Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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      Gozzis Fiabe teatrali umfassen zehn italienische Märchendramen mit Figuren der Commedia dell’arte, die im Zuge von ästhetischen Erneuerungsbemühungen und im Wettstreit mit Carlo Goldoni entstanden sind.1 Beide Autoren versuchen, der als trivial geltenden Commedia dell’arte einen höheren künstlerischen Stellenwert zu verleihen.2 Bis auf wenige Ausnahmen sind die Quellen von Gozzis Märchenadaptationen bekannt; seine Dramen gehen unter anderem auf Texte aus Tausend und eine Nacht zurück.3

      Die Verwendung populärer Märchen verschafft Gozzi seinerzeit ein breites Publikum, denn die märchenhaften Inhalte und Figuren konnten als bekannt vorausgesetzt werden, was die Neugier auf eine dramatische Umsetzung sicher verstärkt hat.4 Den Märchenfiguren, die bei Gozzi grundsätzlich adelig sind, wird dabei der tragische Handlungsverlauf zugeordnet; die aus der Commedia dell’arte adaptatierten Masken übernehmen die burlesken und komischen Szenen. Auch verbal äußert sich dieser Kontrast, indem sich die märchenhaften Figuren einer elaborierten Verssprache bedienen und die Masken in einer von Dialekten geprägten Prosa sprechen.5

      Durch die Verwendung bereits bekannter Figuren und ihre auf Kontrasteffekte ausgelegte Zusammenführung innerhalb eines Märchendramas stellt sich die Frage nach den dramaturgischen Veränderungen, die Gozzi vorgenommen hat. Anhand einzelner Textbeispiele aus den Fiabe werde ich nun die inhaltlichen und strukturellen Modifikationen, die Gozzis Märchenadaptationen mitunter einen satirischen Charakter verleihen, exemplarisch nachvollziehen. Weiterhin stellt sich die Frage, ob sich diese satirische Distanzierung aus der intertextuellen Herangehensweise speist und ob sie bereits selbstreferentielle Züge trägt.

       Über den Modus der Märchenbearbeitung

      In der Vorrede zu seinem ersten Märchenstück L’amore delle tre melarance (dt. Auszug aus dem Märchen. Die Liebe zu den drei Pomeranzen, 1761)1 erläutert Gozzi, dass er auf Grundlage eines bekannten Kindermärchens „im Grunde nichts anderes als eine übertriebene comische Parodie der Werke von Chiari und Goldoni“2 schaffen wolle. Er wählt demnach das Märchen als Gattung und die Spielform der Commedia dell’arte als Folie, um Kritik an seinen Konkurrenten zu formulieren.3 Die Märchenhandlung wird hierfür um effektvolle Szenen mit spektakulären Bühnenverwandlungen und fantastischen Ungeheuern ergänzt.4 Dabei steht weniger eine ausgefeilte Dramaturgie oder eine sublime Darstellung, sondern vielmehr der Unterhaltungswert im Vordergrund, was die Trivialität, die Gozzi dem Märchen und der Commedia dell’arte unterstellt, noch betont.5

      Das Märchen wird bei Gozzi einerseits auf seine unrealistische Darstellung und einen allein dem Amüsement dienenden Wert reduziert, zugleich wird es im Zuge einer Sinnerweiterung instrumentalisiert. Der satirische Zugriff dient laut Gozzi selbst der künstlerischen Aufwertung: „Ohne die Masken aus diesem Mährchen zu vertreiben, die ich vielmehr auf dem Theater erhalten […] wollte, hab ich aus diesem kindischen Subject ein ernsthaft comisches Stück für das Theater gemacht.“6

      Laut Helmut Feldmann nutzt Gozzi Texte aus Märchensammlungen, „um das Märchen im Dienste einer literarisch-ideologischen Satire der Lächerlichkeit preiszugeben“7; er spricht von einer „Haßliebe“8 Gozzis gegenüber Märchen und Commedia dell’arte als bloßen Unterhaltungsformen. Tatsächlich scheint Gozzi insofern fasziniert von den Möglichkeiten der dramatischen Märchenadaptation zu sein, als dass sie sein Hauptwerk ausmachen; zugleich äußert er sich zu der Märchenform, wie Feldmann richtig erfasst, kritisch und distanziert. Daraus jedoch die Konklusion zu ziehen, dass das Märchen und die Commedia dell’arte allein gewählt wurden, um sie besonders trivial erscheinen zu lassen, würde den Fiabe in ihrer transformierenden Dimension nicht gerecht werden.

      Denn neben dem Versuch, die Werke seiner Kollegen ins Lächerliche zu ziehen, lässt sich an Gozzis Märchendramen auch ein künstlerischer Mehrwert ablesen: Wenn auch unbeholfen und oftmals grob, gelingt es Gozzi, eine neue dramatische Gattung zu generieren.9 Auch Feldmann betont, dass das Märchen bei Gozzi immerhin zum ersten Mal für einen dramatischen Handlungsverlauf entscheidend ist, auch wenn er nicht so weit geht, dessen Fiabe daher als Werke einer neuen Gattung zu bezeichnen.10 Neben solchen gattungstheoretischen Fragen interessiert in Hinblick auf die Charakteristika des Märchendramas vor allem, aus welchem Grund Gozzi gerade bei der Gattung des Märchens (und der Commedia dell’arte als Aufführungsform) davon ausgegangen ist, dass sie sich in besonderer Weise anbietet, um eine parodistische Kritik an der damaligen Theaterkultur zu üben.

      Dies führt zu meiner anfangs formulierten Vermutung zurück, dass sich in Gozzis Werk nicht zufällig eine multiple intertextuelle und satirische Struktur nachweisen lässt, sondern dass es sich um eine Bearbeitung handelt, die für das Märchendrama typisch ist bzw. werden wird. Im Weiteren versuche ich, dieser für das Märchendrama womöglich spezifischen Transformation auf den Grund zu gehen, indem ich am Beispiel von Gozzis Behandlung der Commedia dell’arte die Verwandtschaft von Märchencharakteristika und theatralen Momenten11 betrachte.

       Gozzis Bearbeitung der Märchen und ihre Synthese mit dem Theatralen

      Auffällig sind die vielfältigen Gemeinsamkeiten, die das Märchen und die formalen Eigenarten der Commedia dell’arte bereits vor ihrer Fusion in Gozzis Werk aufweisen.1 In der Commedia dell’arte finden sich vor allem Typen und Masken, die sich stets wiederholen und in ihren stereotypen Eigenarten bekannt sind, wie die Diener oder die Alten.2 Hier lässt sich eine Parallele zu Märchenfiguren ziehen, die ebenfalls entindividualisiert und stereotyp sind.3 In beiden Fällen wird eine Charakterisierung durch Kontraste vorgenommen, die sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren.

      Während im Märchen Dualismen wie gut und böse, schön und hässlich oder vornehm und niedrig etabliert werden, bestehen in der Commedia dell’arte die Kontraste eher auf der Figurenebene Junge und Alte, Diener und Herren oder Verliebte und Nicht-Verliebte. Optisch zeichnet sich der Dualismus an den maskierten und unmaskierten Schauspielern, formal in der gehobenen Sprache der Adeligen, die sich von dem ‚niederen’ Dialekt und der groben Wortwahl der Diener distanziert, ab. Dass etwa Truffaldino und Smeraldina sehr derb miteinander sprechen, während die Aristokraten einen feineren Umgang miteinander pflegen, zeigt bereits ein Vergleich ihrer Sprache.

      So soll Truffaldino laut Textanweisung seine Verlobte Smeraldina „con violenza“ verspotten.4 Der König Deramo hingegen spricht seine zukünftige Braut Angela mit ausgewählten Worten an: „Veneta donna, / Esempio d’amor vero, che smentisce / Le indegne lingue, che pel mondo vanno / Predicando incostanza, ed amor finto, / E volubilità nel sesso molle. / Che adorna l’Adria tua.”5

      Auch in den bewusst eingesetzten schnellen Wechseln von Komik zu Ernst, dem dramaturgischen Gegenüber von handlungstreibenden und retardierenden Elementen sowie in den gegensätzlichen Tempi in der Rezitation und Improvisation setzt sich die Kontrastierung fort.6 Die Handlungsmotivationen und Charakterzüge der Figuren werden in beiden Fällen nicht weiter psychologisiert, sondern als gegeben gesetzt. Die bekannten Erzählmuster und Typen ermöglichen eine größere Kenntnis und einen höheren Wiedererkennungswert bei den Rezipienten.7 Auch Märchen werden durch formelhafte Wiederholungen und ihre typisierten Helden besser erinnert und verinnerlicht. Im Allgemeinen ist die Darstellung der Geschichte handlungsbetont und folgt typischen Erzählmustern wie dem Dreierrhythmus und den fest geprägten Anfängen und Enden: Populäre Märchenphrasen wie „Es war einmal“ und „Wenn sie nicht gestorben sind“ spiegeln sich in den ritualisierten Schlussformeln mit Bitte um Applaus in der Commedia dell’arte und in den sich wiederholenden Phrasen bei den Masken.8

      Aufschlussreich ist nun, in welcher Weise Gozzi diese bereits existenten Kontraststrukturen, die sowohl das Märchen als auch die Commedia dell’arte grundlegend charakterisieren, miteinander verbindet und sich für seine Märchendramen zu eigen macht. In den Fiabe ist zu beobachten, dass die dem Märchen entlehnten Figuren die ernsten, tragischen und handlungsbetonten Szenen und die Figuren der Commedia dell’arte die komischen, retardierenden Szenen übernehmen.9

      Märchenfiguren und Masken werden folglich aneinander angepasst: Aus allgemein gehaltenen Märchenhelden werden personifizierte Typen. Dies stellt einen massiven