 45, seit gut zehn Jahren freiberuflich in der Unternehmensberatung tätig und wie viele meiner damaligen Weggefährten davon überzeugt, dass der Erfolg einer jeden Organisation primär von einer menschengerechten Führung und Personalentwicklung (damals als Human-Resource-Development neu definiert) abhängen würde.

      Dreißig Jahre später blicke ich in eine Führungslandschaft, in der dieser Vorrang des Menschen von dramatischen Neuentwicklungen in der Wirtschaft, im Management und vorab auch in den öffentlichen Finanzhaushalten abgelöst oder zumindest überlagert wurde. Die sachbezogenen Kriterien der Leistungserbringung und -bewirtschaftung haben ein Gewicht und eine Dringlichkeit bekommen, die schon beinahe als erdrückend bezeichnet werden müssen. Besonders im Bereich der Nonprofitdienstleistungen (öffentlich oder privat) wurden neue Führungsinstrumente eingesetzt, die allesamt auf eine rigorose Transparenz und Messbarkeit der Leistungsprozesse hinzielten.

      So verständlich und sogar unumgänglich diese Durchforstung aller Tätigkeiten und Aufwendungen im Zeichen der öffentlichen Sparpolitik sein mochte, so unübersehbar waren die Auswirkungen auf das Arbeitsklima und die Leistungsmotivation bei den Mitarbeitenden. Es soll hier nicht schwarz-weiß gemalt werden. Der anhaltende Druck auf den Leistungs- und Qualitätsnachweis im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen hat auch Gutes bewirkt. Ebenso trifft aber zu, dass unter dem „Ansturm“ neuer Instrumente und Formulare, bis hin zu umwälzenden Reorganisationen der Arbeitsprozesse, vielerorts eine (sogar beabsichtigte!) Entmenschlichung der betrieblichen Kultur Platz gegriffen hat. Die Mitarbeitenden erleben sich manchenorts als Sparpotenzial, als Vollstrecker eines digitalen Perfektionismus, mit dem sie gleichsam den Nachweis ihrer eigenen Überflüssigkeit (Stellenabbau!) erbringen sollen.

      Aus Sicht der Führungs- und Teambegleitung fällt mir vor allem auf, dass durch die starke Gewichtung der sachlichen und finanziellen Aspekte im letzten Jahrzehnt die Beziehungsarbeit, der menschenbezogene Teil der Führungsaufgabe erheblich gelitten hat. Das, was die Amerikaner leadership nennen und dabei deutlich von management abgrenzen, ist nun schon als Folge der zeitlichen Beanspruchung der Leitenden durch die neuen „Führungssysteme“ an den Rand gerückt. Vorgesetzte eilen von Sitzung zu Tagung, werden in neue Projekte eingespannt und „erfolgreich“ daran gehindert, der Beziehungsarbeit im eigenen Führungsumfeld den notwendigen Platz einzuräumen. Die Mitarbeitenden wiederum fühlen sich von ihren Vorgesetzten im Stich gelassen, distanziert und