zu Cocteau: „[N]os rapports à l’égard de Genet étaient très différents; moi je l’encourageais à être seul, comme j’étais, seul; je ne veux pas dire abandonné de tous, mais ne cherchant aucun parrain pour entrer dans la littérature, alors que Cocteau l’aurait volontiers parrainé.“3 Die Beziehung zwischen Genet und Sartre ist durch einen gegenseitigen geistigen Austausch über Literatur und Kunst geprägt, wie White betont: „They shared an interest in all literary forms (theatre, cinema, fiction), although Sartre was no poet and Genet no biographer.“4 Von diesem offenen Dialog zeugen beispielsweise auch die gegenseitigen Textwidmungen sowie der Schriftwechsel über die Konzeption der Homosexualität, eine Frage, die Sartre in besonderem Maße faszinierte.5 Der intensive Austausch zwischen Sartre und Genet ist in jener historischen Phase zwischen 1945 und 1956 zu situieren, die mit Annie Cohen-Solal als die „années Sartre“ zu bezeichnen sind, in welcher der Philosoph sein Konzept des literarischen Engagements ausarbeitet.6 Er kulminiert in Sartres monumentaler, existentialistisch-psychoanalytischer Biographie Saint Genet, comédien et martyr7, die von Sartres Interesse an Genets Leben und Persönlichkeit Zeugnis ablegt und für die weitere Beziehung ein richtungsweisendes Fundament darstellt. Sartre erinnert sich, dass Genet selbst ihn um ein Vorwort zur in Planung befindlichen Gesamtausgabe seiner Werke bei Gallimard bat.8 Ursprünglich als Vorwort gedacht, bildet sie schließlich den ersten Band der Gesamtausgabe und übersteigt mit ihren rund 600 Seiten die Leseerwartungen eines Vorwortes. Sartre interpretiert Genets negative Reaktion auf das Werk als Effekt eines Spiegels, der ihn auf sich selbst zurückgeworfen habe:
[Q]uand j’ai eu fini, je lui ai donné le manuscrit, il l’a lu, et une nuit, il s’est levé, il est allé jusqu’à une cheminée et il a pensé le jeter au feu. Je crois même qu’il a jeté des feuilles et qu’il les a reprises. Ça le dégoûtait parce qu’il se sentait bien tel que je l’avais décrit.9
Sartres Biographie, „objet bâtard, obèse, énorme, monstrueux“10, wie Cohen-Solal affirmiert, beschließt eine Kanonisierung des Werks und erhebt Genet zum Protagonisten seiner existentialistischen Philosophie: „Et Jean Genet sera enfermé, entre ces pages, dans le rôle du plus sartrien des personnages sartriens, du héros sartrien par excellence.“11 Genet selbst betont die sterilisierende Wirkung des Werks in einem 1964 entstandenen Interview mit Madelaine Gobeil:12 „[J’]ai mis un certain temps à m’en remettre. J’ai été presque incapable de continuer d’écrire. […] Le livre de Sartre a créé un vide qui a permis une espèce de détérioration psychologique.“13 Tatsächlich erkalten die Beziehungen zwischen Sartre und Genet im Folgenden. Zu einem späteren Zeitpunkt bestreitet Genet, das Buch jemals bis zum Ende gelesen zu haben, da es ihn langweile.14 Auch Genets Wertschätzung für den Philosophen bleibt zwiespältig, wie sich bereits im Interview von 1964 zeigt: „Sartre se répète. Il a eu quelques grandes idées et les a exploitées sous diverses formes. En le lisant, je vais souvent plus vite que lui.“15 Hier jedoch zollt er Sartre eine gewisse Sympathie und Anerkennung, indem er betont: „J’aime Sartre parce qu’il est drôle, amusant, et qu’il comprend tout.“16 Das hier nur implizit zu Tage tretende Konkurrenzverhältnis erstarkt in den Jahren des politischen Engagements und insbesondere durch den Dissens in Hinblick auf den Nahost-Konflikt, welcher, wie Winock herausstellt, das linke Lager mehr als jede andere Krise in Frankreich spaltete.17 So erinnert sich auch Edward Said, dass nicht so sehr Sartres monumentale Biographie Unfrieden gestiftet habe, die Genet mit den ironischen Worten kommentiert habe: „If the guy wanted to make a saint of me, that’s fine.“18 Vielmehr sei es aufgrund der pro-israelischen Haltung Sartres zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen, wie die Wiedergabe des nachfolgenden Zitates von Genet belegen soll: „He’s [Sartre, S.I.] a bit of a coward for fear that his friends in Paris might accuse him of anti-Semitism if he ever said anything in support of Palestinian rights.“19 Möglicherweise ist das Spannungsverhältnis auch darauf zurückzuführen, dass Genet, so White, seinen politischen Aktivismus an Sartres Modell ausrichtete: „Although he [Genet, S.I.] did not turn actively to politics until the late 1960s, he certainly modelled his political activism on Sartre’s.“20 Dabei erscheint vor allem Genets Negation seines eigenen Status als Intellektueller bemerkenswert und es muss hinterfragt werden, inwieweit sich diese gegen Sartres Modell richtet. Die Distinktion zwischen der Rolle des Poeten und des Philosophen beschäftigt Genet bereits zum Zeitpunkt der Publikation von Saint Genet, comédien et martyr, wie Sartre in seinen Erinnerungen evoziert: „Il [Genet, S.I.] se prenait pour le poète et me prenait pour le philosophe et il a beaucoup usé de cette distinction qui n’était pas dite, mais on la sentait; il disait des choses sur le poète, il disait des choses sur le philosophe […].“21 Während der Phase seines politischen Aktivismus beansprucht Genet dann den Status des Poeten in Abgrenzung zur Funktion des Intellektuellen.
In Genets Verständnis bedeutet ‚Poet‘, wie Alexandre Romanès betont, neben der religiös-ethischen Figur des Heiligen, des saint, die höchste Auszeichnung, welche Genet wenigen Auserwählten – beispielsweise Albert Einstein – zuteilwerden ließ.22 Etymologisch aus dem Griechischen stammend bezeichnet poïétès den Schöpfer bzw. Erfinder. Bei Aristoteles wird seine Aufgabe von der des Geschichtsschreibers unterschieden, insofern letzterer in seinem in Prosa verfassten Geschichtswerk das wirklich Geschehene mitteilt, wohingegen der Dichter in Versform kommuniziert, was geschehen könnte.23 Darüber hinaus grenzt er mit seinen Werken zur Poetik und Rhetorik die Dichtkunst und die Redekunst gegeneinander ab und wendet sich mit seiner Poetik gegen Platons Verurteilung der Dichtung, wie dieser sie insbesondere im zehnten Buch seiner Ausführungen über den Staat verlautbart.24 Über gattungsspezifische Kontrastierungen hinaus begründet Platon seine Vorstellung einer traditionellen Feindschaft zwischen Philosophie bzw. Wissenschaft und Poesie, jenes „alte[n] Streit[s] zwischen Philosophie und Dichtung“25 unter Rekurs auf die ästhetischen und gesellschaftspolitischen Ansprüche beider Disziplinen. Während der Philosoph die Wahrheit sucht und Ideenkonzepte bildet, schafft der Poet entsprechend der platonischen Ideenlehre nur Illusionen und Trugbilder, indem er nämlich stets nur das Abbild eines Abbildes hervorbringt. Auf dieser Logik wird eine dichotome Struktur begründet, innerhalb welcher sich Wahrheit und Imagination bzw. Täuschung, Vernunft und Emotion, Wesenhaftigkeit und Abbilder einander gegenüberstehen. Platon fundiert in Ion und Politeia seine Vorstellung des Dichters als „inspiré des dieux, et donc en tant que tel, porteur d’images incontrôlables, sources des mouvements passionnels violents“26 und „fauteurs de désordre potentiels“27, den es aus seinem Idealstaat zu vertreiben oder zumindest durch die Philosophen zu kontrollieren gilt. Genets bewusste Anknüpfung an die Funktion des Poeten und nicht des Philosophen oder Intellektuellen entpflichtet ihn von jener gesellschaftspolitischen Verantwortung, die mit dieser Rolle traditionell verbunden ist, und distanziert ihn von Sartres Modell des literarischen Engagements. Bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung jenes Konzeptes in Qu’est-ce que la littérature?28 zeichnet sich ab, dass Sartre sein Verständnis von Kommunikation als sprachlich realisierte Beziehung zum Anderen durch den gattungsspezifischen Kontrast zwischen Prosa und Poesie kennzeichnet. Die Möglichkeit eines poetischen Engagements schließt er aus.29 Ziel des engagierten Autors nach Sartre ist die Enthüllung der Welt und des Menschen, um den Prozess der Bewusstwerdung und die Übernahme der Verantwortung des Individuums in der Gesellschaft voranzutreiben: „[L’]écrivain a choisi de dévoiler le monde et singulièrement l’homme aux autres hommes pour que ceux-ci prennent en face de l’objet ainsi mis à nu leur entière responsabilité.“30 Dieser enthüllenden Funktion von Literatur und Sprache stellt er die autoreferentiellen Literatur- und Kunstformen gegenüber, zu denen für ihn die Poesie zählt. Sartre klassifiziert die Poesie als negative Kunstform, insofern sie niemals Teil einer Aktion sei, sondern sich selbst genüge. Daraus resultiert seine Kritik an der gesellschaftlichen Abgeschiedenheit und Einsamkeit des Dichters, welche durch jene negativen Charakteristika der Nichtmitteilung und des Narzissmus determiniert werden, die Sartre der Lyrik auch noch Mitte der 1960er Jahre attestiert.31 Nur die Prosa werde durch ihre Öffnung zur Gesellschaft hin jenem ethischen Imperativ gerecht, den Sartre in seiner Kongruenz zu dem von ihm erhobenen ästhetischen bzw. prosaischen Imperativ als Grundlage des literarischen Engagements versteht. Benoît Denis definiert den engagierten Autor in diesem Verständnis zu Recht als „celui qui a pris, explicitement, une série d’engagements par rapport à la collectivité, qui s’est en quelque sorte lié à elle par une promesse et qui joue dans cette