Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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die klügste und anständigste Tochter eines Edelmanns, die königliche Braut werden kann, wird innerhalb des Stückes tendenziell eher der Erhalt einer sozialen und politischen Hegemonie der Aristokratie gefestigt. So bedient Platens Adaptation gängige ästhetische Selbstdarstellungen und -stilisierungen der Adelsklasse.14 Grundsätzlich wird so die gesellschaftliche Vormachtstellung des Adels durch Aschenbrödels Hochzeit mit dem Prinzen bestätigt und im glücklichen Ausgang des Stückes unhinterfragt propagiert. Allein wenn rangniedere Figuren wie Pernullo die Bestrebungen der Prinzen als närrisch und verklärt entlarven, schwingt eine leicht humorvoll formulierte Skepsis über einen weltfremd agierenden Adel mit.

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Platen den Ansatz Tiecks, eine selbstironische Märchenadaptation zu erschaffen, in Teilen übernimmt und durch eine Figurenkonstellation umrahmt, die auf Gozzis kontrastreiche Dramaturgie zurückgreift. Platen wählt das Märchen, um sich der genreüblichen Stereotype seiner Figuren, der weltfremden Motive seiner Protagonisten und der fantastischen Motive seiner Handlung zu bedienen. Insgesamt zeigt sich Platens Märchenkomödie nur subtil ironisch. Mit dem Gläsernen Pantoffel strebt Platen so größtmöglichen Unterhaltungswert an und lässt von einem ernsthaften satirischen Zugriff ab.

      Christian Dietrich Grabbe Aschenbrödel: Dramatisches Märchen (1829/35)

      In seiner satirischen Dimension sehr viel eindeutiger zeigt sich wenig später Grabbes Bearbeitung von Cendrillon ou la petite pantoufle de vair.1 Das Motiv des Aschenbrödels, das damals immer wieder in Unterhaltungsstücken und Opern aufgegriffen wird, enthält bei Grabbe mannigfaltige Kritik an einer Gesellschaft, die in der Darstellung des Autors von Habgier und Materialismus geprägt ist.2 Bereits Perraults Vorlage und andere verwandte Bearbeitungen weisen das Motiv des gesellschaftlichen Strebens nach einer lukrativen Heirat auf, das von Grabbe mit zynischem Humor verstärkt wird: „Wie ein Perrault-Märchen zum Ausgangspunkt eines szenischen Spiels gemacht werden kann, in dem neben der Welt des Wunderbaren auch satirisch gespiegelte Realitätsfragmente Platz haben können, das hatte Tieck vorgemacht […]. Hier konnte Grabbe anknüpfen.“3

      Im Vordergrund der Handlung steht ein Baron mit seiner neuen Frau und deren zwei Töchtern, die sein Geld verprassen, sodass er erhebliche Schulden bei dem Bankier Isaak aufnehmen muss. Des Barons Tochter aus erster Ehe, Olympia, muss ihnen in Aschenbrödel-Manier dienen. Schließlich gibt der König einen Ball, auf dem der Rüpel in königlicher Kleidung auftritt, sodass sich der König inkognito nach einer nicht opportunen Frau umschauen kann. Dort verliebt er sich in Olympia, die sich gleichfalls unerkannt unter die Feiernden gemischt hat.

      Inhaltlich interessiert Grabbe dabei vor allem das Thema der Wahrheitssuche. So liegt der Fokus darauf, dass Olympia sich ihr Glück mit dem König verdient, indem sie hinter die Fassade schaut und dem wahren König trotz seiner Verkleidung ihre Zuneigung schenkt. Vorbereitet wird diese Perspektive unter anderem durch einen Dialog zwischen dem König und seinem Berater Mahan, aus dem hervorgeht, dass im Umfeld des Königs Oberflächlichkeit und Heuchelei vorherrschen:

      KÖNIG Der Narr und Krüppel soll den König spielen.

      MAHAN Erlaubst Du es, wird es Dich gar ergötzen.

      Seh’n wirst Du wie er auch als König Narr bleibt.

      Und doch für weise gilt. Verschwinden wird der

      Hocker, der ihm drückt den Rücken,

      Dazu für modisch noch erklärt. Verachtet wirst du

      an seiner Seite stehen, – wenn

      Du redest, kaum ein mitleidsvoller Blick

      Dich treffen.4

      Auf dem Ball unterhalten sich der Rüpel als vermeintlicher König und der verkleidete König mit Olympia sowie ihren Stiefschwestern Louison und Clorinde über ein Schauspiel, das gerade gegeben wurde. Dieses wird von den Stiefschwestern mit schmeichelhaften Beschreibungen gelobt. Nur Olympia sagt frei heraus, dass ihr das Stück nicht gefallen habe und begeistert mit ihrer Ehrlichkeit den König, der ebenfalls keine hohe Meinung von dem Schauspiel hat.5 Weitere Unterstützung findet die aufrechte Olympia bei ihrer Patin, der Feenkönigin, die jener mit ihrem Gefolge aus Feen, Gnomen und den von ihr verwandelten Tieren erst einen märchenhaften Auftritt auf dem Ball und schließlich die Ehe mit dem König beschert. Komisch-absurde Szenen entstehen vor allem durch die von der Feenkönigin verwandelten Tiere; so behält etwa eine zu Olympias Kutscher mutierte Ratte ihr tierisches Wesen bei.

      Ebenso wie bei Grabbes Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1822-27) handelt es sich bei seinem Aschenbrödel um ein von Tieck beeinflusstes satirisches Lustspiel, das sich ebenfalls kritisch mit zeitgenössischer Literatur auseinandersetzt. Im Hinblick auf eine satirische Betrachtung der Literaturszene ist Grabbes erste Fassung des Märchendramas von 1829 allerdings sehr viel reichhaltiger, da er sich hier noch mit ironischen Kommentaren explizit über die stilistischen Eigenarten seiner literarischen Zeitgenossen lustig macht (unter anderen über Karl Immermann und August von Platen).

      Indem Grabbe die desillusionierenden und romantisch geprägten Satiremomente in seiner finalen Fassung zugunsten einer unironischen Märchenerzählung tilgt, wird auch die ursprüngliche Intention, ein satirisches Lustspiel zu verfassen, verdeckt.6 Erhalten blieben nur einige wenige Passagen, in denen sich Grabbe über die deutschsprachige Literatur echauffiert. So unterhält sich der Baron etwa mit dem Kutscher (der verwandelten Ratte) und zwei Herren auf dem Ball des Königs:

      ALTER HERR […] Interessiert Sie auch unsere, etwas zurückgebliebene, magere, deutsche Literatur?

      KUTSCHER Mager? Es ist die dickste.

      ALTER HERR Sie beschäftigen sich damit?

      KUTSCHER Ich fresse sie.

      BARON Das ist ’ne Metapher! aus Roastbeef!

      ALTER HERR Deutschlands Literatur wird im Auslande endlich anerkannt? So werden wir bald auch bei uns gelten, und unser rohes Gold wird gut gemünzt zu uns zurück kommen, und courant werden: Schiller durch Benjamin Constant, Goethe durch Carlyle – Sie lieben vorzüglich?

      KUTSCHER Die Folianten über den westphälischen Friedenschluß, Zepernickii repertorium iuris feudalis, Muelleri promtuarium, und dergleichen, – das jetzige Zeugs in Octav oder Duodez freß’ ich nur wie dieses, (er schluckt einen Band von Renilworth herunter) aus Noth, es ist zu klein und sättigt nicht.7

      Seltene Szenen wie diese stehen für Grabbes typische „Dekonstruktion idealistischer Philosophie und Lebenshaltung, […] extrem groteske, ja surreale Szenen und komisch-clowneske Figuren“8. Dieser Charakter hat sich jedoch in der Dramenfassung von 1835 (die auch als Aschenbrödel II geführt wird) unter dem Einfluss von Immermann als Lektor weitgehend verloren.9 Ladislaus Löb ordnet Grabbes Aschenbrödel II nicht zuletzt daher als eines seiner schwächeren Werke ein und klassifiziert es als eine unausgewogene „Mischung aus Märchenspiel, Gesellschaftskritik und Literaturkomödie“10.

      Im Vergleich mit Platen und Gozzi fällt auf, dass Grabbe ebenfalls mit Kontraststrukturen arbeitet, doch basieren diese nicht mehr auf der Gegenüberstellung von komisch-bürgerlichen und ätherisch-adeligen Figuren. Stattdessen stützen sich Grabbes dramatische Konflikte auf den Dualismus von moralischer Integrität einzelner Figuren auf der einen und dem rüde anmutenden Fehlverhalten ihrer Antagonisten auf der anderen Seite. Die Figur Aschenbrödel ist bei Grabbe durch ihre Gesten der Bescheidenheit und Pietät ungebrochen positiv konnotiert. Auch ihr Vater, der unter der Verschwendungssucht seiner Ehefrau leidet, und der König, den die falschen Schmeicheleien seiner Untertanen ermüdet haben, werden als aufrechte und verständige Charaktere etabliert.11

      Im Gegensatz zu Platens Märchenadaptation erschöpft sich Grabbes Lustspiel nicht darin, dass rangniedere Figuren ein märchenhaft entrücktes Gebaren am Hof mit gutmütigem Spott kommentieren. Vielmehr macht sich Grabbe spezifische Märchenelemente zu Nutze, mit denen er eine materialistische Ausrichtung der Gegenspieler Olympias scharf kritisieren kann. Auch noch in Aschenbrödel II verurteilt Grabbe heuchlerisches und raffgieriges Gebaren sehr viel zynischer und entlarvender als Platen, wie