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Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb


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gefährdet ist. Dazu zählen die Anzahl und das Alter der L1-Sprecher, der prozentuale Anteil der jüngsten Generation, die diese Sprache beherrscht, die demografische Lage (ob die L1-Sprecher dicht zusammen oder in isolierten Gebieten leben), die Verwendung der Sprache innerhalb von Familien, die Lebensbereiche, in denen die Sprache Funktionen einnimmt, die Verwendung einer Zweitsprache in der Gemeinschaft, die offizielle Anerkennung der Sprache und so weiter. Deshalb hat sich die Sprachenpolitik in letzter Zeit verstärkt auf Prozesse konzentriert, die Sprachgefährdung abmindern oder ihr vorbeugen. Insbesondere geht es dabei um die Bestrebungen zur Wiederbelebung von Sprache. Sprachwechsel bezeichnet den Wechsel einer Sprachgemeinschaft von der Erstsprache zu einer anderen Sprache. Reversing language shifts-Bestrebungen zielen darauf ab, einer Sprachgemeinschaft, deren Sprache bedroht ist, dabei zu helfen, den Sprachwechsel aufzuhalten. Man zielt darauf ab, Sprachen vor dem endgültigen Verschwinden (SprachentodSprachentod) zu bewahren und hilft sogar dabei bereits ausgestorbene Sprachen wiederzubeleben. Reversing language shifts befasst sich mit allen Gefährdungsstufen und schlägt entsprechende Gegenmittel vor. Dazu zählt etwa die Unterstützung der Verwendung der Sprache innerhalb von Familien, die Erzeugung eines kulturellen Milieus für die Verwendung der Sprache innerhalb der Gemeinschaft, das Ergreifen von Maßnahmen zur Steigerung des Ansehens der Sprache (indem sie beispielsweise zu einem nationalen Kulturgut erklärt wird, wie im Fall der Maori-Sprache in Neuseeland), die Unterstützung der Verwendung dieser Sprache im Bildungssystem (mehrsprachige Bildungsmodelle) und so weiter (siehe Skutnabb-Kangas 2006).

      1.3.2 Sprachenpolitik und deren Einfluss auf Machtverhältnisse zwischen Sprachen

      Der verfassungsmäßige Status einer Sprache hat einen Einfluss darauf, in welchen Situationen eine Sprache benutzt wird und welche Einstellungen die Bürger und Bürgerinnen eines Landes zu dieser Sprache haben. Daneben spiegelt er nicht immer die tatsächliche Sprachensituation wider. Sogar Staaten, die sich als absolut einsprachig bezeichnen, müssen sich mit der Frage nach dem Umgang mit Minderheitensprachen in der Bildung, in der öffentlichen Verwaltung und in den kulturellen Domänen auseinandersetzen, um mögliche Sprachenkonflikte zu lösen oder ihnen vorzubeugen. Die Aufteilung von Staaten in verfassungsmäßig einsprachige oder mehrsprachige Gemeinschaftsordnungen ist daher wenig relevant für unsere Analyse des Vorkommens von Mehrsprachigkeit und für den tatsächlichen (nicht den beschriebenen) Umgang der Staaten mit diesem Umstand. Unsere Analyse beruht darauf, welche Formen die Machtverhältnisse zwischen Sprachen in mehrsprachigen Gesellschaften annehmen, und wie die Staaten auf diese Verhältnisse reagieren, ungeachtet dessen, ob die Staaten offiziell ein- oder mehrsprachig sind.

      Wenn wir nun die Machtverhältnisse betrachten, unterscheiden wir zwischen mehreren Arten mehrsprachiger Muster. Eines davon beinhaltet Situationen, in denen zwei oder drei Sprachen mehr oder weniger friedlich nebeneinander koexistieren, wie die offiziellen Sprachen in der Schweiz und in Belgien. Zu demselben Muster zählen wir auch die Situationen, in denen zwei oder mehr Sprachen nebeneinander koexistieren, aber doch in Konkurrenz treten, allerdings ohne um ihr Überleben zu kämpfen. Dies ist beispielsweise beim Englischen und Französischen in Kanada der Fall. Hier sind die betroffenen Sprachen nicht vom Aussterben bedroht und ihre Sprecher und Sprecherinnen gehören nicht zur Kategorie der Sprachminderheiten.

      In anderen Fällen geht es um Situationen, in denen eine der Weltsprachen, zum Beispiel die ehemalige Kolonialsprache oder Englisch, die keine Erstsprache innerhalb des Staates darstellt, als Kolonialsprache fortbesteht. Im Falle von Englisch spricht man hier häufig vom Englischen als associate official, also als angegliederte Amtssprache, wie es in Indien der Fall ist (vergleiche Spolsky 2004: 173). In diesem Fall ist es ebenfalls so, dass diese Sprache keinen politischen Druck ausübt und deshalb keine große Gefahr für den Erhalt der Mehrsprachigkeit darstellt. Die Dominanz solcher Sprachen, wie im Falle Indiens, ist zum Beispiel auf die Wirtschaft beschränkt (oder sie wird als eine Instanz des globalen sprachlichen Imperialismus klassifiziert) und wird kaum die linguistic human rights bedrohen. Die einstige Kolonialsprache spielt aber aufgrund ihrer zahlreichen Sprecher und Sprecherinnen, wegen ihres offiziellen Status und sozialen Prestiges, immer noch eine wichtige Rolle. Mehrsprachige Leitlinien dieser Staaten berücksichtigen die Position ehemaliger Kolonialsprachen sowohl in der Sprachenpolitik, als auch im politischen Diskurs und deshalb ist die neue Mehrheitssprache weniger stark, als sie trotz ihres offiziellen Status erscheinen mag. Kasachstan und Kirgisistan, in denen Russisch immer noch eine Amtssprache ist und unter anderem in Bildung und Medien weit verbreitet ist, sind dafür typische Beispiele.

      Es gibt noch eine weitere Situation, in der es um die Interaktion zwischen Lokalsprachen (oder einer Lokalsprache) und einer Handelssprache geht: Sie kann heute fast ausnahmslos in jedem Teil der Welt beobachtet werden, wo Englisch unter anderem für geschäftliche Zwecke, in einigen Medien, bei sozialen Ereignissen und in bestimmten Bildungseinrichtungen verwendet wird. Die Frage, ob die Position der englischen Sprache in solchen Situationen guten oder schlechten Einfluss auf die Sprachenvielfalt in der entsprechenden Umgebung nehmen kann, ist nicht leicht zu beantworten.

      1.3.3 Von der territorialen Einsprachigkeit hin zur Mehrsprachigkeit

      Als nationalstaatliche Vorstellungen im Europa des 18. Jahrhunderts aufkommen, wird Sprache zumeist als Marker der nationalen Identität angesehen (vergleiche auch Lerneinheit 1.2). Zu späteren Zeitpunkten wird diese Vorstellung sogar noch stärker, als sich Nationalstaaten herausbilden. Neben anderen Mitteln nutzen Nationalstaaten die Sprachen, um ihre Existenz aufzuwerten und zu legitimieren sowie um verschiedene Gruppen unter einem nationalen Kollektiv zu vereinen. Aus diesem Grund werden Sprachen standardisiert, oder manchmal sogar erfunden, so wie im Falle einiger zentralasiatischer Sprachen in der ehemaligen Sowjetunion, um als Zeichen der Mitgliedschaft zu einer größeren (nationalen) Gruppe zu dienen. Shohamy stellt dazu fest:

      Um seine Existenz zu beschützen, musste der Nationalstaat strikte Regeln, Regulierungen und eine Anzahl symbolischer Marker erfinden, um bei seinen Mitgliedern festzustellen, wer dazugehörte oder nicht. Die erste Vorgabe war „biologischer“ Natur, d.h., man war Deutsch, Spanisch oder Chinesisch, wenn man in den ‚Stamm‘ hineingeboren wurde, oder ‚vom selben Blut war‘. Aber der Nationalstaat suchte kontinuierlich nach zusätzlichen symbolischen Markern als klarere und deutlichere Kennzeichen der Zugehörigkeit. Zu den Markern, die zusätzlich zu den biologischen und physiognomischen Indikatoren genutzt wurden, zählten jene einer gemeinsamen Geschichte, einer gemeinsamen Kultur, gemeinsamer Vorfahren, einer gemeinsamen Religion und […] einer gemeinsamen Sprache. (Shohamy 2006: 26)

      Die Förderung nicht nur der Nationalsprachen, sondern auch ihrer Standardvarietäten war laut Spolsky essenziell für die nationalstaatliche Idee:

      Sowohl die Französische Revolution als auch die deutsche Romantik vertraten eine Auffassung von Nationalismus, dem die Annahme zugrunde lag, dass eine einzige vereinende Sprache die beste Definition und der beste Schutz für die Nationalstaatlichkeit sei. Eine angemessene Nationalsprache auszuwählen und sie von ihren ausländischen Einflüssen zu bereinigen, war eine bedeutende Leistung. (2004: 57)

      Die Tendenz zur Förderung von Standards ist während der Periode zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und auch danach immer noch sehr ausgeprägt. Doch die schwindenden nationalstaatlichen Vorstellungen in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts fördern den Diskurs zur Sprachenvielfalt und zu den sprachlichen Menschenrechten. Internationale politische Organisationen, die zum Ende der Kolonialzeit und des Zweiten Weltkriegs entstehen, legen strikte Regeln zur Sicherung der Menschenrechte fest. Sowohl die jungen postkolonialen Staaten, als auch die Staaten mit einer bereits länger währenden Eigenstaatlichkeit, die traditionsgemäß einsprachige Richtlinien verfolgen, werden unter Druck gesetzt. Letztere werden dafür kritisiert, dass sie keine soliden Mechanismen etabliert haben, um für den Schutz und die Förderung von Minderheitensprachen zu sorgen, um sprachliche und kulturelle Vielfalt zu erhalten und um die Verwendung von Minderheitensprachen im Bildungswesen, am Arbeitsplatz und in den Medien zu fördern. Zusammen mit den internationalen Organisationen übt zu diesem Zeitpunkt auch die Zivilgesellschaft Druck aus, die sich nach dem Scheitern des radikalen Nationalismus im neuen Europa lautstark Gehör verschafft. Junge postkoloniale Staaten sind diesem Druck ebenfalls ausgesetzt, da ihre Sprachenpolitik