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Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb


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der Zielgruppe und die dort unterschiedlichen Einstellungen zum Sprachenlernen sowie die unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzniveaus legen grundsätzlich eine nicht segregative Sprachförderung nahe. Wenn ethnische Faktoren nicht milieubildend wirken, können sie auch nicht Maßstab für ethnisch segregierende Fördermaßnahmen sein.

      Bewertung der Sprachfertigkeiten in der Migrationsforschung

      In Bezug auf Aussagen zu Sprachkompetenzen haben Migrationsstudien mehrheitlich ein großes Problem, auf das hier hingewiesen werden soll. Die Interpretation von Zusammenhängen zwischen Integration und Sprachenerwerb enthält eine Reihe von Ungenauigkeiten, die sich aus der Erhebung und Analyse der Sprachdaten ergeben. Nur ausnahmsweise stehen belastbare Daten zur Bewertung des Sprachstandes der Migranten und Migrantinnen zur Verfügung. Da verlässliche Daten meist nicht vorliegen oder nur mit großem Aufwand zu erheben sind, behilft sich die Migrationsforschung in der Regel mit Selbsteinschätzungen der Betroffenen. Wie auch in anderen Bereichen der Sozialforschung haben sich Selbsteinschätzungen aber als wenig zuverlässig erwiesen. Verschiedene empirische Vergleichsstudien zwischen Verfahren der Selbstevaluation (self-assessment) und der Kriterien basierten Fremdevaluation haben aber gezeigt, dass die Selbstevaluation in einem bestimmten Rahmen bedingt verlässliche Ergebnisse produzieren kann (vergleiche Dlaska & Krekeler 2008).

      Um verlässliche Aussagen über sprachliche Aspekte machen zu können, muss in einer Untersuchung, die seriös mit dem Thema Sprachenerwerb und Sprachkompetenzen umgeht, ein objektivierbarer Maßstab angelegt werden, wie er etwa in standardisierten Sprachstandsprüfungen gegeben ist. Nicht jeder beliebige Test ist hierfür geeignet, weil die wenigsten der verfügbaren Sprachtests nach testwissenschaftlichen Maßstäben konzipiert sind (siehe auch Kapitel 3 und 4 im Band »Unterrichtsmanagement«). Die Testerstellung und -durchführung bedarf nicht nur einer Validierung, sondern auch einer Kalibrierung in Bezug auf unterschiedliche Testgenerationen (test-equating) und in Bezug auf das Training der Tester oder Testerinnen und Bewerter oder Bewerterinnen (inter-rater-reliability). Diese Kalibrierung ist besonders bei den in der Regel offeneren produktiven Fertigkeiten notwendig, um individuelle Präferenzen der Bewerter und Bewerterinnen bei der Bewertung auszugleichen. Für die Bewertung von sprachlichen Leistungen bieten sich neben aufwändigeren, auf adäquate kommunikative Kompetenzen ausgerichteten Tests aus organisatorischen Gründen auch Verfahren an, die in Bezug auf Themen und Aufgaben selektiv (bestimmte Kernkompetenzen) messen. Am bekanntesten sind dabei repräsentativ messende C-Tests, die trotz komprimierten Formats und geringer Redundanz nicht nur grammatische Kompetenzen, sondern auch die allgemeine Sprachkompetenz, zum Beispiel zum Zwecke der Einstufung, evaluieren können (Eckes & Grotjahn 2006).

       Experiment

      Wie gut beherrschen Sie die deutsche Sprache? Orientieren Sie sich am Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER). Führen Sie anschließend den Beispieltest zum Online-Spracheinstufungstest onSet auf https://refugees.onset.de/ (Stand: 1. Juni 2017) durch.

      Abbildung 2.4:

      Formulierung der sechs Niveaustufen im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER 2017)

      Vergleichen Sie die Ergebnisse Ihrer Selbsteinschätzung mit jenen des Online-Tests. Was können Sie feststellen? Diskutieren Sie im Forum.

      Betrachtet man die Methoden der Studien, die herangezogen werden, um damit den vermeintlich mangelnden wirtschaftlichen und integrativen Nutzen von Mehrsprachigkeit zu begründen (so zum Beispiel Esser 2006) so stellt man fest, dass dort unter den sprachlichen Fertigkeiten fast ausschließlich subjektive Einschätzungen nach dem Muster „wie gut verstehen/sprechen … Sie die Sprache X?“ zur Anwendung kommen. Aus der Ungenauigkeit und Heterogenität der Angaben ergibt sich, dass weder die untersuchten Populationen noch ihre Selbsteinschätzungen miteinander zu vergleichen sind. Mit solchen Verfahren aber ist ein großer Teil der Migrationsforschung in Bezug auf die Feststellung von Sprachkompetenzen und Mehrsprachigkeit und deren Rolle bei der Integration nur begrenzt brauchbar.

      Aufenthaltsdauer und Arbeitsmarkt

      Von Interesse für die Migrationsforschung ist vor allem die Bemessung des wirtschaftlichen Nutzens von Mehrsprachigkeit. Wie beeinflussen die sprachlichen Kompetenzen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, welche Karrieren ergeben sich daraus, welche Einkommensniveaus können dadurch erreicht werden, oder sind der Mangel an Sprachkenntnissen sowie ein ausländischer Akzent ausschlaggebend für schlechtere und schlechter bezahlte Anstellungen? Wenn Mehrsprachigkeit einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wert hätte („kulturelles Kapital“), dann müssten sich überproportional gute Chancen für Menschen ergeben, die mehrere Sprachen beherrschen, also zum Beispiel Migranten und Migrantinnen, die die Sprachen ihrer Heimat oder ihrer Familien und die Zielsprache beherrschen.

      In einer Metastudie zu verschiedenen deutschen und internationalen Studien hat Esser versucht, den oben genannten Fragen nachzugehen, nicht zuletzt um den wirtschaftlichen Wert der Mehrsprachigkeit im Kontext der Integrationsbemühungen zu bemessen (Esser 2006). Dabei liegt der Studie, die hier wegen ihres politischen Wirkungsanspruchs exemplarisch behandelt wird, folgende Annahme zugrunde: Der Sprachenerwerb ist theoretisch als eine, mehr oder weniger intentionale Investition unter bestimmten sozialen Bedingungen aufzufassen, die allgemein von der Motivation, dem Zugang, der Effizienz und den Kosten dieser Investition abhängig ist (vergleiche Esser 2007).

      In den Ergebnissen zeigt sich, dass Migranten und Migrantinnen meist schlechter bezahlt werden als Einheimische, und diejenigen, die die Sprache schlechter oder gar nicht sprechen werden schlechter bezahlt als diejenigen, die sie perfekt sprechen. Daraus zieht Esser den Schluss, Mehrsprachigkeit habe insgesamt keinen beruflichen und wirtschaftlichen Nutzen für die betroffenen Migranten oder die Gesellschaft (Esser 2006). Die Mehr-Sprachenkompetenzen beförderten nicht die berufliche Karriere, das Lohnniveau der Mehrsprachigen sei niedrig, „kompetente Bilingualität bleibt die Ausnahme“ (Esser 2006). Die Herkunftssprachen hätten, außer Englisch, keinen wirtschaftlichen Wert und sollten daher zu Gunsten der Zielsprache Deutsch und allenfalls des Englischen als international hochwertiger Verkehrssprache aufgegeben werden. In seiner Metaanalyse unterlaufen Esser eine Reihe gravierender Fehler. Die Bestimmung des Sprachstandes stützt sich – wie dargestellt – auf wenig verlässliche Selbsteinschätzungen. Die herangezogenen Studien behandeln die sprachlichen Fertigkeiten weder in der L1 noch in der L2 anhand von validierbaren Kriterien (etwa Blackaby, Clark, Leslie & Murphy 1994; Blackaby, Leslie, Murphy & O'Leary 1998). Wenn man den wirtschaftlichen Nutzen von Mehrsprachigkeit messen will, sind die Qualität der sprachlichen Kompetenzen der Befragten und die im Beruf tatsächlich erforderliche Qualität von (Mehr-) Sprachenkenntnissen in differenzierter Weise zu berücksichtigen.

      Genauso ist auch die Qualität des Aufenthalts und Zugangs zur Zielsprache und nicht nur die Verweildauer im Zielland beim Erwerb von Sprachkompetenzen zu berücksichtigen. Der quantitative Messindikator ‚Verweildauer‘ liefert keine hinreichende Erklärung von qualitativen Ursachen oder Effekten. Problematisch an der Metaanalyse von Esser und den herangezogenen Daten ist ferner, dass sie von wenig vergleichbaren Informantengruppen stammen. Diese sind zudem nicht selten in Berufen tätig, bei denen sprachliche Kompetenzen nur eine nachrangige Rolle spielen (vergleiche die Studien von Berman, Lang & Siniver 2003; Kalter 2006). Wenn man einen Beruf hat, in dem Sprachen im Normalfall nicht gebraucht werden und in dem das Qualifikationsniveau vergleichsweise niedrig ist, kann man nicht erwarten, dass die Mehrsprachigkeit die Defizite des Qualifikationsniveaus ausgleichen kann. In der Studie von Berman, Lang und Siniver (2003) etwa werden vor allem Programmierer, Computertechniker, Bauarbeiter und Tankstellenkassierer in den Vereinigten Staaten untersucht, zu deren Berufsfeld eigentlich keine extensiven fremdsprachigen Fertigkeiten gehören. In der deutschen Studie von Dustmann und van Soest (2002), die sich auf eine der wichtigsten Datensammlungen der Sozialforschung, das Sozioökonomische Panel (SOEP), stützt, werden „bildungsferne“ Migranten aus Italien, Spanien, der Türkei, Jugoslawien und Griechenland aus der Gesamtheit isoliert, um damit Aussagen über den (mangelnden) Nutzen fremdsprachiger Kompetenzen für die Arbeitstätigkeit und die berufliche Karriere abzuleiten.

      Viele