Группа авторов

Wortbildung im Deutschen


Скачать книгу

liegen, ist die Frage nach ihrer Einordnung hier natürlich von besonderem Interesse. Infinitive werden gemeinhin als Verbalnomina definiert, die dem Substantiv syntaktisch sehr nahe stehen oder auch funktional identisch mit ihm sind – also Formen, die sich relativ nahe am nominalen Ende der Skala befinden. Wendet man die oben zitierte Definition für das Vorliegen einer Verbform an, so können Infinitive im modernen DeutschenDeutsch aber problemlos als eine solche betrachtet werden, denn alle Infinitivvarianten, auch hochkomplexe analytische Formen wie betrogen worden sein, können zusammen mit werden eine analytische Verbform bilden (er wird betrogen worden sein). Aber das gilt natürlich keineswegs für alle indogermanischen Sprachen, und schon gar nicht über die Sprachfamilie hinaus; und auch für frühere Sprachstufen des Deutschen lässt es sich nicht ansetzen. Hat sich der Status der Form im Laufe der Sprachgeschichte geändert?

      In diesem Zusammenhang muss als weitere infinite Verbform auch das GerundiumGerundium betrachtet werden, denn auch dieses ist – zumindest in der hier verwendeten Lesart des Begriffs4KonverbGerundium – ein Verbalnomen, das syntaktisch einem Substantiv gleichgestellt ist. Die Grenze zwischen dem so verstandenen Gerundium und einem InfinitivInfinitiv ist fließend, so dass die beiden Formen etwa im Englischen gelegentlich ohne Bedeutungsunterschied gegeneinander austauschbar sind5 oder sich wie im Lateinischen innerhalb eines Paradigmas gegenseitig ergänzen (cf. Rubenbauer/Hofmann 1995: 202). Dennoch kann man auch Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien aufzeigen, so etwa, dass ein Infinitiv stets ein implizites Subjekt aufweisen muss, ein Gerundium hingegen nicht. Verdeutlichen lässt sich dieser Unterschied auch im DeutschenDeutsch, wo in Abhängigkeit von der syntaktischen Umgebung in einem Fall ein implizites Subjekt gegeben ist, im anderen jedoch nicht: Während Infinitive in Infinitivsätzen regelmäßig ein mitverstandenes Subjekt aufweisen und damit noch etwas näher am VerbVerb sind, ist dies etwa bei einem als attributiver Genitiv eingesetzten Infinitiv eindeutig nicht der Fall. Letzterer ist damit bereits ein deutliches Stück näher am Substantiv und kann in diesem Sinne als Gerundium angesehen werden, cf.:

      Wir bitten Sie, hier nicht zu rauchen (‚wir bitten Sie, dass Sie hier nicht rauchen‘)

      vs.

      das Laster des Rauchens (*‚das Laster, dass jemand raucht‘)

      Dass es dieser Typ von substantiviertemSubstantivierung InfinitivInfinitiv sein könnte, der den hier zu untersuchenden Konstruktionen zugrunde liegt, wird durch die möglichen Erweiterungen mit einem Objekt als Determinans wie etwa das Laster des Zigarettenrauchens oder das Laster des Opiumrauchens nahegelegt, die auch im Register der konzeptionellen Schriftlichkeit möglich sind. Aber Konstruktionen wie beim fürs Mittagessen Gemüseschneiden oder das offen seine Meinung Sagen gehen hier offensichtlich noch einen beträchtlichen Schritt weiter und bewegen sich damit wieder in Richtung auf eine dem VerbVerb näherstehende Form, wie sie etwa KonverbenKonverb darstellen.

      5 SprachvergleichSprachvergleich: KonverbenKonverb

      Unter einem KonverbKonverb versteht man gemeinhin eine Verbform, die das infinite Prädikat eines adverbialen Nebensatzes bildet. Wenn man einen InfinitivInfinitiv als Verbalsubstantiv und ein Partizip als Verbaladjektiv definiert, dann läge in einem Konverb somit so etwas wie ein Verbaladverb vor (cf. z.B. Haspelmath 1995: 4f.). Entsprechend werden Konverben gelegentlich auch als „Adverbialpartizipien“ bezeichnet, während sich in der Romania die Bezeichnung „GerundivGerundiv“ (cf. z.B. Grevisse 2005: 1340), in der Grammatikschreibung anderer Sprachen auch „Gerund“ (cf. z.B. Lewis 2000: 175) findet. Diese beiden Termini haben jedoch in der traditionellen lateinischen wie auch in der auf das Deutsche bezogenen Grammatikschreibung eine andere Bedeutung, indem sie einmal ein Verbalsubstantiv, einmal ein Partizip Futur Passiv (cf. Feret 2005: 35–27, Hentschel/Weydt 2013: 132) beschreiben, und können daher zu Missverständnissen führen. Aus diesem Grund wird hier der Terminus „Konverb“ gewählt, auch wenn sich zeigen wird, dass er dem zu beschreibenden Gegenstand zumindest mit der hier zugrunde gelegten Definition als Adverbialpartizip (im Unterschied zu Verbalsubstantiv und Verbalnomen) nicht völlig gerecht wird.

      Zwar kann auch das Deutsche infinite Verbformen, nämlich Partizipien, in der Funktion von Adverbialsätzen verwenden, wie die folgenden Beispiele zeigen:

       Vorsichtig spähend schlich sie sich an.

      (‚indem/während sie vorsichtig spähte‘)

       Über und über mit Schnee bedeckt knickte der Ast ab.

      (‚weil er über und über mit Schnee bedeckt war‘)

      Die Infinitivkonstruktionen, die im Vorigen angeführt wurden, unterscheiden sich jedoch deutlich von diesem Konstruktionstyp und können zudem unterschiedliche syntaktische Funktionen übernehmen. Sie kommen als Subjekt (Das Sich-Verstecken-Wollen sei …), als Objekt (sie macht es wieder, also das alles besser wissen und ständig fragen) oder als durch Präposition eingeleitetes Adverbial (beim Für-die-Party-Zurechtmachen) wie auch Attribut (Anweisung zum richtig Sprechen) vor. Damit sind sie deutlich flexibler als die Partizipialkonstruktionen – und weisen eine überraschende Ähnlichkeit mit den KonverbenKonverb anderer Sprache, so etwa dem TürkischenTürkisch, auf. Die folgenden vier Beispiele mögen dies illustrieren:

Arkadaşımbenimbaklavayıçoksevdiğimibiliyor.
Freund-meinmeinBaklava-AKKsehrlieb-[DIK]1-mein-AKKweiß

      etwa: ‚Mein Freund kennt mein Baklava-sehr-Gernhaben‘

      ‚Mein Freund weiß, dass ich sehr gerne Baklava mag.‘

Çocuklarınistasyonanasılgideceklerinisanıyorsun?
Kind-PL-GENBahnhof-DATwiegeh-[ECEK]-ihr-AKKdenkst

      etwa: ‚Wie denkst du dir das zum-Bahnhof-Gehen der Kinder?‘

      ‚Was denkst du, wie die Kinder zum Bahnhof gelangen?‘

Sigarayıbıraktığımdanberidahasağlıklıyım.
Zigarette-AKKlass-[DIK]-mein-ABLseitnochgesund-bin

      etwa: ‚Seit meinem Zigaretten-Seinlassen bin ich gesünder.‘

      ‚Seitdem ich nicht mehr rauche, bin ich gesünder.‘

İlacıaldıktansonraiyileşmeyebaşladı.
Medizin-AKKnehm-[DIK]-ABLnachheilen-INF-DATbegann.

      etwa: ‚Nach dem Medizin-genommen-Haben begann es ihm/ihr besser zu gehen.‘

      ‚Nachdem er/sie die Medizin genommen hatte, begann es ihm/ihr besser zu gehen.‘

      Auch KonverbenKonverb erlauben, wie sich an den Beispielen zeigt, substantivtypische Markierungen wie Kasusendungen (hier: Ablativ, Dativ), Possessivendungen (sevdiğimi, bıraktığımdan), den Zusatz eines Possessivums (benim) oder eines attributiven Genitivs (çocukların), während sie zugleich typisch verbale Eigenschaften wie die Bindung eines direkten Objektes (baklavayı, sigarayı, ilacı) oder eines adverbialen Dativs zur Richtungsangabe (istasyona) aufweisen. Das sind dieselben Eigenschaften, die zuvor für die deutschen Infinitivkonstruktionen konstatiert werden konnten. Zudem zeigt sich auch, dass die Verbformen keineswegs darauf beschränkt sind, einen adverbialen Nebensatz zu ersetzen; sie übernehmen vielmehr in den ersten beiden Beispielen die Funktion des direkten Objekts und können auch in anderen syntaktischen Funktionen gebraucht werden, ganz wie dies auch auf die deutschen Infinitivkonstruktionen zutrifft. Frappierend ist zudem die Tatsache, dass sich die türkischen Konverben in den obigen Beispielen völlig problemlos mit Infinitivkonstruktionen ins Deutsche übersetzen lassen – zumindest wenn man in Kauf nimmt, dafür ein umgangssprachliches Register, also konzeptionelle Mündlichkeit, zu wählen. Dies ist natürlich nicht notwendig immer der Fall und soll keineswegs für alle Konverb-Konstruktionen des TürkischenTürkisch postuliert