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Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb


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bilden die Grundlage der Interkomprehension. Wenn die gemeinsame Basis identifiziert oder ausgefiltert ist, bleiben monolinguale Profilelemente als Spezifika einer zu erwerbenden Sprache übrig.

       Beim Erwerb einer weiteren nahverwandten Fremdsprache, zu der der Lerner bereits in erheblichem Maße über Vorwissen verfügt, kommt es demnach darauf an, das vorhandene Wissen und seine Organisation so zu aktivieren, dass die zwischen den Ausgangssprachen und der Zielsprache liegenden kognitiven Schemata miteinander verbunden werden können.

       Dermaßen erschlossene sprachliche Kompetenzen können ein wichtiges Mittel auch in spontaner Kommunikation sein, da damit zumindest ein Verständnis einer fremden Sprache erschlossen werden kann, schriftlich oder mündlich.

       Viele Migranten und Migrantinnen, insbesondere in den soziokulturell modernen Milieus, haben ein bikulturelles Selbstbewusstsein und eine postintegrative Perspektive.

       Deutschkenntnisse sind unter Migrantengruppen unterschiedlich ausgeprägt und dementsprechend sind auch die Bewusstheit für die Notwendigkeit sprachlicher Kompetenzen sowie die Bereitschaft sie zu erwerben, differenziert gestaltet.

       Die Heterogenität der Zielgruppe und die unterschiedlichen Einstellungen zum Sprachenlernen sowie die unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzniveaus legen grundsätzlich eine nicht segregative Sprachförderung nahe. Wenn ethnische Faktoren nicht milieubildend wirken, können sie auch nicht Maßstab für ethnisch segregierende Fördermaßnahmen sein.

      2.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle

      1 Welche Defizitbereiche treten in der Behandlung des Themas ‚Sprache und Integration‘ auf? Erklären Sie die Problematik.

      2 Was ist bei der Konzeptualisierung von Sprachfördermaßnahmen zu Integrationszwecken zu beachten? Welche Sprachfördermaßnahmen sind nötig um Integration zu verbessern?

      3 Was ist bei der Bewertung von Sprachkompetenzen zu beachten?

      4 Wie stehen ein bikulturelles Selbstbewusstsein und eine postintegrative Perspektive vieler Migranten und Migrantinnen in Bezug zur deutschen Sprache?

      2.2 Faktoren der Mehrsprachigkeit

      Jörg Roche

      Individuelle Mehrsprachigkeit umfasst das Zusammenwirken aller Sprachen, die ein Individuum beherrscht und nutzt. In Lerneinheit 1.2 wurde allerdings bereits angedeutet, dass es nicht immer einfach ist, einzelne Sprachen voneinander abzugrenzen. Das heißt während man jemanden, der Deutsch und Französisch spricht, sofort als mehrsprachig einschätzen würde, könnte man bei jemandem, der Deutsch, Bairisch und Kanaksprak (siehe Lerneinheit 7.1) spricht diskutieren, ob er nun eine oder drei Sprachen beherrscht. Aus diesem Grund führt diese Lerneinheit einleitend in das Konzept der Inneren und Äußeren Mehrsprachigkeit ein. Anschließend beschäftigen wir uns damit, welche Rolle die L1 für den Sprachenerwerb spielt. Dabei möchten wir Sie dafür sensibilisieren, welche Gefahren die Modellierung von Mehrsprachigkeitsmodellen an den Struktureigenschaften von Sprachen, beziehungsweise die Annahme einer reinen L1 für die Gewinnung von Erkenntnissen zu Mehrsprachigkeit als eine dynamische Größe, birgt. Im zweiten Teil der Lerneinheit werden Ihnen lernerinterne und lernerxterne Faktoren präsentiert, die die Entwicklung von Mehrsprachigkeit beeinflussen.

      Lernziele

      In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

       für Formen der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit sensibilisiert werden;

       die Darstellung des Einflusses der L1 in traditionellen Darstellungen von Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren;

       relevante Faktoren für individuelle Mehrsprachigkeit unterscheiden können.

      2.2.1 Innere und äußere Mehrsprachigkeit

      Nach der These der natürlichen Mehrsprachigkeit beginnt diese nicht mit fremdsprachigen Codes. Auch „monolinguale“ Kinder erwerben im Laufe ihrer Sozialisation mit viel Erfolg und viel Vergnügen spielerisch und experimentell mehrsprachige Kompetenzen, die man als Varietäten der Sprache beschreiben kann. Diese natürliche Mehrsprachigkeit, die Wandruszka (1979) innere Mehrsprachigkeitinnere Mehrsprachigkeit nennt, entwickelt sich Zeit des Lebens mit dem Erschließen neuer Lebens- und Arbeitsbereiche weiter, obwohl gesellschaftliche Sanktionen und mangelnde Förderung in den frühen Jahren nicht selten die Entwicklung behindern.

      Schon in unserer Muttersprache lernen wir ein dynamisches PolysystemPolysystem kennen, in dem die Sprachen verschiedener Lebenskreise, denen wir angehören, ineinandergreifen und sich vermischen. (Wandruszka 1979: 314)

      Äußere Mehrsprachigkeitäußere Mehrsprachigkeit bezeichnet den Erwerb von Fremd- oder Mischsprachen (Hybridsprachen). Die anthropologische Dimension der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit ergänzt das Variationsspektrum, das in der nachfolgenden Liste anhand der wichtigsten Dimensionen skizziert ist. Dabei sind die drei klassischen Kategorien des Diasystems nach Coseriu (1988a, 1988b; siehe Lerneinheit 6.1 in diesem Band) um weitere Variationsperspektiven (unterschiedlicher linguistischer Forschungsansätze) ergänzt. Damit ergeben sich auch Mehrfachzuordnungen.

      Sprachliche Variation kann demnach aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht und erklärt werden:

       anthropologisch: in Bezug auf die innere und äußere Mehrsprachigkeit

       diatopisch: in Bezug auf groß- und kleinräumige Dialekte; Regionalsprachen, Nationalsprachen, Kontakt- (Minderheiten-)Sprache, In-Group-Sprachen

       diastratisch: in Bezug auf Schicht- und Gruppensprachen, Soziolekte, Ethnolekte, Jugendsprache, Alters-, Geschlechtsspezifik

       diasituativ: in Bezug auf öffentliche beziehungsweise private Register, Ethnolekte, Soziolekte

       diachronisch: in Bezug auf die historische Entwicklung von Sprachen, zum Beispiel die Entstehung von Kreolsprachen aus Pidgins

       diaphasisch: in Bezug auf Kommunikationsbedingungen und Situativität, Stile und Register

       medial beziehungsweise modal: in Bezug auf Schriftlichkeit und Mündlichkeit, wie sie sich etwa in Diglossien manifestieren

       ontogenetisch: in Bezug auf den individuellen Sprachenerwerb und Sprachverlust, etwa in Aphasien

       phylogenetisch: in Bezug auf die (chronologische) Entwicklung eines Sprachsystems

       adaptiv: in Bezug auf adressatenspezifische Anpassungen, etwa kindgerichtete Sprache (Ammensprache, Motherese), Xenolekte, Pidgins, Gerolekte, Code-Switching

       transkulturell: in Bezug auf Neologismen, Transkulturalität

       didaktisch: etwa in Bezug auf die Sprache des Unterrichts, Lehrersprache

      Diese Kategorien sind außerdem um die pragmatische Dimension zu ergänzen, da letztlich jede Art von sprachlicher Variation immer auch pragmatisch begründet werden kann.

      Im Zusammenhang mit sprachlicher Variation spricht List (2004: 133) von „quersprachiger Kompetenz“ und bezeichnet damit ein fruchtbares Potenzial, die symbolischen Dienste unterschiedlicher sprachlicher Medien und Register zu erkennen, zwischen ihnen zu unterscheiden, sie womöglich selbst zu mischen oder wechselnd zu benutzen und quer durch sie hindurch zu handeln. Quersprachige Variationsstrukturen sind Ausdruck der natürlichen Kreativität im Umgang mit Sprache. Kinder und Jugendliche schaffen sich aus diesem Grund Geheimsprachen oder imitieren mit Freude und Leichtigkeit andere Kinder, Erwachsene, Cartoonfiguren oder öffentliche Stars. Lerner einer fremden Sprache haben vor allem deshalb Zugangsschwierigkeiten zu dem dargestellten Variationsspektrum der Sprachen, weil es am Anfang des Erwerbs von außen betrachtet unkonturiert erscheint und weil aus diesem Grund im Unterricht die Vielfalt oft reduziert, vermieden oder in die fortgeschrittenen Stufen ausgelagert wird.