als eine Bürde oder eine Gefahr auf. Warum denken Sie, könnte das so sein? Nennen Sie verschiedene Aspekte, die Mehrsprachigkeit als Nachteil erscheinen lassen könnten und machen Sie sich darüber Gedanken, wie man dieser Einstellung entgegenwirken kann.
1.3 Sprachenpolitische Aspekte
Jala Garibova (übersetzt von Simone Lackerbauer) & Svenja Uth
Diese Lerneinheit bietet als Einführung einen breiten Überblick über den Umgang mit Mehrsprachigkeit aus sprachenpolitischer Perspektive. Es geht schwerpunktmäßig um gesellschaftliche und territoriale Mehrsprachigkeit und weniger um individuelle, wobei diese nicht gänzlich von ersterer getrennt werden kann, wie wir in dieser Lerneinheit beispielsweise beim Thema Sprachenrechte erfahren werden. Ausgangspunkt bildet die Überlegung, ob einsprachige Richtlinien überhaupt sinnvoll sind, wenn man bedenkt, dass es fast keine rein einsprachige Gesellschaft gibt. Ebenfalls soll aufgezeigt werden, wie Mehrsprachigkeit von verschiedenen Staaten interpretiert wird und welche Aspekte sprachenpolitische Richtlinien widergeben; wie Sprachenpolitik den Sprachen und ihren Sprechern gerecht wird; inwiefern Mehrsprachigkeit in der Sprachenpolitik zur Sprachwahrung beitragen kann und welche sozialen Herausforderungen Mehrsprachigkeit für die Gesellschaft mit sich bringt. Abschließend gehen wir auf die Bildungspolitik ein und befassen uns kritisch mit der vielerorts wahrgenommenen Gefährdung von Sprachen.
Lernziele
In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie
unterschiedliche Formen gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und den ihnen zugrundliegenden Machtverhältnisse zwischen Sprachen erkennen und zwischen gelebter Mehrsprachigkeit und bildungspolitischen Richtlinien unterscheiden können;
jene Faktoren, die zum erfolgreichen Umgang mit Mehrsprachigkeit geführt haben, erklären können;
Kriterien zur Einstufung der Gefährdung einer Sprache ergründen und benennen können.
1.3.1 Richtungen in der Sprachenpolitik
Obwohl sich einige Staaten per Gesetz als einsprachig erklärt haben, ist klar, dass es praktisch unmöglich ist, irgendwo auf der Welt ein einsprachiges Gemeinwesen zu betreiben, innerhalb dessen nur eine einzige Sprache gesprochen wird und nur Vertreter einer Sprachgruppe leben. In seiner gesellschaftlichen Analyse erwähnt Spolsky (2004) einsprachige Staaten, in denen Minderheiten marginalisiert werden, und solche, in denen sie eine gewisse Anerkennung erfahren.
Einsprachige Sprachenpolitik mit Marginalisierung von Minderheiten
Zu den Ländern mit einer einsprachigen Sprachenpolitik gehören unter anderem die postkolonialen Länder, in denen Minderheiten marginalisiert werden und nun die ehemalige Kolonialsprache oder eine andere Sprache, wie zum Beispiel Englisch den wichtigsten Status innehat (vergleiche Einheit 1.2), was die Verwendung anderer Sprachen in fast allen Bereichen einschränkt. Dies betrifft unter anderem viele afrikanische Länder, in denen die einstige Kolonialsprache zur einzigen Amtssprache in allen formellen Kontexten geworden ist. Dies ist unter anderem in Mosambik, Namibia und Sambia der Fall (vergleiche Banda 2009: 1ff). Auch viele Industrieländer sind per Gesetz einsprachig, so Frankreich, Israel, die Türkei und Japan.
Am Beispiel Namibia lässt sich dieses Phänomen gut veranschaulichen. Namibia besitzt nach der Kolonialzeit bis zur Ausgliederung und Unabhängigkeit von Südafrika im Jahr 1990 drei Amtssprachen: Englisch, Deutsch (die ehemalige Kolonialsprache) und Afrikaans. Nach der Unabhängigkeit entscheidet sich die amtierende Partei dazu, dass der Staat einsprachig werden soll (im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten, wie zum Beispiel dem heutigen Südafrika, wo zur selben Zeit elf Sprachen den offiziellen Status erhielten). Es wird entschieden, dass Englisch die einzige Amtssprache sein solle. Dies ist insofern erstaunlich, wenn berücksichtigt wird, dass zu diesem Zeitpunkt lediglich 2 % der Bevölkerung Englisch als Erstsprache sprechen (Geel 1991) und eine reiche Vielfalt an Sprachen im Großteil der Bevölkerung vertreten ist. Der Grund für dieses Vorgehen bestand vor allem darin, dass Sprache auch zu dieser Zeit bereits als wichtiges identitätsstiftendes Element begriffen wurde. Mit der Maßnahme, Englisch als einzige Amtssprache akzeptieren, sollte die Bildung einer Nation vorangetrieben werden. Dabei wurden die verschiedenen Erstsprachen ausgeblendet, in der Hoffnung die Bevölkerung gebe so die Identitäten auf, die damit verbunden waren. Ein Zitat seitens der Nationalversammlung über die damals geführte Debatte lautet:
So, the English language we are talking about is a language which is neutral enough to bring us together. It can facilitate communication between all of us and also internationally. (Debates of the National Assembly 1992: 47)
Einsprachige Sprachenpolitik mit Anerkennung von Minderheiten
Dem zweiten Typ einsprachiger Länder, die Spolsky als einsprachig mit anerkannten Minderheiten bezeichnet, gehören viele der postsowjetischen, mehrere südamerikanische, einige europäische und viele afrikanische Staaten an. In diesen Staaten erkennt die Verfassung entweder einen gewissen Status einer oder mehrerer Minderheitensprache(n) an oder sieht die Wahrung der Rechte anerkannter Minderheiten vor. Einige Länder führen mehr als eine Sprache in ihrer Verfassung auf, so dass sie offiziell zu den mehrsprachigen Gesellschaftsordnungen zählen (vergleiche den Abschnitt zu einsprachigen Staaten mit Minderheitsregionen und mehrsprachigen Staaten mit Territorialprinzip in Lerneinheit 1.2). Dazu gehören viele Länder wie Kanada, Singapur, Spanien, Kirgisistan und die Schweiz, um nur ein paar zu nennen.
Dies soll nun kurz am Beispiel Spaniens unter die Lupe genommen werden. In Spanien werden derzeit vier Amtssprachen aufgeführt: Kastilisch (auch als Spanisch bezeichnet), Katalanisch, Galizisch und Baskisch. Aber auch hier war die Mehrsprachigkeit nicht immer selbstverständlich, denn vor allem unter der Diktatur Francos gab es ein Streben nach Einsprachigkeit. Die zentralistische Sprachenpolitik verbot die Mehrsprachigkeit, indem im offiziellen Gebrauch nur Kastilisch erlaubt wurde, alle weiteren Sprachen sind verboten worden. Die Umsetzung dieses Gesetzes traf vor allem Institutionen wie Schule, Radio, Zeitung, Behörden etc. Doch die Bevölkerung hielt an ihren Sprachen fest und so wurden die Gesetze nach Franco wieder rückgängig gemacht, womit die sprachliche Vielfalt Spaniens offiziell anerkannt wurde. Heute ist ein Großteil der spanischen Bevölkerung mehrsprachig und es wird neben dem Kastilischen auch die jeweilige Regionalsprache als Amtssprache zugelassen (Siguán 2001: 233).
Sprachenpolitische Richtlinien
Für den sprachenpolitischen Umgang mit Mehrsprachigkeit existieren zwei Hauptrichtlinien. Die erste wäre linguistic human rights (LHR) und die Empfehlungen zu reversing language shifts (RLS)reversing language shifts (RLS).
Skutnabb-Kangas definiert linguistic human rights als die Kombination aus language rights ‚Sprachenrechte’ (LR) und human rights ‚Menschenrechte’ (HR).
LHRs sind all jene (und nur jene) LRs, die erstens dafür notwendig sind, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden und dass sie würdevoll leben können und die zweitens so grundlegend, so fundamental sind, dass kein Staat (oder Individuum oder Gruppe) sie verletzen sollte. (Skutnabb-Kangas 2006: 272)
Deshalb sind nicht alle Sprachenrechte auch Menschenrechte. Sprachenrechte sind umfassender und können über die grundlegenden Menschenrechte hinausgehen. Sobald ein Sprachenrecht in Verbindung mit der Befriedigung eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses steht, zählt es zu den linguistic human rights. Dazu zählen unter anderem, aber nicht nur, das Recht auf Bildung in der oder über die Erstsprache, der Zugriff auf Ressourcen in der Erstsprache, der Ausdruck der eigenen ethnischen Identität über Sprache, der Zugriff auf legale, soziale und soziokulturelle Dienstleitungen in der eigenen Sprache, der Schutz vor aufgezwungener Assimilation der Sprache etc. Linguistic human rights wurden insbesondere, seitdem Sprachenrechte als Teil der Menschenrechte in die entsprechenden Dokumente von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Europäischen Gemeinschaft aufgenommen wurden, zum Dreh- und Angelpunkt politischer Richtlinien.
Der andere wichtige Faktor in den gegenwärtigen sprachenpolitischen Richtlinien