1887 auf Russisch unter dem Pseudonym »Doktor Esperanto« (›Hoffender Doktor‹) vorgelegt. Zamenhof orientierte sich in Hinsicht auf Organisations- und Propagandaformen einerseits am Beispiel der Volapükisten (jährliche Weltkongresse, Bildung von Ortsgruppen und Landesverbänden, Gründung einer Sprachakademie, Komposition einer Hymne etc.) und lernte andererseits auch aus dem Misserfolg von Volapük: Im Gegensatz zu SchleyerSchleyer, Johann Martin verschließt sich ZamenhofZamenhof, Ludwik Lejzer Änderungsvorschlägen am Sprachsystem nicht, erklärt Esperanto vielmehr zum ›allgemeinen Eigentum‹ und verzichtet auf alle Autorenrechte. Beleg für den bemerkenswerten und dauerhaften Erfolg von Esperanto ist auch die Tatsache, dass die ›Esperantologie‹ einen eigenen Zweig innerhalb der Interlinguistik darstellt.
Typologisch zählt Esperanto zu den schematischen, streng regelmäßig gebauten Sprachen. Dies zeigt sich etwa in der Bildung der Hauptwortarten durch bestimmte Endungen, -o bei Substantiven (knab-o ›Junge‹), -a bei Adjektiven (bel-a ›schön‹) und -i bei Verben (kant-i ›singen‹), oder in einer autonomen (regelmäßigen) Wortbildung. Der Wortschatz wird in weiten Teilen durch lineare Verkettung von Morphemen konstruiert (agglutinierendes Prinzip). Zentral hierfür sind gut 30 Wortbildungsformen, die ihrerseits z. T. als Basismorpheme fungieren können. So kann z.B. die Ableitungsform ulo auch selbstständig für Person stehen, dient in der Regel aber der Wortbildung: tim-ulo (›Angsthase‹; timi = ›fürchten‹), entsprechend ejo für Ort, kuir-ejo (›Küche‹, zu kuiri ›kochen‹). Durch Kombination lassen sich morphologisch hochkomplexe Wörter bilden wie beispielsweise mal-san-ul-ej/o für Krankenhaus (eigentlich ›Ort für nicht gesunde Menschen‹). Die Wortbildungsbasen sind zu rund 75 % romanischer und zu 20 % germanischer Herkunft. Der Rest resultiert aus unterschiedlichen anderssprachigen, vor allem slawischen Morphemen. Der Wiedererkennungsgrad (Merkhilfe) ist für Kenner romanischer bzw. germanischer Sprachen demnach besonders hoch, wie sich am Beispiel der ersten Sätze der Genesis zeigen lässt:
(1) En la komenco Dio kreis la ĉielon kaj la teron. (2) Kaj la tero estis senforma kaj dezerta, kaj mallumo estis super la abismo; kaj la spirito de Dio ŝvebis super la akvo. (3) Kaj Dio diris: Estu lumo; kaj fariĝis lumo. (http://www.steloj.de/esperanto/biblio/libro_gen.html [Stand 25.7.2016])
(Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. – Einheitsübersetzung 1980)
Bemühungen, Esperanto durch sprachpolitische Maßnahmen administrativ zu etablieren, blieben trotz einiger Achtungserfolge (z.B. wohlwollende, wenngleich unverbindliche Resonanz seitens des Völkerbundes 1923 sowie der UNESCO 1954, vereinzelte Etablierung im schulischen Fremdsprachenunterricht) letztlich ohne durchschlagende Wirkung. Bekämpft wurden die Esperantisten im Nationalsozialismus und Kommunismus (insbesondere in der StalinStalin, Josef-Ära). Gründe hierfür waren neben der jüdischen Herkunft ZamenhofsZamenhof, Ludwik Lejzer die prinzipiell demokratische Orientierung seines Projektes. Speziell in der Sowjetunion wurden Esperanto-Briefkontakte ins nichtkommunistische Ausland unter Spionageverdacht gestellt. Wie hoch die Zahl der Esperanto-Sprecher heute ist, ist nicht zweifelsfrei zu beziffern. Einige Angaben überschreiten die Millionengrenze. Unstreitig ist die Vitalität der Sprache, was sich an zahlreichen Publikationen oder Internetaktivitäten ablesen lässt. Hervorzuheben ist etwa das 1999 gegründete Lexikografie-Projekt Reta Vortaro (REVO), das neben etlichen anderen Sprachen auch ein aktuelles Lexikon Esperanto-Deutsch bietet (http://www.reta-vortaro.de/revo [Stand: 25.7.2016]).
Der Erfolg von Esperanto im Sinne einer allgemein anerkannten und angewandten Welthilfssprache ist heute dennoch sehr unwahrscheinlich geworden, was im Sinne Umberto EcoEco, Umbertos durchaus kulturpessimistisch kommentiert werden könnte:
So unausweichlich die Forderung nach einer WHS [Welthilfssprache, H.S.] auch sein mag, eine Weltgemeinschaft, die nicht in der Lage ist, sich auf die dringendsten Maßnahmen zur Rettung des Planeten vor der ökologischen Katastrophe zu einigen, scheint kaum geeignet, auf schmerzlose Weise die Wunde zu heilen, die Babel offengelassen hat. (EcoEco, Umberto, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, 339)
Zentral ist aber wohl, dass Englisch inzwischen die Funktion der Weltsprache mehr und mehr besetzt hat. Auch Vorschläge, Esperanto zur Sprache der Europäischen Union zu erheben, blieben (bislang) ohne große Resonanz. Gerade hier aber könnte das als eurozentristisch kritisierte Esperanto als neutrale Sprache im Sinne einer ›Fremdsprache für alle‹ seinen Vorteil ausspielen. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU (Brexit) ist allerdings – sieht man vom Heimvorteil der Iren ab – das Englische in diesem Rahmen nun auch zu einer (quasi) neutralen Fremdsprache mutiert.
Literatur
Baudouin de Courtenay, JanBaudouin de Courtenay, Jan, »Zur Kritik der künstlichen Weltsprachen. Wiederabdruck des Beitrags Leipzig 1907«, in: Reinhard HaupenthalHaupenthal, Reinhard (Hrsg.), Plansprachen. Beiträge zur Interlinguistik, Darmstadt 1976, S. 59–110.
Blanke, DetlevBlanke, Detlev, Interlinguistische Beiträge. Zum Wesen und zur Funktion internationaler Plansprachen, hrsg. v. Sabine FiedlerFiedler, Sabine, Frankfurt/M. u. a. 2006.
Brugmann, KarlBrugmann, Karl/August LeskienLeskien, August, Zur Kritik der Künstlichen Weltsprachen, Straßburg 1907.
Eco, UmbertoEco, Umberto, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, übers. v. Burkhart Kroeber, München 32002.
Haupenthal, ReinhardHaupenthal, Reinhard, »Johann Martin SchleyerSchleyer, Johann Martin (1831–1912) und seine Plansprache Volapük«, in: Zwischen Utopie und Wirklichkeit. Konstruierte Sprachen für die globalisierte Welt. Begleitbd. zur Ausstellung an der Bayrischen Staatsbibliothek (14. Juni bis 9. September 2012), München 2012, S. 63–84.
Trubetzkoy, Nikolai SergejewitschTrubetzkoy, Nikolai Sergejewitsch, »Wie soll das Lautsystem einer künstlichen internationalen Hilfssprache beschaffen sein? Wiederabdruck des Beitrags Prag 1939«, in: Reinhard HaupenthalHaupenthal, Reinhard (Hrsg.), Plansprachen. Beiträge zur Interlinguistik, Darmstadt 1976, S. 198–216.
5. Spezialsprachen: Fachsprachen, Wissenschaftssprachen etc.
Heinz Sieburg
Spezialsprachliche Kommunikationsformen sind zwar bereits aus früheren historischen Zusammenhängen bekannt, ihre Notwendigkeit hat mit der stetigen Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Gesellschaften jedoch deutlich zugenommen. Sie sind in modernen Gesellschaften unerlässlich, um dem zunehmenden Bedarf spezialisierter professioneller und wissenschaftlicher Verständigung entsprechen zu können. Zu diesem Zweck haben sich unterschiedlichste Fachsprachen herausgebildet, die durch die je spezifischen Kommunikationsansprüche (Inhalte, Methoden etc.) der beruflichen Sparten und Wissenschaften bedingt sind. Fachsprachen können als funktional angepasste Varietäten (Funktiolekte) beschrieben werden. Hadumod BußmannBußmann, Hadumod (Lexikon der Sprachwissenschaft, 186) definiert Fachsprache als »[s]prachliche Varietät mit der Funktion einer präzisen, effektiven Kommunikation über meist berufsspezifische Sachbereiche und Tätigkeitsfelder«. Fachsprachen dienen der sachbezogenen, den Funktionskriterien der Deutlichkeit, Verständlichkeit, Ökonomie und Anonymität (im Sinne eines nichtindividuellen, affektfreien Stils) unterworfenen Verständigung von Experten in einem fachlich definierten Kommunikationsfeld. Wissenschaftssprachen können den Fachsprachen zugerechnet oder gegen diese abgegrenzt werden. Differenzkriterium ist dann die durch die jeweilige Wissenschaftstheorie und -methode bestimmte besondere Verbindlichkeit des terminologischen Systems der Wissenschaftssprachen gegenüber gewöhnlichen Fachsprachen.
Fachsprachen werden in der Regel den Sondersprachen (in einem engeren Sinne) gegenübergestellt. (In einem weiten Sinn decken sich die Begriffe Sondersprache und Soziolekt.) Zu Letzteren können Gaunersprachen wie Rotwelsch, bestimmte Handwerkersprachen wie das auf dialektaler Basis entwickelte ›Lebber Talp‹ (WegeraWegera, Klaus-Peter, »Lebber Talp«) oder Sprachspielereien