Niklaus Meienberg

Reportagen 1+2


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gab um 1952, als eine Strömung gegen Hegel war. Da hatte er sein Hegel-Buch veröffentlicht. Also ganz glatt wurde er nie akzeptiert in der DDR, aber immerhin, das wurde dann überspielt durch so verschiedene Faktoren, nach dem Tode von Stalin. Nachdem jedoch aufgedeckt wurde, dass Wolfgang Harich, der mit Bloch zusammen die «Zeitschrift für Philosophie» herausgab, auch zu einer oppositionellen Gruppe gehörte – in dieser Zeitschrift konnte Bloch damals, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, schreiben –, als nun entdeckt wurde, dass Harich nach Hamburg zum «Spiegel» ging und er die Sache dort ganz gross aufziehen wollte und Harich darauf verhaftet wurde, da wollte man auch den Bloch und mich verhaften, denn er galt als der Drahtzieher. Aber dann hat man davon abgesehen, das war nicht opportun, Bloch war auch nicht mehr jung und zu bekannt und so weiter. Die Leute, die dann gegen ihn schrieben, waren durchaus nicht unanständige Leute, verstehen Sie, und die kamen nun zu uns und sagten: Entschuldigen Sie oder entschuldige – mit manchen waren wir per du –, entschuldige, dass nun bald ein Aufsatz erscheinen wird in der «Zeitschrift für Geschichte», wo vor kurzem noch dithyrambisch über Bloch geschrieben wurde, entschuldige, dass nun ein Rückzieher gemacht wird und ich schreiben muss: Mea culpa, ich habe mich geirrt, Bloch ist nicht das, was wir dachten, er ist ein Metaphysiker oder Mystiker, dessen Philosophie mit Marxismus nichts zu tun hat. Also das schüttete nur so, auch in Zeitungen.

      NM: Das ist schlagartig gekommen, einfach als politischer Reflex, und hat nichts zu tun mit einer seriösen Kritik, die schon früher aufgrund des Marxismus an Bloch eingesetzt hatte?

      Karola Bloch: Das war nur ein Echo, ein Gegenzug, der diese demokratischen Strömungen kontern sollte. Im Januar 1957 wurde Bloch seines Amtes enthoben, er ist zwangsemeritiert worden, wie man das nennt, und durfte den Boden der Universität nicht mehr betreten. Er hatte natürlich unter der Jugend unerhörten Zuspruch. Seine Vorlesungen waren gefüllt, und die Jugend verehrte ihn sehr. Nun konnte er nicht mehr öffentlich auftreten, und im März oder April 1957 war diese Konferenz: Ernst Bloch, Revision des Marxismus. Und daran beteiligten sich jene Leute, die früher ihn so hoch aufs Schild gehoben hatten. Der Gropp hat das angeführt, das war so ein ganz Sturer. Der Pinkus wird das Buch sicher haben: Ernst Bloch, Revision des Marxismus.

      NM: Haben Sie nicht in der DDR einen Teil Ihrer Utopie verwirklicht gesehen?

      Karola Bloch: Das könnte man vielleicht sagen, in den ersten Jahren nach dem Krieg, das war sehr hoffnungsvoll. Was dort unzulänglich war, haben wir zuerst als Kinderkrankheiten betrachtet, wir waren vorerst eigentlich sehr glücklich dort. Es war ein reiner Zufall, dass wir hier gelandet sind. Im Jahre '56, als der Harich verhaftet wurde, sagten uns Freunde: Ihr steht auch auf der Liste, Ihr kommt auch dran. Auch SED-Mitglieder haben uns damals zur Abreise geraten. Aber da wollten wir nicht, denn so viele junge Leute hängen eben an Bloch, sagten wir uns. Und wenn er da weggefahren wäre, hätte er das wie einen Verrat empfunden. Er sollte lieber dortbleiben als Mahnender für einen besseren Sozialismus.

      NM: Ein ähnliches Dilemma wie für Brecht, der dann gestorben ist, bevor er in Ihre Lage kam.

      Karola Bloch: Ganz recht. Wir waren ganz einig mit dem Brecht. Und deswegen ist Bloch geblieben. Aber dann waren wir hier in der Bundesrepublik im Jahre '61 im Urlaub, wir wollten natürlich zurückkehren, wir haben ja ein Haus gehabt und Bücher und alles mögliche, und wir wollten zurück nach Leipzig. Aber in der Bundesrepublik hat uns eben die Mauer erwischt. Und da kam plötzlich das Dilemma, dass wir nie mehr hätten raus können und dass vor allem der Bloch mit dem Suhrkamp-Verlag keine Verbindung mehr gehabt hätte, keine Manuskripte mehr hätte rausschicken können. Und in der DDR hat man ja nichts mehr von ihm gedruckt, nicht mehr eine Zeile. Und das war dann der Grund, dass wir uns entschlossen haben, nicht zurückzukehren. Also wir sind nicht in diesem Sinne Flüchtlinge, dass wir die DDR verlassen haben.

      Ernst Bloch: Als wir damals drüben ausreisten, wurde nicht ein Ton, nicht eine Silbe von der Mauer gesprochen.

      Karola Bloch: Wir wussten doch von nichts. Wir hatten zwei kleine Köfferchen für die Sommerreise mit. Wir haben alles verloren. Nur die Manuskripte, die hat ein Mann gerettet. Er ging in das Haus und brachte die Manuskripte raus.

      NM: Wurden denn Ihre Bücher in der DDR nicht von einer andern Schicht gelesen, hatten Sie nicht eine andere gesellschaftliche Funktion als hier jetzt in der Bundesrepublik? Man hört immer, in der DDR würden die Philosophen viel mehr in Ehren gehalten als in der Bundesrepublik.

      Ernst Bloch: Hier haben sie eine gesellschaftliche Funktion, drüben nicht. Es gibt nur eine Schicht, die die Bücher gelesen hat.

      Karola Bloch: Hier ist die Schicht grösser.

      NM: Kann man nicht sagen, dass in der DDR Bücher wie Ihre mehr von Angestellten und Arbeitern gelesen werden als hier?

      Ernst Bloch: Das kann man nicht sagen. Da liegt eine Decke von Heuchelei darüber und von Vorsicht. Einer, der mit der Regierung zusammenstösst und einen hohen Posten hat an der Universität, dem werden das Kleinbürgertum und die Angestellten, die selbst kleinbürgerlich sind, nicht ihr Herz eröffnen.

      Karola Bloch: Ausserdem, Sie dürfen nicht vergessen, die Zeitspanne war sehr kurz. Das erste Buch, das drüben erschienen ist, war das Hegel-Buch, 1951. Und dann kam «Prinzip Hoffnung», der erste Band 1954. Alles in kleinen Auflagen, die sofort vergriffen waren, so dass gar nicht ein grosser Teil der Bevölkerung dazu kommen sollte. Wie mir mal ein Buchhändler sagte: Die haben schon einen Riecher gehabt, dass der Bloch nie so ganz linientreu war. Und die Bücher wurden unter der Theke verkauft. Aber, wenn er einen Vortrag irgendwo hielt, wie zum Beispiel zum 125. Todestag von Hegel, da war das Audimax in der Humboldt-Universität von Berlin überfüllt. Da kamen nicht nur Philosophen, sondern auch Mediziner und andere. Zuletzt hast du, glaub' ich, in der Anatomie gelesen?

      Ernst Bloch: Ja.

      Karola Bloch: Der Bloch verkörperte eben einen andern Sozialismus, nicht einen solchen, der Leitartikel von sich gibt. Davon hatten die Leute genug.

      Ernst Bloch: Wir haben jetzt genug Mühle gespielt, sagte ich damals. Wir sollten jetzt beginnen, Schach zu spielen. Mühle, wissen Sie, was das ist? So ein kleinbürgerliches Spiel.

      (Das Gespräch fand statt in der Blochschen Wohnung in Tübingen zur Feier des 90. Geburtstages von Ernst Bloch, im Sommer 1975.)

      Überwachen & Bestrafen (I)

      Es ist immer wieder zum Staunen, wie wenig die brillanten, penetranten, umstürzlerischen und genussreichen Schriften des berühmten Historikers* * Foucault möchte, wie er mir in einem Gespräch 1971 versicherte (TAM Nr. 12/1972), ausdrücklich nicht als Philosoph gelten, obwohl er in Frankreich meist als solcher betrachtet wird. Auf die Frage, worin die «Arbeit der Philosophen» bestehe, sagte er: «Ich glaube, dass die Philosophen nicht arbeiten» und «Die Philosophie ist eigentlich schon abgeschafft, sie ist nur noch eine kleine, vage Universitätsdisziplin, wo die Leute von der Totalität der Entität sprechen, von ‹écriture›, von der ‹materialité du signifiant› und so ähnlich.» Michel Foucault im deutschen Sprachraum durchgedrungen sind. Hängt's am Französischen, dessen Kenntnis mehr und mehr vom Englischen verdrängt wird? Hängt's an den deutschen Übersetzungen, die sehr wenig von Foucaults «Lust am Text» verstrahlen?** Da hat mir kürzlich ein bekannter Psychiater, den die Foucaultschen Untersuchungen über die Geschichte des Wahnsinns nicht kaltlassen dürften, kopfschüttelnd gesagt: «Foucault? Nie gehört. Kenne die Pariser Szene nicht.» Und ein notorischer Linguist, voll mit Roman Jakobson beschäftigt, heller Kopf, aber ziemlich auf den angelsächsischen Raum fixiert, hatte auch noch keine Zeile des französischen Professors und Agitators zu sich genommen. ** Foucaults kartesianische und zugleich barocke Sprache ist kaum übersetzbar, schon gar nicht von Übersetzern, die im Akkordsystem und schlecht bezahlt sich abrackern müssen. Die Irreführung des deutschen Lesers beginnt schon bei den Titeln. So wurde «Histoire de la Folie» im Suhrkamp Verlag publiziert als «Wahnsinn und Gesellschaft» – ein Titel, der nach Soziologie und nicht mehr nach Geschichte riecht wie das französische Original.Und ach, sogar ein Historiker, etabliert, renommiert und installiert auf einem Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Zürich, ein Mann in den besten Forschungsjahren und scharf auf alle erklecklichen Neuerscheinungen seiner Domäne, hatte den Namen des grossen Kollegen F. weder in sein Bewusstsein