und Schreibens gefördert werden können, zeigen Manuela Böhm und Ulrich Mehlem anhand des pädagogischen Praxisprojekts AlphAlif (Kap. 10). Im Zentrum ihrer Darstellung steht die Beschreibung der didaktisch-methodischen Hilfsmittel zur basalen Leseförderung, die im Projekt entwickelt wurden. Außerdem zeigen und diskutieren sie anhand von Auszügen aus zweisprachigen Bilderbüchern, wie wichtig der Einbezug der Herkunftssprache Arabisch bei der Wortschatzarbeit und dem Vorlesen ist.
Im letzten Kapitel dieses Studienbuches wird gewissermaßen als Ausblick ein nochmals ganz anderer Aspekt der Leseförderung beleuchtet. Nadja Kerschhofer-Puhalo diskutiert dort Gegenstand, Ziele und Potenziale des Konzepts einer multiliteralitätsorientierten Leseförderung, bei der neben der Mehrsprachigkeit auch Multimodalität und Multimedialität als wichtige Ressourcen für die Leseförderpraxis angesehen werden (Kap. 11). Anhand eines Unterrichtsbeispiels konkretisiert sie, wie Schüler/innen ihr gesamtes multimodales und mehrsprachiges Repertoire beim Verfassen und gegenseitigem Lesen von Büchern aktivieren und so im Sinne dieses erweiterten Konzepts gefördert werden können. Abschließend stellt sie ein Modell vor, das zum einen dabei hilft, die multimodale Gestaltung von Alltagstexten zu beschreiben, und zum anderen für die lesedidaktische Aufbereitung multimodaler Texte verwendet werden kann.
Das vorliegende Studienbuch wendet sich an Hochschuldozierende und Lehramtsstudierende der Primar- und Sekundarstufe sowie an Ausbildner/innen an Seminaren, Referendar/innen und Lehrkräfte. Die einzelnen Kapitel können in Lehrveranstaltungen an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen sowie in Seminaren im Rahmen des Referendariats in den Fächern Anglistik, Deutsch, Deutsch als Fremd-/Zweitsprache sowie Mehrsprachigkeitsdidaktik zu den Themen Leseförderung, Mehrsprachigkeitsdidaktik und Herkunftssprachendidaktik eingesetzt werden. Wir möchten alle hier angesprochenen Leser/innen dazu einladen, Leseförderung als ein gemeinsames schulisches Handlungsfeld zu betrachten, das einer die Fächer und Sprachen übergreifenden Förderpraxis bedarf.
Kapitel 1 Leseförderung im Kontext der Mehrsprachigkeit aus der Perspektive der Deutschdidaktik
Cornelia Rosebrock
Fragen
1 Welche Leseförderverfahren gibt es, und welche sind für welche Schüler/innen wirksam?
2 Brauchen wir im Deutschunterricht eigene Verfahren der Leseförderung für die mehrsprachig Heranwachsenden, oder profitieren sie von den gleichen Verfahren wie ihre ebenfalls schwach lesenden einsprachigen Mitschüler/innen?
3 Kann im Rahmen des landessprachlichen Unterrichts – also des Deutschunterrichts – Mehrsprachigkeit als lesedidaktische Chance modelliert und nutzbar gemacht werden, und wie kann das ggf. geschehen?
Abstract
In diesem Kapitel werden Ihnen zunächst unterschiedliche Verfahren der Leseförderung im Rahmen des landessprachlichen Unterrichts, also des Deutschunterrichts, unter besonderer Berücksichtigung leseschwacher Schüler/innen vorgestellt. Dabei wird grundsätzlich unterschieden zwischen buchorientierten Verfahren, die eigenständiges Lesen fordern, Strategievermittlung zur Förderung des Textverstehes und Lesetrainings zur Entwicklung hierarchieniedriger Teilleistungen des Lesens. Vielleseverfahren und Lautleseverfahren werden als Förderroutinen detaillierter dargestellt und es werden Studien skizziert, die die Wirksamkeit dieser Verfahren zur Verbesserung der Lese-Prozessleistungen evaluiert haben. Dabei wird sichtbar, dass das enger geleitete Training wirksam ist im Blick auf die Verbesserung der Leseflüssigkeit und der Textverstehensleistungen, und zwar im etwa gleichen Ausmaß für einsprachige wie für mehrsprachige schwache Leser/innen. Das Kapitel schließt mit offenen Fragen zu diesem Themenkomplex.
Einleitung
Schüler/innen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch sind bekanntlich keine homogene Gruppe. Aus den vielfältigen Profilen individueller Mehrsprachigkeit stehen für die Frage nach Leseförderung im Rahmen des Deutschunterrichts diejenigen Heranwachsenden im Mittelpunkt, die zu schwache Leseleistungen zeigen, um eine erfolgreiche Schulkarriere zu durchlaufen. Für schwache Leseleistungen ist eine andere Familiensprache statistisch gesehen ein ursächlicher Faktor, allerdings nur einer unter mehreren: Die Schulleistungsstudien zeigen immer wieder, dass auch die sozioökonomische Herkunft, das elterliche Bildungsniveau und weitere Merkmale dabei eine bedeutende Rolle spielen. Diese Faktoren treten häufig gemeinsam auf und verstärken einander. Die mangelnden Leistungen beim Textverstehen – auch das ist vielfach belegt – führen für die betroffenen Schüler/innen zu Risiken im Bildungsverlauf und in der Folge für die gesellschaftliche Teilhabe im Erwachsenenleben. Dabei ist die Gruppe von Schüler/innen, deren Leseleistungen trotz Schulbesuch unzureichend bleibt, nicht klein: Grob kann man von einem Fünftel der Altersjahrgänge sprechen. Kinder und Jugendliche mit einer anderen Familiensprache als Deutsch sind in dieser Gruppe überproportional vertreten (OECD 2016).
Im Hinblick auf Mehrsprachigkeit und Leseförderung im Deutschunterricht stehen also zwei voneinander kaum zu trennende Gruppen im Vordergrund: Einmal die Kinder und Jugendlichen, die mit einer anderen Familiensprache als Deutsch sozialisiert werden, so dass die Landessprache für sie eine zusätzliche Sprache darstellt. Zum anderen die zu schwachen Leser/innen unter der Schülerschaft, für die Leseförderung ebenso geboten ist. Denn auch für die muttersprachlich deutschen schwachen Leser/innen ist die Schulsprache meist in gewisser Hinsicht fremd – als Bildungssprache enthält sie Begriffe und grammatische Fügungen, die in den außerschulischen Interaktionen dieser Kinder und Jugendlichen kaum in Erscheinung treten (Feilke 2017).
Im Folgenden werden zunächst die praktizierten Verfahren des Deutschunterrichts zur Leseförderung vorgestellt. Anschließend werden zwei Förderroutinen, die Potenziale für mehrsprachige bzw. schwache Leser/innen zeigen, diskutiert, nämlich Vielleseverfahren und Lautleseverfahren. Sie werden auf ihre Wirksamkeit zur Verbesserung der Lese-Prozessleistungen hin befragt und im Blick auf die Potenziale für mehrsprachige schwache Leser/innen diskutiert. Nach einem Fazit wird dargestellt, welche offenen Forschungsfragen im Feld der Leseförderung für Mehrsprachige im Rahmen des landessprachlichen Unterrichts bestehen.
1. „Lesen lernt man durch Lesen“ – buchorientierte Verfahren
Das literarische Lesen steht traditionell bei der Leseförderung im Deutschunterricht in allen Altersstufen im Zentrum. Literarische Lektüre eröffnet, so erhofft man sich, Teilhabe an Kultur und Geschichte der Sprachgemeinschaft; sie unterstützt die Ausbildung einer eigenen Persönlichkeit, fördert die Imaginationsfähigkeit und die Bereitschaft, fremde Perspektiven einzunehmen, und schließlich übt sie auch Lesefertigkeiten ein. Literarische Lektüre sollte entsprechend nicht nur im eigentlichen Literaturunterricht geschehen, sondern auch in leseanimierenden Projekten, dann oft mit weniger anspruchsvollen Texten als beim zielorientierten literarischen Lernen. Solche Leseanimationen sind gleichsam am Rande des Literaturunterrichts angesiedelt, beispielsweise in Form von Büchernächten, Autorenlesungen, Buchvorstellungen, Bibliothekskontakten und Ähnlichem. In leseanimierenden Projekten wird zwar nicht unmittelbar gelesen, aber doch zum Lesen verlockt – ihnen geht es besonders um Lesefreude, um die Motivation und Bereitschaft, literarisches Lesen als persönlichen Modus des In-der-Welt-Seins, als Erfahrungspotenzial zu entdecken, das in die eigenen Lebensvollzüge habituell integriert werden kann (Bertschi-Kaufmann 2016). Stilles Lesen ganzer Bücher gilt schließlich als eine der effektivsten Praktiken zur Unterstützung des Zweitspracherwerbs (Ockey/Reutzel 2010; Neuland/Peschel 2017), Kinder- und Jugendbücher sind wegen ihrer niedrigen Textkomplexität und ihrer thematischen Lebensweltnähe das ideale Medium dafür. Leseförderung durch eine Steigerung der Lesemenge folgt dem Gedanken „Lesen lernt man durch lesen“ (vgl. Manning/Lewis/Lewis 2010). Denn flüssiges Dekodieren ist auf Übung angewiesen, Leseverstehen darüber hinaus auf Welt- und Textwissen: Beides wird durch viel Lektürepraxis erworben.
Allerdings tun sich gerade schwache Leser/innen schwer mit einem Unterricht, der auf diese Verfahren setzt und entsprechend offen angelegt ist. Sie tendieren dazu, den Lektüreprozess selbst zu meiden. Um dem entgegenzuwirken, kann die Lektüre in die Unterrichtszeit verlegt werden oder das regelmäßige Lesen von Kinder- und Jugendbüchern wird über eine längere Zeit hinweg verordnet. Dann wird es mit Anreizen oder Sanktionen versehen,