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Theater und Ethnologie


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als eine homogene Gruppe zusammenzufassen, ihre bio- als auch ethnographischen Unterschiede zu nivellieren und eine Projektionsfläche herzustellen, die für Semantisierungen jeglicher Art herangezogen werden kann.17

      Die Bezeichnung der Fremden als ‚Zigeuner‘ ist somit weniger eine Definition, sondern nachgerade das Gegenteil davon. Aus diesem Grund soll ‚Zigeuner‘ im Folgenden als Maske und noch spezifischer, als Figuration des Fremden verstanden werden.18 Die Ausbildung einer Figuration, die Maskierung des Fremden ist indes nicht nur ein literarisches und fiktionales Verfahren, das sich auf schriftliche Quellen und Diskurse stützt, sondern ein originär theatrales, dessen Mechanismen und Rahmenbedingungen erst in einer Aufführung so recht zum Tragen kommen. Dies erlaubt, die diskursanalytischen Befunde durch aufführungsanalytische Überlegungen zu erweitern und mit anderen Masken des Fremden und deren Aufführungen zu vergleichen. Ein weiterer Vorteil dieses methodischen Transfers liegt darin, dass durch die Prämisse der Ritual- und Performancetheorie auch der darunter liegende Körper einen Eigenwert – als widerständiger Träger und virtuoser Performer – zugestanden bekommt und in den Mittelpunkt der Analyse rückt. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Rom-Völkern wird hierdurch nicht nur als ein Dialog über In- und Exklusion verstanden, sondern als eine triadische Verhandlung von Identitäten, wodurch die Differenz zwischen der Figuration, den Angehörigen der Rom-Völker und den urbanen, zentraleuropäischen Subjekten – zwischen Maske, Performer und Rezipient – herausgearbeitet werden kann. Eine derartige methodische Volte erlaubt auch, an jene postkolonialen Theorien anzuschließen, die der Essentialisierung von Eigen und Fremd eine Praxis der Hybridisierung gegenüberstellen, ohne indes diese grundlegende Unterscheidung vollends aufzugeben. Und sie betont den Stellenwert des Theaters und allgemeiner der Kunst, die eben jenen Raum der Hybridität paradigmatisch herzustellen vermögen: „Wer sich in ihm aufhält, der überschreitet die Fremdheit in Richtung einer Alterität, in der die kulturelle Differenz zugleich transzendiert wird.“19

      II. Alterität als Maske

      Dass das Fremde ein zentraler Bestandteil der eigenen Kultur, ja ein notwendiger Widerpart des jeweiligen Subjekt-Denkens sein muss, ist mehrfach als grundlegender anthropologischer Mechanismus analysiert worden: „Das Selbe läßt sich nur fassen und bestimmen im Verhältnis zum Anderen, zur Vielfalt der anderen. Wenn das Selbe in sich verschlossen bleibt, ist kein Denken möglich. Und hinzuzufügen ist: auch keine Zivilisation“1, konstatiert Jean-Pierre Vernant, der vornehmlich die Religion und Gesellschaft der griechischen Antike analysiert hat. Doch auch François Jullien, dessen Interesse vor allem der chinesischen Philosophie und Ästhetik gilt, betont die Wichtigkeit eines fremden Anderen, zu dem sich die eigene Kultur in einem Abstand befindet. Ohne diese Prämisse müsste von einer ersten, gemeinsamen, ubiquitären Kultur ausgegangen werden, „von der die verschiedenen Kulturen dieser Welt, im Plural, bloße Variationen wären.“2 Nicht nur für Jullien führte dies letztlich zu einer unzulässigen und unbrauchbaren Essentialisierung des Kulturbegriffs. Alterität ist indes nicht nur für die Definition und das Wissen um eine Gesellschaft von Nöten, sondern eröffnet dem Subjekt auf basaler Ebene die Reflexion seinesgleichen: „Mit dem anderen, dem Fremden leben,“ so Julia Kristeva, ebenfalls eine Wanderin zwischen den Kulturen, die bereits vor einiger Zeit vor dem Verschwinden des Fremden warnte, „konfrontiert uns mit der Frage, ob es möglich ist, ein anderer zu sein.“ Erst diese Frage erlaubt jedwege Selbstreflexion, was genaugenommen heißt, „sich als ein anderer zu sich selbst zu denken.“3

      Jede Gesellschaft, die ihre Identität sichern und erhalten, aber auch jedes Subjekt, das als seiner selbst bewusst gelten will, muss das Fremde anerkennen und verhandeln können. Da es indes weder bestimmte Regeln zur Ableitung eines Sinnes noch ein bekanntes Schema für Handlungs- respektive Interaktionsformen mit dem Fremden gibt,4 stellt sich die Frage, wie sich mit dem Fremden umgehen lässt. Die Anthropologie bringt hierbei die Maske ins Spiel – genaugenommen definiert sie die Maske und den dazugehörigen Ritus geradewegs als jenen Vorgang, vermittels welchen das Fremde konkretisiert wird. „Die Maske ist die Hypothese einer Existenzform des Anderen“5, schreibt Richard Weihe, und ihre leere Form, so lässt sich weiter folgern, provoziert nachgerade eine imaginäre Besetzung. Die Maske gehört nach derzeitigem Kenntnisstand wohl zu den ältesten Techniken, die der Konstitution einer menschlichen Gesellschaft, einer Kultur, zuarbeiteten, indem sie deren Grenze erkennbar macht. Sie ist ein „notwendiges anthropologisches Dispositiv“6, dessen Mechanismus sich verkürzt wie folgt umreißen lässt: Die Maske verfremdet. Zugleich bietet sie aufgrund ihrer Fiktionalität die Möglichkeit, das Irreale, Fremde und Unbekannte auf einen realen Körper zu applizieren und in die Lebenswelt einzuspeisen. Indem das Fremde konkret figuriert wird und qua Aufführung ein Verhalten gegenüber und mit dieser Maske eingeübt wird, lässt sich durch das Fremde lernen und ein Wissen um das Eigene als auch das Andere generieren. Somit sorgt sie zugleich für die Begrenzung wie die Entgrenzung des menschlichen Subjekts und führt zu einem Prozess der Differenzierung, der gemeinhin in einer Gesellschaft mündet.

      Jean-Pierre Vernant nennt Gorgo, Artemis und Dionysos und die damit einhergehenden Riten als Beispiel für antike Masken, die der Konturierung des Eigenen und der Abgrenzung einer Zivilisation gegenüber dem Wilden, Unbekannten dienen. Seine Überlegungen lassen sich aber auch ohne weiteres auf jüngere Zeitalter und ihre Gesellschaften übertragen: Teufel, Hexen, aber auch Hellequin mit seinem wilden Heer fungieren ebenso wie Schäfer und andere fabelhafte Bewohner Arkadiens als Masken,7 wobei eine jede für einen spezifischen Typus der Alterität steht. Die Fremdheit, die hierbei in einer ganz bestimmten Form, einem spezifischen Ritual zur Aufführung gelangt, ist ebenso wenig eine universale Chiffre wie die Kultur und Gesellschaft, in welche das Fremde integriert wird. Die gänzlich unterschiedlichen, orts- und zeitgebundenen Rituale, aber auch die Masken, die sich im Hinblick auf ihre Gestalt wie auf ihre Aufführung deutlich voneinander unterscheiden, legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Jede Gesellschaft hat ihr eigenes Fremdes, das figuriert werden muss.

      Hinter all diesen Masken verbirgt sich gleichsam etwas, das unbekannt ist, das sich nur schlecht qua Logos, in Schrift und Sprache, und ebenso wenig auf anderen bildlichen oder akustischen Trägern äußern kann, schlicht, weil es kein Vokabular oder anderweitige Vorlagen für seine Repräsentation gibt. Peggy Phelan hat den Terminus „unmarkiert“ für derartige Phänomene vorgeschlagen,8 einen Terminus, welcher der Maske in ihrer Auffälligkeit nur vordergründig widerspricht, sondern vielmehr ihre negative, bergende Form und ihre Gebundenheit an eine Aufführung in den Fokus rückt. Das, was unbekannt hinter der Oberfläche ruht, erhält nur über die Maske und ihre Aufführung Kontur.9 Erst darüber kann sich das Unmarkierte und Unbekannte einen Wert verschaffen. Die Masken des Fremden erweisen sich ganz in Phelans Sinne als ein Negativ, welches im Rahmen einer Aufführung entwickelt werden muss.

      Die unterschiedlichen Figurationen des Fremden gehen auf jeweils ältere, und fallweise nicht europäische Kulturen zurück und erweisen sich solchermaßen stets als Migranten in eine jüngere Kultur. Die rund um sie entwickelten Riten eröffnen eine Möglichkeit, das Andere in die Gesellschaft zu integrieren. Die daran teilhabenden Subjekte wechseln – so die These Vernants, die in Bezug auf jüngere Gesellschaften ein wenig zu adaptieren ist – unter festgelegten Voraussetzungen und für eine bestimmte Zeit auf die Seite des Anderen und werden erst nach dieser Fremderfahrung zu vollwertigen Mitgliedern in der Gesellschaft.10 Das Andere erscheint unter diesen Prämissen nicht nur eine genuin ästhetische, sondern vor allem eine genuin theatrale und performative Kategorie zu sein, die nicht zuletzt die Funktion der Gemeinschaftsstiftung übernimmt, wie insbesondere an den Dionysien, an den mittelalterlichen Fastnachts- und Karnevalsspielen und selbst noch am Beispiel barocker Maskeraden verfolgt werden kann.

      Die Quellen, die uns über das Auftauchen der Rom-Völker in Europa informieren, zeigen deutlich, wie diese relativ fremden Menschen der Rom-Völker zum Ausgangspunkt für die diskursive Herstellung einer neuen Maske der radikalen Alterität werden,11 die, besonders langlebig und nachhaltig, bis zum heutigen Tage wirksam ist. Auch wenn in den Schriften die Bemühungen um eine Historisierung, Genealogisierung und geographische Verortung dieser Menschen aufscheinen, so arbeiten die Texte über die Rom-Völker primär der Herstellung einer Maske zu, die recht besehen nichts mit den durch Europa ziehenden Menschen und ihrer Lebensrealität zu tun hat. Das Schrifttum, ab dem 16. Jahrhundert auch die Literatur, ist verstärkt an der Ausbildung dieser Maske und