Hannah Fissenebert

Das Märchen im Drama


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Drama symbiotisch gesteigert. So kommt es bei beiden Autoren zu einer wirkungsästhetischen Verweigerung, indem die Künstlichkeit des Märchens und die des Dramas betont werden. Sowohl das Märchen als auch das Drama werden bei Gozzi und Tieck zu einem Spiel mit Illusionen eingesetzt, das sich von einem Wahrscheinlichkeitsanspruch zu befreien sucht. Nachweisbar haben gerade Tiecks Märchendramen eine „vorbildstiftend[e] Funktion ironisch-ambivalenter Märchendramaturgie für die romantische Geschichtsschreibung nach 1800“2, unter anderen auf Georg Büchners märchenhafte Groteske Leonce und Lena und Christian Grabbes Märchenspiel Aschenbrödel. Manfred Frank geht noch weiter und attestiert Tieck einen grundlegenden Einfluss auf das Drama des 19. und 20. Jahrhunderts: „Die moderne Dramatik – von Pirandello zu Ionesco und Brechts epischen Theater, von der Märchenkomödie von Maeterlinck (vgl. Ariane et Barbe-Bleue, 1899) zu Giraudoux – wäre undenkbar ohne Tiecks Vorläuferschaft.“3

      Ob und in welcher Form sich die vor allem durch Tieck etablierte Herangehensweise der satirischen Märchenbearbeitung mit tendenziell selbstreferentiellem Charakter auch in neueren deutschsprachigen Märchendramen für Erwachsene durchsetzt, werde ich nun an dem vorzustellenden Korpus der Theatertexte untersuchen. Nach der Betrachtung des dominanten satirischen Charakters der Märchendramen von Gozzi und Tieck überprüfe ich im folgenden Kapitel zunächst die Hypothese, dass auch jüngere Märchendramen ähnlich starke Tendenzen zur Satire haben.

      Dabei möchte ich zwischen Märchenadaptationen unterscheiden, die als eindeutige Märchensatiren klassifiziert werden können, und jenen, die vielmehr satirische Elemente aufweisen. Nicht zuletzt werde ich erneut fragen, ob in den jüngeren Märchendramen ein vergleichbares Verfahren angewendet wird und ob eine inhaltliche und formale Satire nicht über das Märchen, sondern mithilfe der charakteristischen Wesenszüge des Märchens generiert werden kann.

      II. Disposition zur Satire

      Bei der Betrachtung der deutschsprachigen Märchendramen fällt auf, dass ungewöhnlich viele von ihnen einen stark satirischen Charakter aufweisen.1 Untersucht man die seit Beginn des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Märchendramen, handelt es sich bei über dreiviertel der Stücke um Märchensatiren bzw. Märchendramen mit satirischen Elementen. Rein quantitativ weisen die Bearbeitungen von Märchen im Drama demnach eine Disposition zur komischen und überspitzten Verfremdung auf.2 Diese kann sich sowohl im Einsatz von Sprache, Figuren und Szenen des Lächerlichen und Komischen, als auch in einem auktorialen Gestus der Belustigung äußern.3 Dabei lassen sich die Spielformen des Satirischen hinsichtlich ihres Schärfegrads unterscheiden. Hier folge ich im Wesentlichen András Horns thetischer Abbreviatur zum Komischen – laut Horn ist das Lächerliche „nach dem Grad seiner Harmlosigkeit abgestuft: wenn es absolut ungefährlich, absolut harmlos ist, ist seine (literarische) Darstellung humoristisch, humorvoll, humorig; wenn es relativ gefährlich ist, so ist sie satirisch“4.

      Es geht mir jedoch weniger darum, aufzuzeigen, dass der Untersuchungsgegenstand statistisch gesehen oft satirisch ist, sondern vielmehr darum, dass wesentliche Merkmale des Märchendramas gewinnbringend betrachtet werden können, wenn man sie auf eine potentiell satirische Dimension prüft.5 Nicht zuletzt gilt es, den satirischen Zugriff auch im historischen Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Diskurse zumindest in Ansätzen einzuordnen und greifbarer zu machen. Dabei geht die Satire, wie das parodistische Genre insgesamt, nicht immer gänzlich in einem rein negativen Verhältnis zu ihrem Gegenstand auf; die Satire kann im Akt einer Imitation der Vorlage auch indirekt affirmativ sein und somit eine produktive Verbindung von Fortschreibung und Kritik etablieren.6

      Der Fokus liegt grundsätzlich auf der Frage, welches konkrete Satireverfahren die Autorinnen und Autoren jeweils für die Bearbeitung der Märchen wählen. Häufig kommt es zu einer latenten Infragestellung der märchenhaften Erzählweise und der Figuren, die im Folgenden genauer untersucht werden soll. Um nachvollziehen zu können, wie in den Dramen mit den Märchenversionen von Perrault und den Grimms umgegangen wird, ist weiterhin zu klären, auf welche Weise die satirische Aneignung erfolgt, aus der sich nicht zuletzt das Verhältnis von Märchen und Adaptation ergibt. Daher steht im Vordergrund der folgenden Auseinandersetzung, was genau die Nähe zum Satirischen im Märchendrama über seine generischen Eigenarten aussagt.

      So vermag etwa die Distanz, die durch die Ironie entsteht, den artifiziellen Abstand, den sowohl das Märchen in seiner narrativen Überzeichnung als auch das Drama als illusionäre Kunstform bereits schaffen, produktiv zu verstärken. Auf diese Weise wird eine allzu enge Identifikation mit dem Gegenstand verhindert.7 Grundsätzlich lassen sich Termini wie Ironie, Satire, Paradox, Widerspruch, Konflikt oder Antinomie nur schwer voneinander abgrenzen, wenn man nach der Differenz zur Vorlage als fundamentale Kategorie fragt. Eine Trennung der Begriffe erscheint auch nur bedingt sinnvoll; so gehen diese beispielsweise gerade in der Romantik miteinander einher.

      Dennoch lassen sich mitunter Differenzen zwischen den Phänomenen festmachen, beispielsweise sind nicht unbedingt alle Widersprüche, Konflikte und Dilemmata paradox. Das Paradox verstehe ich als Wiederholung eines Elements, indem dieses explizit verneint wird, während die Ironie eher eine implizite Inversion darstellt.8 Mit Jens Roselt gesprochen, wird durch die Ironie eine „Pluralität von Stilen“9 gebündelt: „Die Qualität eines solchen Verfahrens ist darin zu sehen, daß sich eigentlich ausschließende ästhetische Konzepte uneigentlich integriert werden, da die ironische Perspektive das Nebeneinander differenter Möglichkeiten erlaubt.“10

      Auf Grundlage dieser Annahmen möchte ich überprüfen, ob sich das Zusammenspiel von märchenhaften und dramatischen Spezifika in den Adaptationen besonders für einen satirischen Zugriff anbietet. Andernfalls würde das Märchen wie viele andere populäre Vorlagen nur genutzt werden, um mit ihm in abgewandelter Form spielerische Kritik zu üben. Um diese Frage zu klären, werde ich untersuchen, ob die satirische Dimension der Märchendramen von den Autorinnen und Autoren über die generischen Charakteristika wie etwa die der Überzeichnung oder Stereotypie entfaltet wird. Um das Verhältnis der satirischen und anderer Bezüge im Märchendrama zu bestimmen, geht es nur vordergründig um die Frage, gegen wen bzw. was sich die Satire richtet. Entscheidender wird hier die Frage sein, aus welchen Gründen gerade die Gattung des Märchens als Instrument gewählt wurde.

      Die satirische Behandlung stützt sich nicht auf eine Kritik des Märchens an sich, vielmehr wird das Märchen als Form genutzt, um mithilfe seiner spezifischen Eigenarten Satire zu betreiben – als Sujets der kritischen Auseinandersetzung zeichnen sich bei den Märchendramen implizit oder explizit vorausgesetzte gesellschaftliche Normen und Diskurse ab. Zudem werden oftmals als solche von den Autorinnen und Autoren wahrgenommene Theaterkonventionen durch die ‚naive’ Perspektive des Märchens in Frage gestellt.

      Um den satirischen Zugriff der Märchendramen im Hinblick auf diese Hypothesen zu untersuchen, werde ich sie sowohl formal und inhaltlich als auch der Veröffentlichung der Märchendramen chronologisch folgend vorstellen. Der Zeitraum der vorliegenden Stücke umfasst beinahe 200 Jahre; daher kann eine Einordnung der Märchendramen in den jeweiligen historischen Kontext sowie eine Übersicht der theaterpraktischen und theoretischen Diskurse in diesem Rahmen nur skizzenhaft erfolgen.11 Indem der Fokus auf den satirischen Mitteln der einzelnen Dramen liegt, werden allein die zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergründe aufgegriffen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der satirischen Dimension der Texte stehen.

      Es geht mir weniger darum, einzelne Werke und ihre Autorinnen und Autoren im Kontext ihrer Zeit vorzustellen; vielmehr möchte ich die Entwicklung und die Zusammenhänge der satirischen Tradition des Märchendramas im deutschsprachigen Raum aufzeigen. In diesem Sinne liegt das Augenmerk auf den Tendenzen der satirischen Disposition, ihrer spezifischen Ausprägung im Märchendrama und ihren Verwandtschaften untereinander. Ausgehend von Gozzi und Tieck lässt sich so eine Übersicht der märchenhaften Satirestücke geben.

      Zu bedenken ist, dass eine derartige Suggestion den Blick auf die einzelnen Stücke verändert: Im Zuge der gemeinsamen Befragung könnten satirische Tendenzen dominanter interpretiert werden, als sie sich unabhängig voneinander darstellen würden. Um einer verzerrten Interpretation entgegenzuwirken, werde ich nicht nur auf die unterschiedliche Ausprägung der Märchensatiren und Märchendramen mit satirischen Elementen, sondern auch kurz auf Ausnahmen und Gegenbewegungen