ins Himmelreich. Ein ganz schöner Satz, nicht.
Karola Bloch: Sie können umgekehrt sagen: Der Bloch hat verschiedene Theologen politisiert. Die Kritik der Theologen an Bloch, an seinem «Prinzip Hoffnung», hiess zwar ungefähr: Hoffnung kann man nicht haben ohne Gott. Aber schliesslich kann der Bloch nichts dafür, dass die Theologen ihn so vereinnahmt haben. Ich würde so sagen: Wie ein impotenter Mann, der sich so Spritzen verabreichen muss, um wieder potent zu werden, so haben manche Theologen den Bloch benutzt, weil sie doch eigentlich auf ziemlich absteigendem Ast sind. Viele Theologen schrieben über ihn, die theologische Sekundärliteratur ist ja grösser als die andere. Der Bloch gab ihnen so eine Spritze. Manche von ihnen sind aber auch von Bloch inspiriert in einer richtigen Richtung. Zum Beispiel dieser katholische Theologe Johann Baptist Metz in Münster ist von ihm politisiert worden. Der war eine Zeitlang ziemlich links, und dann hat er wohl kalte Füsse bekommen und ist ein bisschen abgerückt, aber nichtsdestoweniger, am 30. Juni machen hier gerade der Metz aus Münster, der Moltmann und der Küng ein Symposium, das Ernst Bloch gewidmet ist, also sozusagen: Ernst Bloch und die Religion.
Ernst Bloch: Ohne Gott.
Karola Bloch: Die Theologen werden dann Gott einführen, wahrscheinlich. Besonders das Buch «Atheismus und Christentum» hat viele Leser unter den Theologen zum Widerspruch gereizt. Das ist eben das Interessante, dass so viele Leute von der Theologie her zum Sozialismus kommen, zum Beispiel der Rudi Dutschke war ein Theologe, auch die Anarchistin Gudrun Ensslin, sie haben vom Urchristentum oder vom Revolutionär Jesus her Impulse bekommen. Das ist nicht negativ zu werten, kann man nicht sagen.
Da Sie aus Frankreich kommen, eine Frage in ganz anderem Zusammenhang: Wie erklären Sie sich eigentlich, dass in Frankreich, wo das Proletariat doch mehr Klassenbewusstsein hat als in Deutschland, dass dort die Revolte 1968 so kläglich zusammengebrochen ist, statt dass die Arbeiter mit den Studenten zusammen etwas erreicht hätten?
NM: Ich vermute, wegen der politischen Führungslosigkeit, weil die KP keine revolutionäre Führung bot.
Ernst Bloch: Und durch die Sowjetunion und ihre Direktiven an die französische Kommunistische Partei.
NM: Und die Sowjetunion hatte natürlich kein Interesse an einem Umsturz in Frankreich.
Karola Bloch: Warum eigentlich? Warum hat die Sowjetunion kein Interesse daran, dass in einem grossen westlichen Land die Revolution gemacht wird, wo doch Karl Marx schon sagte, dass sie von dort kommen werde?
Ernst Bloch: Wegen der Konkurrenz. Ein kleineres, aber gefährlicheres China.
Karola Bloch: Das ist ja nun eben die grösste Enttäuschung am Sozialismus, der China-Sowjetunion-Konflikt, und b), dass hier ein Sozialist sagen muss: Die Sowjetunion hat kein Interesse, dass in Frankreich die Revolution gemacht wird. Im Grunde genommen eine ungeheuerliche Sache.
NM: Das ist etwas, woran Sie damals noch glauben konnten, wenn man Ihre politischen Aufsätze aus den dreissiger Jahren liest: Die Sowjetunion als revolutionäre Macht, und das Proletariat in den westlichen Ländern als revolutionäres Subjekt. Daran kann man wohl auch nicht mehr so ganz glauben, bei dem gegenwärtigen Zustand der Arbeiterschaft. Hat man damals nicht auch schon ein wenig Zweifel gehabt an der Sowjetunion?
Ernst Bloch: Von der Mauer ab sicher. Vorher gab's Zweifel, aber keine kanonischen und keine mit Dynamit. Es war immerhin die Sowjetunion, das Vaterland aller Werktätigen. Und die Zweifel gingen nicht aufs Grundsätzliche. Aber in ganz kleinen Dosen kamen immer wieder die Spritzen der Entfremdung. Es gab die Paralellen mit Frankreich, und es gab die Nazis. Die Nazis sind in der genau gleichen Reihenfolge in Paris eingezogen, wie sie in Deutschland auszogen, wurde überhaupt nicht geschossen unterwegs, 1940. Die Frage war: Wollt ihr, dass das auch in Russland vor sich geht und dass fünf oder sechs Spekulanten, Litwinow und Bucharin zum Beispiel, in ein Einverständnis mit den Nazis kommen, so dass wir ein zweites Frankreich haben? Oder meint ihr, dass das kühle Denker sind, hochgelehrte Männer, wissenschaftlich hieb- und stichfeste Männer, die eben eine andere theoretische Perspektive haben als ihr, die ihr für die Stalinsche Politik seid? Nun haben sie eben diese Politik durchführen wollen, sie haben ein grosses Spiel gewagt und haben das Spiel verloren. Sie sollen nicht zum Tod verurteilt werden, aber jedenfalls dafür einstehen, dass sie das Spiel verloren haben. Im übrigen, wo kommen die gegenteiligen Beurteilungen her, sagte man sich. Aus der bürgerlichen Presse.
NM: Wenn man heute sieht, wie die Ideologie der Kleinbürger immer weiter um sich greift, obwohl die Kleinbürger objektiv deklassiert werden, dann fragt man sich, wo eigentlich der Hebel zur Veränderung angesetzt werden könnte.
Ernst Bloch: Man soll das nicht fragen. Man soll den Inhalt seines Zweifels betrachten und abwarten und keinen Tee trinken. Und sich theoretisch weiter auf der Höhe halten. Es ist doch schon oft genug vorgekommen, dass es anders herauskam, als man dachte, und immer wieder gibt's doch Unterbrechungen.
Karola Bloch: Den Faktor der neuen Möglichkeiten muss man auch mit einbeziehen. Wer hätte gedacht, noch vor zwei Jahren, dass ausgerechnet in Portugal etwas Neues geschieht? Ich staune, woher nehmen die Leute überhaupt dieses politische Bewusstsein. Leute, die jahrzehntelang nichts lesen konnten, nichts wussten – wenn man betrachtet, mit welchem Enthusiasmus sie sich einsetzen, ist doch ganz erstaunlich. Auch Griechenland, wer hätte gedacht, dass Griechenland plötzlich eine andere Richtung einschlüge? Und so muss man sagen, dass vielleicht unerwarteterweise sich etwas ereignet, auch in einem der grossen Industrieländer, meinetwegen vielleicht in England, wo die wirtschaftliche Situation so katastrophal ist, könnt' ich mir vorstellen, dass vielleicht plötzlich in England der Groschen fällt und das Proletariat beschliesst: Jetzt wollen wir Schluss machen mit dieser faulen Gesellschaft, die's zu nichts bringt, und wir wollen mal tatsächlich mit Sozialismus beginnen …
NM: Ich bin auf den Kommentar eines Staats-Philosophen der DDR gestossen, Rugard Otto Gropp, der Ernst Bloch im Namen des Marxismus «antimarxistische Welt-Erlösungslehre» vorwirft. Wodurch wurde dieser Vorwurf ausgelöst?
Karola Bloch: Das war doch diese berühmte Geschichte, dass Bloch in der DDR angegriffen wurde, nachdem die Ungarn den Aufstand hatten und die Polen – Lukács hatte uns im Sommer '56 besucht –, und wir haben uns damals glänzend mit ihm verstanden, und wir waren uns alle darüber einig, dass ein demokratischer Sozialismus kommen musste. Und der Lukács und seine Frau sagten uns: Ihr müsst gegen Ulbricht vorgehen, und mein Mann unterstützt alle in der DDR, die später im Gefängnis gelandet sind, in diesem Bestreben, eine andere DDR zu haben. Das hatte so einen abgekürzten Namen: menschlicher Sozialismus, also nicht diese bürokratischen Zustände. Und nun, solange es keinen Aufstand in Ungarn gab und in Polen, da konnte man das sogar noch sagen, weil der 17. Juni ist den DDR-Leuten sehr in die Knochen gefahren, es musste sich ein wenig die Atmosphäre ändern, nachdem sie erlebt haben, dass die Arbeiterklasse in der DDR gegen die Regierung eingestellt war.
Das war ja ganz wuchtig, ich hab' das alles erlebt, war gerade in Berlin und hab' alles mit eigenen Augen gesehen. Ich war in der SED und war an sich eine sehr treue Genossin, aber das hab' ich miterlebt, und das war schon etwas sehr Entsetzliches, gerade Arbeiter zu sehen, wie sie ihre schlesischen Lieder sangen und «Deutschland, Deutschland über alles» und wie sie verlangten, dass die Regierung abtritt usw. Und dann hat die Regierung etwas liberalisiert, man konnte schon etwas mehr sagen. Bloch hat das ausgenutzt und hat mitgearbeitet an einer Zeitschrift, die hiess «Der Sonntag». Da waren junge Leute, die alle so begeistert waren von diesem andern Sozialismus. Man konnte damals Stalin kritisieren, nachdem Chruschtschow die Verbrechen Stalins aufgedeckt hat.
Nachdem nun aber die sowjetischen Panzer den Aufstand in Ungarn niedergemetzelt haben, war das ein Signal für die alten Stalinisten in der DDR, alle die Leute zu bekämpfen, welche für den neuen Sozialismus sich eingesetzt hatten. Als Bloch im Jahre 1955 den Nationalpreis der DDR bekommen hat und zu seinem siebzigsten Geburtstag, da gratulierte alles, was in der DDR gut und teuer war, da haben Ulbricht und Pieck und Grotewohl rote Saffianmappen mit Gratulationen geschickt, und derselbe Gropp, der später gegen ihn war, hat damals als Herausgeber der Festschrift gezeichnet – nachdem schon 1954 der erste Band von «Prinzip Hoffnung» erschienen war, schwärmten alle Zeitschriften in der DDR von Bloch, und er wurde auf ein ganz hohes Podest gestellt als der Philosoph.
NM: