Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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wird das Spiel mit dem Märchen und seiner künstlichen Form, die sich im Drama gespiegelt sieht, noch potenziert.24 Über das Spiel im Spiel heißt es bei Karin Schöpflin treffend, es gebe

      dem Dramatiker die Möglichkeit sein eigenes Medium zu zeigen und darüber im- oder explizit zu reflektieren. Er kann die Wirkung von Theater auf Zuschauer demonstrieren oder bestimmte dramatische Techniken oder Stile parodistisch oder kritisch kommentieren. So stellt sich das Theater als Kunstmittel selbst dar, und dem Dramatiker bietet sich die Gelegenheit, seine Kunstauffassung vorzuführen. In jedem Fall zeugt das Auftreten von Theater im Theater von einem hohen Medienbewußtsein des Theaterschriftstellers.25

      Das Spiel im Spiel entgrenzt aber auch die Auseinandersetzung mit dem Märchen, da es dessen Verwandtschaft mit den illusionistischen Mitteln des Dramas betont und neue Deutungsräume jenseits der üblichen Märchenklischees generiert. So wird eine paradigmatische Funktion des Märchens für das Drama deutlich, wenn die strukturelle Artifizialität des Märchens sich in der des Theaterspiels spiegelt und potenziert.26

      Insgesamt scheitert zwar die Kommunikation zwischen dem fiktiven Autor und dem Publikum in Tiecks Gestiefeltem Kater, dies führt aber dazu, dass die Märchensatire als solche gelingen kann.27 Zudem wird das Märchen trotz aller Irritationen und Unterbrechungen im Stück zu Ende erzählt: Der Kater gewinnt und der Müllersohn erhält Königreich und Prinzessin. Nur die Beziehung auf der Inszenierungsebene, das heißt zwischen Theaterbetrieb, Dichter und Publikum, scheitert gänzlich und zwar zugunsten neuer Illusionsebenen. Denn durch Tiecks Dekonstruktion des Märchens werden wieder neue illusionistische Spielebenen erschaffen: Wenn Tieck die Märchenillusion durch eine durchbrechende Theaterwelt und die Kommentare des bürgerlichen Publikums unterminiert, ersetzt er nur eine fiktive Welt mit einer anderen – auch wenn diese näher an der Realität angesiedelt zu sein scheint.

      Einerseits führt Tieck in seinem Märchendrama typisierte Zuschauer vor und spielt zahlreich auf literarische und theaterpraktische Konventionen, bekannte Autoren und Kritiker an.28 Dies ist für sich nicht märchenspezifisch, sondern trifft auch auf andere Satiren bzw. Werke von Tieck zu. Andererseits scheint die Hauptintention des Gestiefelten Katers (und, wie sich zeigen wird, auch die seiner späteren Märchendramen) nicht primär in der „zeitbedingten Satire gegen konkrete Mißstände im literarischen Leben zu liegen, als vielmehr auf ein zeitlos-allgemeines Spiel der Bühne als einer fiktiven Welt mit ihren eigenen Bedingungen zu zielen“29.

      Bei aller zeitgenössischen Satire versucht Tieck darüber hinaus, dem spöttischen Zugriff einen beinah erhabenen Beiklang zu geben, und erklärt den ironischen Blick zum sinnstiftenden Ideal.30 Mit der zeitgleichen Dekonstruktion und Neuerschaffung einer Bühnen- und Märchenillusion gelingt Tieck eine Wiederverzauberung der gerade abgeschafften Welt.31 Laut einer der Phantasus-Figuren erfüllt Der gestiefelte Kater auf diese Weise eine Grundvoraussetzung der romantischen Kunst, so der Völlige Schluss im Nachsatz des Stückes:

      Es ist ein Zirkel, sagte Willibald, der in sich selbst zurückkehrt, wo der Leser am Schluß grade eben so weit ist, als am Anfange. […] mit der Entstehung des Theaters entsteht auch der Scherz über das Theater, wie wir schon im Aristophanes sehn, es kann es kaum unterlassen, sich selbst zu ironisieren, was der übrigen Poesie ferner liegt, und noch mehr der Kunst, weil auf dem wunderbaren Widerspruch in uns, seine Basis ruht.32

      Dass Tieck zur Erschaffung eines idealen Theaters gerade das Märchen als Gattung wählt und dessen spezifisch künstlerischen Eigenarten einsetzt, um kontinuierlich ein selbstreferentielles Spiel mit satirischen Mitteln zu betreiben, verweist auf eine Verwandtschaft beider. Diese löst sich in dem verschachtelten Spiel mit Normen, Illusionen, Künstlichkeit und einer kritisch-ironischen Selbstbefragung vielfältig ein. So ist das Märchen als Vorlage einer satirischen Bearbeitung in Tiecks Werk zwar nicht alleinstehend, doch in der alludierenden Verbindung seiner Künstlichkeit mit der des Dramas wird es spezifisch. Nicht die satirische Befragung mithilfe des Märchens, sondern die Transformation des Märchens im Drama und des Theatralen im Märchen hin zu einer selbstreflexiven Darstellung ist konstitutiv für die Märchendramatik. In dieser Hinsicht unterscheiden sich auch Tiecks Märchendramen von seinen anderen satirischen Adaptationsverfahren.

      Bemerkenswert ist, dass das intertextuelle Zusammenspiel von dramatischer Selbstreferentialität und satirisch-reflexiver Märchenbefragung noch lange nach der Romantik typisch für Märchendramen zu sein scheint. Die hier vermutete Verwandtschaft des Märchens mit theatralen und dramatischen Darstellungsmöglichkeiten untersuche ich ausführlich in den nachfolgenden Kapiteln. Jedoch zeichnet sich bereits nach dem kurzen Einblick in Tiecks erstes Märchendrama ab, dass schon früh eine Tradition intertextueller und reflexiver Anspielungen angelegt wurde.

      Tiecks Behandlung des Märchens in seinem Gestiefelten Kater verdeutlicht, dass er im Unterschied zu Gozzi mit einem Negativbild der Märchengattung spielt, um seinen Spott auf die Kritiker des Märchens zu richten. Gerade mithilfe des gesellschaftlich weit verbreiteten Vorwurfs, dass das Märchen infantil und zu trivial für das Bildungstheater sei, demontiert Tieck den Diskurs als ebenso kindisch und unseriös. Darüber hinaus verbindet er die illusorischen Mittel des Märchens mit denen des Dramas auf produktive Weise und kreiert so ein sich selbst befragendes und bespiegelndes Ebenenspiel, welches das Fantastische in den Vordergrund rückt.

      Ludwig Tieck: Ritter Blaubart. Ein Märchen in fünf Akten (1799/1812)

      Eine Besonderheit von Tiecks Blaubart-Adaptation ist der intertextuelle Verweis auf das Genre der Ritterdramatik. Dieses wird in der szenischen Adaptation des Märchens spielerisch und mitunter grotesk dekonstruiert. Das Satirestück erweist sich als Travestie auf seinerzeit populäre Ritter- und Rührstücke.1 Die berühmte Vorlage ist La Barbe-Bleue2 von Charles Perrault, der Tieck neue Figuren und Handlungsstränge hinzufügt.3 Hier zu nennen sind unter anderen Mechthilde, die Haushälterin Blaubarts, Claus, ein Narr, und, dem Genre der Ritterdramatik folgend, auch mehrere Ritter. Es kommt dabei zu einer partiellen Individualisierung der Familie von Blaubarts Braut. Blaubart selbst heißt nun Peter Berner bzw. in der späteren Fassung Hugo von Wolfsbrunn.

      In Tiecks Stück existiert eine grundsätzlich realistische Rahmenhandlung in einem zeitlosen und imaginären, aber dennoch konkreten Mittelalter.4 Auch tritt Blaubart auf den ersten Blick kaum noch als märchenhaft-wunderbare Figur auf, sondern stellt sich grausam, bieder und kleingeistig dar, während eher ‚realitätsnahe’ Figuren wie mancher Ritter dagegen als irrational Handelnde dargestellt werden.5 Der neu eingeführte Narr wiederum erscheint oftmals als die einzige vernunftbegabte Figur, was er in der ersten Szene des Stückes selbst erkennt: „Ich werde dafür bezahlt, um ein rechter wahrer Narr zu sein, und nun bin ich der verständigste von allen. Sie pfuschen dafür in mein Handwerk, und so ist kein Mensch mit seinem Stande zufrieden.“6 Scherers konziser Beschreibung folgend handelt es sich bei der Kontraststruktur dieser Darstellung um

      ein zentrales Verfahrensprinzip des ganzen Stücks: die Demonstration der Komplementarität von Gegensätzen […]. Die Pole markieren damit nicht nur die Extreme im variantenreich abgestuften Spektrum menschlicher Dispositionen, sondern jede äußerste Grenze definiert sich nicht weniger über die potentielle Identität mit ihrem Gegenteil: in der Darstellung des Tragischen im Launigen und Albernen, des Heiteren im Schwermütigen, des Grausam-Dämonischen im Rhetorisch-Aufgeräumten (Berner) wie Bieder-Dienstbeflissenen (Mechthilde), des Vernünftig-Pragmatischen im Närrisch-Skurrilen usw. – und umgekehrt.7

      Beispielhaft lässt sich das an folgendem Eingriff Tiecks in den Märchenprätext nachvollziehen: Anders als Perrault verzichtet Tieck nicht darauf, Blaubart ein Motiv für seine Morde zu geben, sodass dieser seine dämonische Größe verliert. Der einst äußerst unheimliche Protagonist des Märchens erhält fast bürgerliche Züge, wenn er sich im Namen der Menschenwürde und Humanität an die Bestrafung der Erbsünde macht. Nachdem Blaubart erkannt hat, dass seine neue Frau die verbotene Kammer mit den Leichen ihrer Vorgängerinnen geöffnet hat, verdammt er sie:

      HUGO Verfluchte Neugier! – Er wirft zornig den Schlüssel hin. Durch dich kam die erste Sünde in die unschuldige Welt, und immer noch lenkst du den Menschen zu ungeheuren Verbrechen, die oft zu schwarz und greulich sind, um nur