Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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die verspielte und kontrastierende Übertreibung der dramatischen Darstellung in eine tendenziell selbstreflektierende Zuspitzung von Theatralität transformiert. Seine Kritik an den trivialen Formen und an der Arbeit seiner Kollegen führt zu einer wirkungsästhetischen Verweigerung, die das Märchendrama trotz der teils wenig ausgefeilten Bearbeitung und Effekthascherei als eine mögliche neue Gattung konstituiert.23 Mithilfe satirischer Eingriffe scheint nicht die Abbildung von Wirklichkeit, sondern ein betont künstlicher und indirekter Bezug zur Wirklichkeit intendiert zu werden.24 Dazu macht sich Gozzi, wie Friedrich Wolfzettel es nennt, die „märchenhafte Reduktion der Psychologie“25 der Vorlagen zu eigen und ergänzt sie damit wirksam um die stereotype Darstellung der Commedia dell’arte.

      Gozzis intertextuelle Satire wendet sich letztlich nicht primär gegen die Märchenform und die Commedia dell’arte als solche, sondern gegen eine unreflektierte Normativität theatraler Darstellung. Seine Aneignung des Märchens im Drama wird greifbarer, wenn man die intertextuelle Synthese erkennt, die sich aus seiner satirischen Betrachtung ergibt. Trotz des signifikanten Charakters seiner Märchendramen verharrt Gozzi mit den Techniken der superioritären Kontrastierung aber bei einem Komödienverständnis, das zur Denunzierung des Stoffes neigt.

      Deutlich vielschichtiger und offensiver als Carlo Gozzi verfasst Ludwig Tieck seine Märchensatiren.26 Sind bei Gozzi die selbstreferentiellen Anteile nur angelegt (vor allem durch die anfängliche Kritik an seinen Theaterkollegen und deren Ästhetik), werden diese bei Tieck dominanter. Die intertextuellen Bezüge und eine satirische Sichtweise werden jedoch ebenso wie bei Gozzi durch eine explizit markierte Adaptation der Märchenprätexte gewahrt.27 Vergleichbar mit Gozzis Werk ist vor allem, dass die Kritik an zeitgenössischen Diskursen mithilfe der Adaptation des Märchens im Drama vorgenommen wird. Inwiefern gerade das Märchen als Gattung in spezifischer Weise für eine satirische Betrachtung von gesellschaftlichen und künstlerischen Normen geeignet ist, versuche ich im Folgenden, mithilfe von Tiecks Märchendramen nachzuweisen.

      I.2 Ludwig Tiecks Märchendramen

      Ludwig Tieck hat insgesamt vier Märchendramen verfasst, die auf bekannte Märchenstoffe zurückgehen: Der gestiefelte Kater. Ein Kindermärchen in drey Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge (1797/1812), Ritter Blaubart. Ein Märchen in fünf Akten (1799/1812), Leben und Tod des kleinen Rothkäppchens. Eine Tragödie (1800/12) und Leben und Taten des kleinen Thomas, genannt Däumchen (1811).1 Die genannten Stücke sind alle im späteren Werk Phantasus enthalten, in dem sie neben anderen Texten von wechselnden Vorlesenden in geselliger Runde vorgetragen werden – dies erinnert daran, dass Tieck selbst aktiv an literarischen Salongesprächen teilgenommen hat, unter anderem im Kreis Friedrich Wilhelm Schlegels, dem auch der Phantasus gewidmet ist.2

      In der „Ersten Abteilung“ des Phantasus sind sieben Novellen-Märchen, in der zweiten sieben Märchendramen enthalten; das Märchen hat demnach im Phantasus, dieser „Allegorie des romantischen Universalbuchs“3, einen großen Stellenwert.4 Im Sinne einer beispielhaften Analyse der satirischen Mittel, mit denen Tieck seine Märchendramen erschafft, gehe ich nun wie bei Gozzis Werk der Frage nach, gegen wen bzw. was die Märchensatire ihren Spott richtet und welche intertextuellen und selbstreferentiellen Ebenen existieren und gezeigt werden.

      Tieck lässt sich neben Elementen der antiken Komödie, der Commedia dell’arte und Shakespeares Komödien auch von Gozzis Märchenspielen anregen; er geht allerdings künstlerisch vielfach über diese hinaus.5 So verkündet Tieck selbst: „Ohne Gozzi nachahmen zu wollen, hat mich die Freude an seinen Fabeln veranlasst, auf andere Weise und in deutscher Art ein phantastisches Märchen für die Bühne zu bearbeiten.“6 Dennoch ist Gozzi für Tieck bedeutsam, da ihn der Fokus auf das Wunderbare im Drama als Abgrenzung von der klassizistischen vraisemblance interessiert.7 Dies stärkt auch die Lesart von Gozzis Fiabe als Versuch, sich einer Abbildung von Wirklichkeit ästhetisch zu entziehen.

      Tieck kreiert in seinen Märchendramen vor allem generische Ambivalenzen; diese manifestieren sich, so Scherer einsichtig, in drei Grundzügen: zum einen „im selbstbezüglichen Spiel mit dem Drama, indem die Aktualisierbarkeit älterer Dramenmodelle (z.B. Märchendramen) für ein bürgerliches Publikum, das im Märchen […] gegenwärtiges Illusions- und Rührtheater erwartet, szenisch reflektiert wird“8. Tiecks Anspielungen gestalten sich also explizit selbstreferentiell – in ihnen äußert er sich satirisch zu den Erwartungshaltungen, die Märchen, Märchendrama und Unterhaltungstheater wecken können.

      Eine andere Eigenart zeigt sich „im szenischen Amalgamieren des Komischen mit dem Tragischen bzw. dem Humoristischen mit dem Grausamen oder Bizarren“, an die sich das dritte von Scherer erfasste Charakteristikum direkt anschließt: „Ein gemeinsames Merkmal der beiden Linien – der Dramaturgie der Unterbrechung auf der einen, der Dramaturgie der Dispersion auf der anderen Seite – besteht über deren Zugehörigkeit zu den Märchendramen hinaus im schnellen Themen- und Formenwechsel vom Erhabenen zum Unsinn.“9 Die hier benannten Stil- und Strukturbrüche sind teils der intertextuellen (und intermedialen) Konzeption geschuldet und machen aus einem scheinbar naiven und eindimensionalen Märchen ein vielschichtiges Ebenenspiel, das gerade mit der enttäuschten Vorstellung des typisch Märchenhaften spielt und diese kritisch reflektiert.10

      Statt vom „Unsinn“ als Programm der Kenntlichmachung normativ gesetzter Märchenkonvention spricht Ruth Petzoldt eher von „Albernheit“, mit der Tieck die Verbindlichkeit etablierter Gattungskonventionen infrage stellt.11 Beide Begriffe verdeutlichen jedoch gut, wie sich Tieck ganz im Geiste der romantischen Poesie mit einer antirationalen und scheinbar kindlich-naiven Grundhaltung gegen einen Rationalismuskult und einen überhöhten Fortschrittsglauben wendet.12 Bernhard Greiner sieht in dieser Form der Ironie eben jene Manier der „Buffonerie“, die so typisch für die Commedia dell’arte ist.13 Inwiefern Tieck mithilfe der kindlich anmutenden Märchenvorlagen, die er vor allem aus Charles Perraults Histoires ou contes du temps passé, avec des moralités: Contes de ma mère l’Oye (1697)14 entleiht, satirisch-komplexe und intertextuelle Dramentexte mit selbstreflexiven Momenten konstruiert, werde ich nun im Einzelnen darlegen.

      Ludwig Tieck: Der gestiefelte Kater. Ein Kindermärchen in drey Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge (1797/1812)

      In seinem Märchendrama Der gestiefelte Kater begnügt sich Tieck im Vergleich mit den anderen Adaptationen noch mit einer transparent wirkenden Theaterkritik.1 Es handelt sich in erster Linie um ein satirisches Drama im Gewand des Märchens von Perrault.2 Insofern ist es mit Gozzis ersten Märchenstück L’amore delle tre melarance vergleichbar: Gozzi verspottet Carlo Goldoni und Pietro Chiari, Tieck nimmt sich August Wilhelm Iffland, August von Kotzebue und den Inszenierungsstil des Berliner Nationaltheaters vor.3 Tieck wendet sich vor allem gegen die ihm trivial erscheinenden Familien- und Rührstücke des Theaters und die distanzlose Bewunderung der Spielweise Ifflands durch den Kritiker Karl August Böttiger, den er im Gestiefelten Kater mit der Figur des Kritikers Bötticher karikiert.4

      Während aber Gozzi versucht, seine literarischen Gegner in die Märchenhandlung einzubauen, stellt Tieck stattdessen nach Rührstücken verlangende Zuschauer auf die Bühne, um sie dort zu Zeugen einer Kindermärchenaufführung werden zu lassen, die ihnen wiederum nicht anspruchsvoll genug ist.5 Dabei geht es Tieck laut Feldmann nicht darum, dem rührseligen Unterhaltungsstück ein Märchenstück programmatisch entgegenzusetzen: „Wenn auch das ‚alberne Ammenmärchen’ im Gestiefelten Kater in burlesker Gestalt erscheint, so vertritt es nichtsdestoweniger eine Komödienkonzeption, die dem pedantischen Wahrscheinlichkeitskult der Aufklärung diametral entgegengesetzt ist.“6 Gegenstand der satirischen Kritik ist nicht das Märchen als Form, sondern vielmehr zeitgenössische Diskurse, die selbstreferentiell im Stück aufgegriffen werden.

      Zu diesem Zweck arbeitet Tieck in seiner Märchenadaptation mit Kontrastfiguren; so werden etwa der König und die Prinzessin, vor allem aber der Kater und der Müllersohn Gottlieb, als motivisch konträre Rollen eingeführt.7 Ist der eine gewitzt, ist der andere dumpf; diese possenhaften Züge werden in der Phantasus-Fassung des Gestiefelten Katers sogar noch betont.8 Das erinnert stark an Gozzis Zugriff auf Märchen und seine