naturgemäß zu der Frage, was – außer der Morphologie – die türkischen KonverbKonverb-Konstruktionen von deutschen Infinitivkonstruktionen des hier besprochenen Typs eigentlich grundsätzlich unterscheidet. Auch an anderen Stellen verwendet das Deutsche schließlich den InfinitivInfinitiv in Funktionen, die nicht einfach nur seiner Funktion als Verbalsubstantiv entsprechen. Brugmann (1904: 605) beschreibt in seiner vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen den prädikativ gebrauchten Infinitiv, also Kombinationen von sein und Infinitiv wie in Diese Aufgabe ist nicht zu lösen, als eine in vielen Sprachen zu beobachtende Bildungsweise, durch die „eine Art von indeklinablen Adj. (Gerundivum) entstand […]. Solche Infinitive wurden dann zumteil in deklinable Adjektive verwandelt“. Letzteres wäre der Fall, wenn die Form attributiv gebraucht wird (die leicht zu lösende Aufgabe), während die „Art von indeklinablem Adjektiv“ in der prädikativen Funktion nach wie vor erhalten ist. Infinitive sind, so kann man hieraus schließen, polyfunktional einsetzbare Verbformen, die keineswegs darauf beschränkt sind, als einfache Verbalsubstantive zu dienen.
Angesichts des unterschiedlichen syntaktischen Verhaltens der hier untersuchten InfinitiveInfinitiv kann man insgesamt von einem Kontinuum mit fließenden Übergängen ausgehen, das von einer klaren SubstantivierungSubstantivierung wie in das Backen des Kuchens (Lehmann 2013: 38) am einen Ende bis hin zu einer eindeutig verbalen Konstruktion in Progressiven wie vielleicht ist er genau nach diesem „guten alten Stück“ seit Jahren am Suchen am anderen Ende der Skala reichen. Zwischen diesen beiden Polen sind Übergänge möglich, die dann zum Nebeneinander von verbalen und nominalen syntaktischen Strukturen führen können. Ein solches Nebeneinander liegt etwa in das ständige sich-Beklagen-über-alles vor, wo die Kongruenz in ständige nur beim Vorliegen eines Substantivs möglich ist, während sich das Vorliegen eines VerbsVerb voraussetzt.
Während sich im Fall eines rein substantivischen Gebrauchs der traditionelle Terminus „substantivierter InfinitivInfinitiv“ gut für die Beschreibung eignet, ist für den Fall einer Konstruktion am verbalen Ende der Skala bisher keine Bezeichnung vorgesehen. Auch wenn der Begriff nicht unproblematisch ist, wird hier in Anlehnung an die Befunde in Turksprachen, wo KonverbenKonverb, wie die obigen Beispiele zeigen, auch nicht ausschließlich adverbiale Funktionen haben, vorgeschlagen, hier den Begriff „Konverb-Konstruktion“ oder zumindest „konverbähnliche Konstruktion“ anzuwenden.
6 Abschließende Bemerkungen
Im DeutschenDeutsch hat sich insbesondere im Register der konzeptionellen Mündlichkeit, aber keineswegs ausschließlich dort, eine Tendenz entwickelt, InfinitiveInfinitiv in substantivierter Form – also beim Gebrauch mit einem determinierenden Element, meist einem Artikel – in einer Weise zu erweitern, wie dies sonst nur bei VerbenVerb möglich ist. Dazu gehört nicht nur die Ergänzung mit einem Objekt wie in beim Pornos gucken, die man möglicherweise noch als Determinans eines gedachten KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum Pornosgucken aus Porno und Gucken mit einem FugenelementFugenelement s deuten könnte, sondern vor allem die Linksattribuierung eines Adverbials wie in beim heimlich Pornos gucken oder beim fürs Mittagessen gemüseschneiden. Dieser Stellungstyp ist bei Substantiven grundsätzlich ausgeschlossen (cf. *das auf dem Hügel Haus), die in solchen Fällen nur Rechtsattribuierungen zulassen (das Haus auf dem Hügel).
Die Beobachtung des regelmäßigen Auftretens solcher Konstruktionen lässt sich nicht mit der Interpretation vereinbaren, dass es sich bei den betroffenen Infinitiven um Konversionen handelt. Dies gilt unabhängig davon, ob man einen Prozess auf lexikalischer Ebene ansetzt oder nur von einer ad-hoc-Konversion zur Anpassung an den syntaktischen Kontext ausgeht, wie dies etwa Fleischer/Barz (2012: 271) tun. Denn das Ergebnis erfüllt die syntaktischen Bedingungen nicht, die für ein Substantiv gelten. Er unterscheidet sich aber zugleich von einer normalen Verbform dadurch, dass es den Gebrauch des Artikels oder anderer Determinierer wie in mein auf ihn einreden zulässt. Die Konstruktion stellt so gesehen eine Art Hybrid zwischen den beiden Wortarten dar, zeigt aber insbesondere im Hinblick auf die umfangreichen Erweiterungsmöglichkeiten, die sie zulässt (cf. Beispiele wie das Sich-ständig-beklagen-können oder das „nichts gesehen haben wollen“) eine etwas größere Nähe zum VerbVerb als zum Substantiv.
Dieser hybride Befund lässt sich gut mit den Eigenschaften von KonverbenKonverb in Sprachen wie dem TürkischenTürkisch vergleichen, die ebenfalls Eigenschaften beider Wortarten aufweisen – und die genau wie die hier behandelten InfinitiveInfinitiv des DeutschenDeutsch die Funktion verschiedener Satzteile, also keineswegs nur die eines Adverbials, übernehmen können. Dass diese Formen nicht auf die syntaktische Funktion des Adverbials beschränkt ist, sondern auch andere Satzteilfunktionen übernehmen kann, widerspricht dabei der üblichen Definition eines Konverbs, wie man sie etwa bei Haspelmath (1995: 4f.) findet. Dies ist vermutlich der Grund, warum Lewis (2000: 175) in seiner türkischen Grammatik den Begriff gerund wählt, dessen Anwendung auf das Deutsche aber wiederum insofern nicht sehr sinnvoll ist, als er in der traditionellen Grammatikschreibung bereits anders belegt ist. Aber wie immer man die Formen nennt: Funktional entsprechen die deutschen Infinitivkonstruktionen recht genau dem, was wir im Türkischen vorfinden, und sollten daher als eigenständige Verbfunktion behandelt werden. Insofern wird trotz der damit verbundenen Probleme vorgeschlagen, bei der Beschreibung des hier diskutierten Phänomens von Konverb- oder konverbähnlichen Konstruktionen des Deutschen zu sprechen.
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