Группа авторов

Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb


Скачать книгу

die den Lernern aufgrund ihres Erwerbsstandes besonders nahe sind, nämlich solche Strukturen, die von den Lernern auf ihren jeweiligen Erwerbsstufen verarbeitbar sind oder den Strukturen ihrer Erwerbsstufen entsprechen (vergleiche auch Kapitel 7 in diesem Band).

      2.2.2 Einfluss der L1

      In den Mehrsprachigkeitsmodellen, die sich dagegen an die KontrastivhypotheseKontrastivhypothese anlehnen, spielen Aspekte der gegenseitigen Beeinflussung der Sprachen eine wichtige Rolle (InterferenzInterferenz), aber Ausmaß und Qualität des Einflusses von vorerworbenen Sprachen und Kulturen werden in den Modellen unterschiedlich stark gewichtet. Die Kontrastivhypothese geht davon aus, dass die erworbenen Vorsprachen, vor allem aber die L1, einen Einfluss auf den weiteren Sprachenerwerb haben.

      Bei der Modellierung von L1 und L2 werden allerdings homogene Sprachgebilde vorausgesetzt. Das heißt, dass Konzepte der sprachlichen Variation dort nicht berücksichtigt werden. In dem foreign language acquisition model (FLAM) von (Groseva 1998) etwa kommt der strukturellen Verwandtschaft der Sprachen eine wichtige Bedeutung zu: Die nähere Sprache übernehme demnach über bewusste und unbewusste Sprachlernstrategien die Funktion der Kontroll- und Korrekturinstanz für die weiteren Sprachen. Erst mit zunehmenden Sprachlernerfahrungen würden die Strategien vertieft und reflektiert. Als Resultat des Erwerbsprozesses entstehe ein L2-System, das alle charakteristischen Merkmale der Zielsprache, aber auch Interferenzerscheinungen aus der L1 sowie spezifische und nach Ansicht des Lerners besonders erfolgreiche Lern- und Kommunikationsstrategien in der L2 enthalte.

      Diese bewusst gelernte L2 wird nach unserer Ansicht zu einer Art Korrektur- und Kontrollinstanz für jede weitere nächste Fremdsprache (L3, L4 etc.). (Groseva 1998:22)

      Auf die katalytische Funktion des kognitiven Entwicklungsstandes beim Sprachenerwerb hebt dagegen die SchwellenhypotheseSchwellenhypothese ab. Sie geht davon aus, dass die vermeintliche Globalkompetenz der Erstsprache eine Referenzfunktion für die kognitive Entwicklung und damit für den L2-Erwerb hat. Ursprünglich wird aus dieser Referenzfunktion eine kausale Wirkung abgeleitet. Demnach sind gut ausgeprägte Sprachkompetenzen in der L1 Bedingung für den L2-Erwerb und guter L2-Erwerb ist die Grundlage zur Entwicklung höherer kognitiver Kompetenzen.

      Abbildung 2.5:

      Schwellen- und Interdependenzhypothese (nach Skutnabb-Kangas & Toukomaa 1977)

      Der InterdependenzhypotheseInterdependenzhypothese zufolge sind also bestimmte minimale Niveaus in den Sprachen erforderlich, wenn der Sprachenerwerb positive Effekte auf die allgemeine kognitive Entwicklung der Lerner haben soll (vergleiche Abbildung 2.5). Diese Niveaus werden in Bezug auf die Kompetenz in der Erstsprache definiert und meist an Alter oder sozioökonomischem Status festgemacht. Die Hypothese besagt, dass der Erwerb einer fremden Sprache eher negative Effekte auf die kognitive Entwicklung eines jungen Lerners habe, wenn der Lerner nur eine niedrige Kompetenz in seiner Erstsprache besitze. Das Resultat sei dann ein doppelter SemilingualismusSemilingualismus, eine niedrige Kompetenz in Erst- und Zweitsprache. Über dieser Schwelle, in so genannten Standardfällen, in denen die Erstsprache zwar gut entwickelt ist, die Zweitsprache aber weniger gut, sind demnach die Effekte auf die kognitive Entwicklung neutral, das heißt, weder positiv noch negativ. Erst im additiven Bilingualismusadditiver Bilingualismus, bei einer hohen Kompetenz in Erst- und Zweitsprachen, lassen sich positive Effekte auf die allgemeine kognitive Entwicklung feststellen. Skutnabb-Kangas und Toukomaa (1977) fassen diese Hypothesen in dem Diagramm in Abbildung 2.5 zusammen. Diese frühen Hypothesen zur Mehrsprachigkeit haben unter anderem dazu geführt, Förderunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund in deren Erstsprache einzuführen (muttersprachlicher Unterricht wie Türkisch für Kinder mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland und Österreich), wenn diese nicht gut ausgebildet war. Erst nach der Etablierung der Grundlagen der Erstsprache kam der Unterricht in der neuen Umgebungssprache (zum Beispiel Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache) hinzu. Die Hypothesen sind später durch Cummins‘ Differenzierung zwischen Bildungssprache (Cognitive Academic Language Proficiency, CALP) und instrumentellen umgangssprachlichen Fertigkeiten (Basic Interpersonal Communicative Skills, BICS) weiterentwickelt worden (Cummins 1981). Diese Differenzierung ist ein wesentliches Kriterium für die Bewertung der allgemeinen kognitiven Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Im Sinne von Cummins globaler Unterscheidung lässt sich bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund vor allem ein Mangel an Kompetenzen in konzeptioneller Schriftlichkeit feststellen. Auch ihren schriftlichen Arbeiten in der Schule liege demzufolge ein Konzept von Sprache zugrunde, das eigentlich mündlich sei. Die konzeptionelle Mündlichkeit lasse sich als Grundlage medial schriftlicher Produktionen von Schülerinnen und Schülern und damit als Fehlerquelle des Unterrichts und Ursache für schlechte schulische Leistungen identifizieren. Zu der Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit und unterschiedlichen medialen Realisierungen siehe Dürscheid und Brommer (2009).

      2.2.3 Zur Problematik der Referenzfunktion der L1 und des BICS und CALP-Ansatzes

      Die Festlegung auf die Referenzfunktion der L1, der Bezug auf das strukturelle Verhältnis der beteiligten Sprachen, die globale Zuordnung von Schwellen und die bipolare Festlegung von bildungs- und umgangssprachlichen Kompetenzniveaus sind trotz ihrer weiten Verbreitung in einer Reihe von Aspekten problematisch. Der Übergang von Schwelle zu Schwelle oder in einen anderen Modus erfolgt nicht abrupt, sondern ist sowohl intra- als auch intermodal (mündlich, schriftlich) fließend. Der Einfluss sprachlicher Struktursysteme auf den Erwerb sprachlicher Kompetenzen ist – wie bereits dargestellt – umstritten. Die Modellierung von Mehrsprachigkeitsmodellen an den Struktureigenschaften von Sprachen festzumachen, wie beispielsweise im foreign language acquisition model, behandelt nur Teilaspekte des Sprachenerwerbs und des Managements von Mehrsprachigkeit. Die Annahme einer reinen Mutter- oder Herkunftssprache der Lerner, die gänzlich anders ist als die Zielsprache, berücksichtigt vor allem bei Kindern der zweiten, dritten und späteren Migrantengeneration nicht die Mischungsprozesse der Sprachen. Für Kinder aus Migrantenfamilien ist die Sprache der Eltern oft nicht ihre eigene Muttersprache, sondern bestenfalls Familiensprache. Deshalb sind Ansätze fehlleitend, die unkritisch und pauschal auf die Muttersprache der Migrantenkinder aufbauen. Diese Einschränkung gilt in verstärktem Maße für Familien, in denen die Eltern unterschiedliche Erstsprachen beherrschen (vergleiche hierzu auch Brizić 2009, 2008). Die Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit den Sprachen der Eltern steht in einem wechselseitigen Verhältnis zum Sozialprestige der Sprachen in der Umgebungsgesellschaft. Das Prestige der Sprachen hat Auswirkungen auf die Selbsteinschätzung sprachlicher Kompetenzen und beeinflusst Sprachenerwerb und Sprachenerhalt sowie Identitätsbildung. Kinder mit der Familiensprache Türkisch verweigern zum Beispiel in deutschsprachiger Umgebung oft den Gebrauch des Türkischen und scheuen sich auch davor, anzugeben, dass sie die Sprache kennen und wie gut sie sie können (vergleiche Brizić 2009). Von besonderer Relevanz im cognitive academic language proficiency-Ansatz sind die in der Regel schwach ausgeprägten schriftsprachlichen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen. Die von Cummins (1981, 1982, 1991) vorgenommene Globalkategorisierung als cognitive academic language proficiency verlangt hier eine weitere Differenzierung in die unterschiedlichen funktionalen Bereiche der Schriftlichkeit (Bildungssprache, Arbeits- und Berufssprache, Alltagssprache). Das heißt, bei der Diagnose des Kompetenzproblems werden im cognitive academic language proficiency-Ansatz Aspekte der institutionellen Verwendung von Sprachen in Bildung, Beruf und öffentlicher Verwaltung zu wenig berücksichtig, und zwar in der Zielsprache, aber meist noch stärker in den Familiensprachen. Schriftlichkeit und Mündlichkeit bezeichnen nicht ein bi-polares Kontinuum sprachlicher Kompetenzen. Vielmehr sind sie je nach Textgattung unterschiedlich ausgeprägt und es gibt, zumal in einer zunehmend von Medien beeinflussten Zeit, eine Fülle von Misch- und Übergangsformen. Auch Bildungssprache ist kein monolithischer Komplex (siehe hierzu auch die Ausführungen zu den Milieustudien in Lerneinheit 2.3). Die Gleichsetzung kognitiver Kompetenzen mit Bildungssprache und ihre Kontrastierung mit alltagssprachlichen Kompetenzen suggeriert eine klare Trennung konträrer Modi. Der Begriff Kognition wird dabei in restriktiver Weise auf elaboriertes