Michael Reh

Asta


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in die Öffentlichkeit zu bringen. Zwei Woche Promo-Reise standen mir bevor, die Reisetasche war klein, die Erwartung groß, als ich von Miami nach Deutschland flog. Die Reaktion auf Katharsis war überraschend, überwältigend. Dann der Lockdown und ich saß fest. In Deutschland. Meine Freunde in der Nähe von Stade im hohen Norden gaben mir ein Zuhause in dieser Zeit. Ich schaffte es noch, ein Fahrrad zu kaufen, und hatte dann viel Zeit, die Gegend um Stade mit dem Rad zu erkunden.

      Der Wettergott drückte beide Augen zu, es war frisch und sonnig, so wie ich es mag! Ich radelte stundenlang, entdeckte den Kreidesee, eine alte Villa und eine Geschichte entstand in meinem Kopf. Mysteriöse Morde in der Gegend um den See und alle Spuren führen zu einem alten Gehöft nahe der Oste, dem Wohnsitz von Clara Jocke, einer verurteilten Mörderin.

      Arbeitstitel war unter anderem »Die Liste« und »Der Kreidemörder«. Aber Asta ist der Angelpunkt, sie ist der Kern der Geschichte, die Ursache für die Morde, aber ich will an dieser Stelle nichts verraten, lesen Sie selbst. Und es geht auch um Familie, unsere Strukturen, um Veränderung, Herausforderungen, denen sich meine Figuren stellen müssen.

      Es ist auch eine Hommage an ältere Frauen, die die Gesellschaft oft vergisst. Ich mag meine Figuren sehr, halfen sie mir doch ein Jahr lang, die Einsamkeit des Lockdowns, den wir alle kennen, gut zu überstehen. Clara, Heiko, Gisela und Tom, gerade diese Figuren machen einen wichtigen Wandel durch. Und natürlich Schoko, dessen lebendes Vorbild mich auf meinen langen Spaziergängen an der Oste begleitete. Asta ist ein Produkt meiner Fantasie und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind entweder zufällig oder, in zwei Fällen, beabsichtigt.

      »Asta« ist nicht nur ein Krimi, es geht, wie in »Katharsis«, um Familie und um Veränderung! Ich liebe Stade, ich mag die Landschaft, die Menschen, Norddeutschland, das Klima, die Rauheit. Ich habe in Hamburg studiert, komme aus dem Ruhrgebiet und lebe in Amerika, aber mein Herz, meine Liebe gehört dem deutschen Norden, immer schon … und das wird auch so bleiben! Ich hoffe, die Stader sehen »Asta« als das, was es ist: Ein Kompliment, eine Hommage an eine Stadt, die mir viel bedeutet. An mein emotionales Zuhause.

      Zum Schluss noch eines! Der Mörder ist nicht immer der Gärtner! Viel Spaß bei der Lektüre!

      Michael Reh

      Fire Island, im August 2021

      Ich will, dass er stirbt! Er muss sterben! Er hat es nicht anders verdient!

      Er steht auf meiner Liste! Ich habe Jahre gebraucht, um alle zu finden! Und keinem wird vergeben.

      Es war einfach, er schöpfte keinen Verdacht, als er mich heute besuchte. Ein dummes Schaf! Er trank den Tee und freute sich über den Kuchen, den ich im angeboten hatte. Er kam zu mir, ohne zu ahnen, dass er den Tag nicht überleben würde. Nach einer halben Stunde wirkte die Substanz, so wie ich es geplant hatte. Kurze Zeit später fuhr ich durch den schon fast dunklen Spätnachmittag. Es war ein Sonntag, es regnete und ich begegnete keinem Auto. Er lag bewegungsunfähig im Kofferraum. Sie hatten einen Sturm mit Starkregen vorausgesagt und das war gut so. Die Reifenspuren meines Wagens würden somit nicht mehr zu erkennen sein. Alle Bemühungen, ihn zu finden, werden ins Leere führen.

      Er atmete noch. Gut so! Er sollte alles mitbekommen, er sollte leiden. Es war nicht einfach, ihn aus dem Kofferraum zu holen. Er fiel in den Schlamm, die Spritzer landeten nicht nur auf meinen Gummistiefeln, sie flogen bis zu meinem Gesicht hinauf. Er starrte mich an. Sprechen konnte er nicht, das Gift hatte sich bereits in jede Muskelfaser ausgebreitet.

      Der Regen wurde stärker und der Wind schlug mir mit Gewalt ins Gesicht, zerrte an meinem Regenmantel. Es war inzwischen vollkommen dunkel, das nächste Dorf Kilometer entfernt. In diese Einöde kam niemand, denn das Moor war tückisch und hatte vor einigen Jahren zwei Opfer gefordert. Irgendwelche dummen Touristen, die sich nicht auskannten, sie konnten nur noch tot geborgen werden. Die Zeitung hatte darüber ­berichtet. Ich stülpte den schwarzen Plastiksack über seine Beine und legte ein paar große Steine hinein. Ich musste sicher sein, dass ihn das Gewicht nach unten zog. Das Moor war tief hier. Ich zog den Sack höher hinauf bis zu seinem Hals. Seine Todesangst konnte ich trotz des Regens und der Dunkelheit schmecken.

      »Das hast du dir selbst zuzuschreiben, mein Freund«, flüsterte ich ihm ins Ohr. »Leider warst du die ganze Zeit auf der falschen Fährte, schade eigentlich. Du bist genauso erbärmlich und unfähig wie dein Vater. Du allein bist schuld daran, dass du hier liegst!« Ich spuckte ihm verächtlich ins Gesicht. »Aber keine Angst, du wirst nicht der Einzige sein, das schwöre ich dir. Du warst nicht der Erste und bist weiß Gott nicht der ­Letzte. Ihr werdet alle büßen für das, was ihr uns angetan habt.«

      Mit dem Messer ritzte ich ihm den Buchstaben auf die Wange, klein, aber unübersehbar, dann zog ich den Plastiksack über seinen Kopf und verschloss ihn mit einem Kabelbinder. Ein paar grelle Blitze zuckten auf. Die jungen Birken am Rand des Moores bogen sich gefährlich und drohten zu brechen. Doch Birken brechen nicht, sie sind biegsam. Genau wie ich! Mit all meiner Kraft stieß ich den schwarzen Sack in das schlammige Wasser und sah ihn langsam, aber sicher untergehen. Ein paar Minuten später war er verschwunden. Der Regen prasselte mit einer ungeahnten Stärke auf mich und das Moor. Es ist alles gut. Der Regen wird mich reinigen!

      1 Hamburger Abendblatt vom 30. September 1985

      Ehefrau schuldig gesprochen.

      Von Brigitte Frey

      Ein Prozess, der Hamburg, ja ganz Deutschland seit ein paar Monaten in Atem hielt, ist zu Ende. Gestern Nachmittag um 16:30 Uhr verurteilte das Hamburger Land­gericht die 35-jährige Clara J. zu 20 Jahren Haft. Sie war des Mordes an ihrem Mann Johann J. und dessen Freund Reiner F. angeklagt und für schuldig befunden worden. Die Angeklagte behauptete während der gesamten Verhandlungs­zeit bis zur letzten Minute, dass sie unschuldig sei, obwohl Augenzeugen sie zur Tatzeit am Tatort gesehen hatten. Sie war von Beamten unter Leitung von Kommissar Christian Cordes noch am Tatort fest­genommen worden. In einem Indizienprozess sah das Gericht es als bewiesen an, dass Clara J. ihren Mann und seinen Liebhaber im Affekt und aus Eifersucht am Abend des 6 Februar 1985 erschossen hatte.

      Es war kalt an diesem grauen Spätnachmittag Ende Januar in Berlin. Jene Kälte, die so feucht ist, dass sie durch die Kleidung bis auf die Knochen dringt und sich daran festklammert wie ein Ertrinkender, unabdinglich.

      Berlin, Hauptstadt! Heute politisches Zentrum des Landes, das man jahrelang in Ost und West geteilt hatte, nachdem es im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, verfeindet durch fremde Machthaber, getrennt durch die Mauer, entfremdet durch eine Ideologie, die inzwischen nicht mehr aktuell war. Berlin nach 1945, die Jahre der Teilung nach 1949. Lichtjahre entfernt von dem Leben des Mannes auf der Parkbank.

      Für Tom war die DDR in seiner Kindheit ein fremdes Land. Dann kam die Wiedervereinigung. Und für einen Augenblick die Hoffnung, dass es so etwas wie Menschlichkeit gab, zumindest Gerechtigkeit oder Selbstbestimmung. Tom war im November 1989 ein Junge, gerade mal neun Jahre alt.

      Er wuchs im kleinbürgerlichen La Salle, Illinois, als letzter männlicher Erbe einer untergehenden Industriellen­familie auf. In einem Amerika, das noch als gelobtes Land galt, als Polizist des Weltfriedens und Sinnbild anderer geschickt vermarkteter Mythen, wie die vom Tellerwäscher zum Millionär. Bullshit! Die Bilder der jubelnden, scheinbar in die Freiheit entlassenen Ostberliner aber hatten sich in seine kindliche Seele gebrannt. Berlin, die Stadt der Freiheit.

      Jetzt war er seit zwei Jahren in der Stadt seiner kindlichen Träume.

      Berlin. Eine große alte Nutte, dreckig, freche Schnauze. Tom hatte Kunst studiert, war nach New York gegangen, um Maler, Bildhauer, Künstler zu werden. Sein Talent lag in der Skulptur. Marmor, Stein, Holz, ja selbst Zement wurden wie Wachs in seinen Händen und so formte, schlug und meißelte er aus totem Gestein die wunderbarsten Formen. Keine abstrakten, nein, Frauenkörper flossen aus seinen Händen, die toten Elementen Leben geben konnten. Seine Begabung war nicht vererbt, keiner wusste, woher dieses Kuckucksei der Familie gekommen war. Alle Vorfahren bis hin zum Urgroßvater William waren Handwerker und Industrielle! William, eigentlich Wilhelm Morten, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts das heimische Dorf in der Nähe