Georg Rainer Hofmann

GLOBALE PROVINZ


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ich das alles so lese, so erinnere ich mich an die Ursprünge und an den Sinn und Zweck des »Raffael-Projektes« sowie an die Rolle, die mein damaliger Student Georg Rainer Hofmann dabei spielte.

      Die internationale Hauptkonferenz und Messe für das Fachgebiet der Graphischen Datenverarbeitung war damals – und ist immer noch – die der »Special Interest Group on Graphics and Interactive Techniques« (SIGGRAPH) der »Association for Computing Machinery» (ACM). Sie findet jährlich in den USA statt und hat eine weltweit richtungsweisende fachliche Bedeutung. So um das Jahr 1985 begann man sich bei der SIGGRAPH-Konferenz auch mit dem Bereich »Kunst und Kultur« als ein weiteres Anwendungsgebiet der Computergraphik zu beschäftigen. Die sogenannte »Computer Graphics Art« wurde zu einem neuen Segment der SIGGRAPH-Veranstaltungen. Man begann unter anderem zu zeigen, wie Künstler Computergraphik als Werkzeug für die Generierung und Umsetzung ihrer Ideen und Kunstwerke verschiedenster Art nutzen könnten. Diese neuen Technologien konnten aber auch eingesetzt werden als Werkzeug zur allgemeinen Analyse, Interpretation, Bewertung, Vergleichbarkeit und Einordnung von Werken im Kunst- und Kultur-Bereich. Ich war sozusagen ein »Follower« dieser Entwicklung und wollte auch in Darmstadt in diese Richtung aktiv werden.

      Für das Großprojekt des Jahres 1986, das interdisziplinäre Symposium zum Thema »Symmetrie«, hatte die Stadt Darmstadt den Schweizer Guerino Mazzola als wissenschaftlichen Leiter gewinnen können.

      Im Sommer 1985 wurde Mazzola bei mir vorstellig. Er präsentierte mir seine Sicht und sein Interesse an Raffaels Fresko »La scuola di Atene –Die Schule von Athen«. Er erläuterte mir auch, dass dieses Schlüsselwerk der italienischen Renaissance durch die geometrische Präzision der perspektivischen Ansicht und der Gestik der darin dargestellten Philosophen bestach. Mazzola hatte als Vision vor, die im Fresko dargestellte Szene als ein dreidimensionales Modell im Computer zu realisieren, um dann quasi neue Perspektiven und Ansichten der von Raffael dargestellten Szene zu berechnen, zu visualisieren. Durch diese Simulation wollte er zu neuen Erkenntnissen bezüglich einer inneren Struktur und Symmetrie des Freskos gelangen. Damit war die Idee geboren, ein »Raffael-Projekt« am Fachgebiet GRIS durchzuführen. Die Frage war jetzt »nur noch« die der technischen Umsetzung eines solchen Projektes.

      Das Raffael-Projekt fiel in die Zeit, als ich mich mit den ersten Planungen für das »Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung« (IGD) in Darmstadt beschäftigte. Es sollte dort mit Beginn des Jahres 1987 eine Abteilung geben, die »Animation und Simulation« hieß. Diese Abteilung sollte von Detlef Krömker geleitet werden und sie sollte sich mit der Erforschung der computergenerierten realistischen Bilder und Filme beschäftigen, die als Basis räumliche Szenen mit dreidimensionalen Objekten hatten. Das »Raffel-Projekt« war daher wie geschaffen und kam wie gerufen, um eine der Grundlagen für die Forschungsrichtung dieser künftigen Abteilung zu sein.

      Damit konnte ich zudem ein taktisches Ziel verfolgen, mich, ähnlich wie bei ACM-SIGGRAPH, in meinem Institut auch mit der neuen »Computer Graphics Art« zu beschäftigen. Es war deswegen nur konsequent und zielführend, dass die Abteilung »Animation und Simulation« mit Beginn des Jahres 1987 am IGD eingerichtet wurde. Unter den ersten wissenschaftlichen Mitarbeitern (WissMA) war Georg Rainer Hofmann, der bei der Durchführung des »Raffael-Projektes« einen hervorragenden Job gemacht hat.

      Das von Mazzola vorgeschlagene »Raffael-Projekt« kann auch gesehen werden als der Anfang einer Entwicklung, nämlich der »Popularisierung« der Computergraphik. Es war ein historischer Einstieg in den Anwendungsbereich »Kultur und Kunst« und den Computergraphischen »Realismus«, als Darstellung und Verarbeitung von computergenerierten realistischen Bildern und Filmen. In den Jahren 1987 bis 1989 wurden die eindrucksvollen Ergebnisse des »Raffael-Projektes« einer breiten, auch nicht-fachlichen Öffentlichkeit präsentiert. Um diese Verbreitung der im Projekt erzielten, sehr interessanten Ergebnisse noch weiter zu verstärken, hatte ich mich erfolgreich beim Springer-Verlag in Heidelberg dafür eingesetzt, dass dort eine Monographie über das »Raffael-Projekt« erscheint. Die Autoren waren Guerino Mazzola, Detlef Krömker und der Student Georg Rainer Hofmann.

      Damit hatte das »Raffael-Projekt« meine Absichten und die damit verbundenen Erwartungen bereits mehr als voll erfüllt, nämlich das Erschließen und Ermöglichen von neuen Anwendungen für die Graphische Datenverarbeitung, als Informatik-Werkzeug und als »Enabling Technology« im Bereich Kunst und Kultur. Das Projekt hat gezeigt, wie wertvoll die Methoden, Techniken und Systeme dieser Informatik-Disziplin sind, um Visualisierungen, Analysen, Simulationen und Animationen rechnergestützt für Kunst- und Kulturschaffende zu ermöglichen und zu realisieren.

      Das »Raffael-Projekt« hat in den 1980er-Jahren sicher eine Pionierrolle gespielt und wurde zu einem der »Enablers« dieser Entwicklung. Es war dahingehend sehr erfolgreich und hat damit seinen Zweck voll erfüllt. So gesehen zählt mein ehemaliger Student Georg Rainer Hofmann aus meiner Sicht zu den Pionieren der »Computer Graphics Art«. Gerne habe ich auch sein, dieses hier vorliegende, Buchprojekt unterstützt, in dem er über vier Jahrzehnte der Entwicklung der Informationsgesellschaft aus seiner Sicht und auf der Basis seiner persönlichen beruflichen Erfahrungen berichtet.¶

      Aus einer philosophischen Sicht haben wir damals gelernt, dass der geisteswissenschaftlichen Methode des »Perspektivenwechsels« durchaus eine mathematisch-technische Komponente entspricht. Guerino Mazzolas Interpretation des kategorientheoretischen Yoneda-Lemmas »Verstehen heißt Perspektiven ändern und sammeln« war ein wichtiges – und technisch realisierbares – Element geworden. Dieser Umstand sollte uns auch künftig noch intensiv beschäftigen.

      Ich hatte damals ein großes Interesse an einem eiligen Studium, denn ich wollte möglichst bald meine semi-professionelle Hiwi-Tätigkeit durch eine »richtige« Berufstätigkeit ersetzen. Im Herbst 1986 war dann nach acht Semestern das Studium der »Informatik mit Nebenfach Volkswirtschaftslehre und Wahlfach Philosophie« an der THD beendet.

       Computer machen Musik in Wien und in Zürich (1987 – 1988)

      Die große Mathematische Musiktheorie wird durch einen kleinen Computer namens »MDZ71« aus Darmstadt unterstützt. Dieser MDZ71 wird in Wien von Herbert von Karajan gelobt, und er gibt auch ein Konzert in Zürich.

      Das Darmstädter Institut GRIS von José Luis Encarnação hatte in Mitte der 1980er-Jahre enorm an internationaler Bedeutung gewonnen. Das war vor allem den Beiträgen zur Entwicklung – und internationalen Etablierung – eines der ersten internationalen ISO-Standards für Informationstechnik, dem »Graphical Kernel System« (GKS) zu verdanken. Dieser Standard mit der Nummer ISO/IEC 7942 war ein »Application Programming Interface« (API) für die Darstellung und Interaktion mit vor allem zwei-dimensionalen Vektorgraphiken. Pixel-basierte Rasterbilder spielten nur eine Nebenrolle. Das GKS war unabhängig von Hardware-Plattform und Programmiersprache definiert. Die Arbeiten am GKS brachten GRIS eine hervorragende internationale Vernetzung und eine erhöhte Aufmerksamkeit für Auftragsforschungsprojekte sowohl der öffentlichen Hand als auch der gewerblichen Wirtschaft.

      José Luis Encarnação hatte die Bedeutung der Arbeiten von GRIS für die akademische Forschung und für Anwendungen in der Wirtschaft absolut treffsicher erkannt. Er betrieb bereits im Jahr 1984 die Gründung des Vereins »Zentrum für Graphische Datenverarbeitung e.V.« (ZGDV). Geschäftsführer des ZGDV wurde Herbert Kuhlmann. Damit griff Encarnação an der THD eine bereits aus den USA bekannte Idee auf. Das ZGDV war als ein »Industrial Programme« dafür da, den Dialog und Wissenstransfer mit prospektiven Projektpartnern aus der Wirtschaft zu intensivieren und zu institutionalisieren. Dieser Grundgedanke sollte Jahre später im Sinne des systematischen »Wissenstransfers« der Hochschulen eine konsequente Weiterentwicklung erfahren.

      Es verwundert nicht, dass auch die »Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.« auf GRIS und das ZGDV aufmerksam wurde. Die Fraunhofer-Gesellschaft hatte ihre Zentralverwaltung in München, die eigentliche Facharbeit wurde in Dutzenden von dezentral lokalisierten und organisierten Instituten ausgeführt. Nach entsprechenden Verhandlungen und Vorbereitungen nahm zu Beginn des Jahres 1987 die »Fraunhofer-Arbeitsgruppe (für) Graphische Datenverarbeitung« (FhG-AGD bzw. AGD) in Darmstadt ihre Arbeit auf. Die Existenz der AGD war seitens