Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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      II.1 Komik und Ironie in Märchendramen des 19. Jahrhunderts

      August von Platen: Der gläserne Pantoffel. Eine heroische Komödie in fünf Akten (1823)

      Mit seinem Gläsernen Pantoffel1 hat Platen formal Tiecks Verfahren der Märchendramatisierung übernommen, wobei er als erster deutschsprachiger Autor zwei heterogene Märchen in einem Drama zusammenlegt – Perraults La Belle au bois dormant (zu Dt. Dornröschen) und Cendrillon ou la petite pantoufle de vair (zu Dt. Aschenputtel).2 Seine Märchenkomödie hält sich dabei eng an die beiden Märchenvorlagen und weist wie bei Tieck zahlreiche Anspielungen auf Shakespeares Werk auf.3

      Doch wenn auch zweifellos von Tieck inspiriert, geht Platen grundsätzlich in eine andere Richtung als dieser, wie auch Uwe Japp konstatiert: „Während nämlich Tieck das Nichtzusammengehörende zusammenbringt, um aus der offenkundigen Asymmetrie den Witz hervorgehen zu lassen, investiert Platen einen nicht unerheblichen intellektuellen und metrischen Aufwand, um dem Disparaten den Anschein poetisch legitimierter Plausibilität zu verleihen.“4 Platens Märchendrama nimmt sich einerseits der wundersamen Handlung beider Märchen an und schmückt diese szenisch aus, andererseits begrenzt es die märchenhaften Elemente zugunsten komödiantischer Szenen, denen Tiecks satirische Schärfe fremd ist.

      Inhaltlich gestaltet sich dies in Platens Adaptation so, dass ein König zwei Söhne hat, die auf Brautschau gehen sollen. Während sich der eine in das hundert Jahre alte Bildnis einer Fremden (Dornröschen) verliebt, tanzt der andere auf einem Ball mit Aschenbrödel. Diese ist von ihrer Patin, einer Fee, für das Fest von ihrem ansonsten durch die Stiefmutter fremdbestimmten Leben befreit worden. Wie im Märchen muss sie den Ball verlassen, ohne dem Prinzen, der ihr bereits ganz ergeben ist, ihre Identität zu offenbaren. Dem Prinzen bleibt nur ihr gläserner Schuh, den sie auf dem Ball zurücklässt. Währenddessen schläft die Königstochter Dornröschen, ebenfalls ein Mündel der Fee, vergessen in einem zerfallenen Schloss. Im Verlauf des Stückes finden schließlich beide Paare mit der Hilfe der Fee und ihres supranaturalen Gefolges auf mehr oder weniger märchenhafte Weise zusammen. Vorab jedoch sehen sich Aschenbrödel und der Prinz unter den skeptischen Blicken des verzweifelnden Königs und den spöttischen Kommentaren der anderen einigen Hindernissen ausgesetzt; die schlafende Dornröschen ahnt hingegen nichts von ihrem Verehrer.

      Der süffisante Ton, den Der gläserne Pantoffel aufweist, lässt sich vor allem an der Figur des Hofnarren Pernullo festmachen, denn dieser erinnert stark an Shakespeares Narrentypus und subtil an Gozzis gewitzte Buffoni.5 Seine emotionalen Szenen erhält das Stück, wie Gozzis Fiabe, primär durch das Leiden und Aufbegehren der jungen Liebenden. So etwa wird der Moment, in dem Prinz Diobat die schlafende Dornröschen findet, als schaurig anmutenden Szene ausgebaut:

      DIOBAT Hier könnten Mörder ihren Raub verscharren,

      Durch nichts entdeckt; es würde mit dem Beile

      Der Henker stets auf ihre Häupter harren.

      Doch, was ist das, vor dem ich hier verweile?

      Ein roter Vorhang, sinkt herab mit Quasten,

      Befestiget an lange, goldne Seile.

      Soll hinter diesem jene Dame rasten?

      O Gott! Was schlägt mein Herz mir an die Rippe?

      Und was vermag ich nicht, ihn anzutasten?

      Vielleicht verbirgt er nichts als ein Gerippe

      Mit hohlen Augen, die mir finster grollen,

      Daß mir der Hauch erstarrt auf meiner Lippe!

      Wo nicht, so birgt er einen Sarg, verquollen

      Durch langes Alter, rötlich angestrichen,

      Mit schwarzem Kreuz und runden, schwarzen Stollen.

      Allein, was gilt’s, und wenn sie auch erblichen?

      Was ist der Tod? Dem Tode trotzt das Leben,

      Das ewig lächelnde dem fürchterlichen!

      O Diobat! Du hast verlernt, zu beben!

      Geht nicht im Christenvolk die große Sage,

      Daß auch die Toten sich zuletzt erheben? […]6

      Die Kontraststrukturen sind vergleichbar mit denen in Gozzis Werk: Während sich die adeligen Märchenpaare auf die Suche nach einander begeben und sich in Abenteuern bewähren müssen, sorgen die von Platen zugefügten Figuren der Untergebenen für unterhaltsame Szenen – so etwa wenn Prinz Astorf Pernullo bittet, ihm bei der Suche nach der verschwundenen Aschenbrödel zu helfen:

      ASTOLF Sage nur, wie man der Verlorenen auf die Spur kommen kann!

      PERNULLO Durch Spürhunde!

      ASTOLF Immer diese Spitzfindigkeiten!

      PERNULLO Sie sind keine für Euch, wenn Ihr die Spitze findet.

      ASTOLF Wenn ich nur wüßte, wo ich sie suchen sollte?

      PERNULLO Die Spitze meiner Spitzfindigkeiten?

      ASTORF Nein, die Prinzessin.

      PERNULLO Ich will euch suchen helfen.7

      Ähnlich wie Gozzi personifiziert Platen hierzu die romantisch leidenden Protagonisten und kontrastiert sie durch sprachlich saloppe und gewitzte Nebenfiguren, die deren Handeln hinterfragen. So wird das dramatisch reizvolle Potential an fantastischen Elementen voll ausgeschöpft; dabei belässt es der Autor jedoch nicht, sondern betont mit der teils kritischen, teils freundlichen Kommentierung der schematisierten Märchenfiguren und ihrer unrealistischen Handlungen eben deren märchentypische Künstlichkeit. Ebenso wie bei Gozzi ist die distanzierte Haltung gegenüber der zuweilen naiven Fraglosigkeit der Märchenhelden eindeutig den unadeligen Figuren zugeteilt. Dabei zeichnet sich in den selbstbewussten Kommentaren Pernullos eine gewisse Skepsis gegenüber einer als weltfremd wahrgenommenen Aristokratie ab. Im vierten Akt etwa äußert er sich teils kritisch, teils amüsiert über die Leiden der beiden verliebten Prinzen:

      PERNULLO

      Ich könnte die beiden Prinzen an die Enden meines Narrenseils binden und mein Brot dabei verdienen. Der eine liebt eine hundertjährige Schönheit, der andere betet vollends einen Pantoffel an. Was soll aus unserm Hofe werden? Der eine wird die Toupets wieder einführen wollen, weil seine Geliebte weiland eins getragen; der andere wird uns zwingen, in gläsernen Stiefeln zu gehen, bis wir uns die Scherben in die Füße treten.8

      Platen schafft insofern eine Komödie im Sinne von Lisa Hutcheons „paradox of parody“9, als dass er eine theatral-affirmative Vergrößerung der wundersamen Handlung beider Märchen und zugleich eine humorvolle Distanzierung von der naiv-romantischen Art ihres Personals vornimmt. So wird die Märchenvorlage durch die teils ironische Behandlung in eine tendenziell selbstreflektierende und distanzierte Zuspitzung getrieben. Große Befriedigung zieht Pernullo gerade aus dem gewitzten Schlagabtausch über das Theaterspiel mit dem intellektuell gleichgesinnten Schauspieler Hegesippus.10 Die selbstreferentiellen Elemente dieses Dialogs, die an Tiecks Thematisierung des Schauspiels in seinem Gestiefelten Kater erinnern, kreieren beim Rezipienten eine weitere ironische Distanz zum Geschehen. So konstruiert Platen eine Adaptation, die latent Ironie in sich trägt und durch ihre heiteren Satireelemente vermeidet, zu einem unreflektierten Märchenstück zu werden.

      Durch diese Transformation, die sich in kontrastierender und zugleich verspielter Übertreibung äußert, wird nicht zuletzt die theatrale Verwandtschaft des Dramas und des Märchens offengelegt und betont. Dies geschieht vor allem dank des Narren Pernullo, der fröhlich Spott mit der ausgestellten Verklärtheit der märchenhaften Figuren treibt. Ähnlich wie die Masken in den Fiabe, die Platen sehr schätzt, lässt er Pernullo die Märchengeschehnisse immer wieder ironisch kommentieren.11

      Nichtsdestotrotz bleibt die Distanz zum aristokratischen Märchenpersonal bei Platen, der selbst einer Adelsfamilie entstammt, dem Bereich des Närrischen verhaftet.12 Denn auch wenn Pernullo hin und wieder die wunderlichen