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Literatur und Mehrsprachigkeit


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für die lautliche Realisierung in erheblichem Umfang fest. Aussprachewörterbücher sind eine relativ junge Gattung. In einigen Sprachräumen gibt es sog. Akademiewörterbücher, die den Wortschatz mit hohem Verbindlichkeitsanspruch dokumentieren und normieren, in Frankreich seit 1694, in Italien seit 1612, in (West-)Friesland seit 1984. Für das Deutsche gibt es kein solches Wörterbuch. Moderne korpusgestützte Wörter-»Bücher« stützen sich auf große Datenmengen aus dem Internet (KleinKlein, Wolfgang, »Von Reichtum und Armut«). Sie verstehen sich als deskriptiv, weil sie lediglich den Sprachgebrauch abbilden wollen.

      Die Kodifikation von Phonologie, Morphologie und Syntax geschieht durch Grammatiken und Lehrbücher (›grammaticae minores‹). Grammatikographen müssen aus dem Sprachmaterial, das sie als einschlägig betrachten, ständig auswählen und darüber entscheiden, welche der vorhandenen (dialektalen, soziolektalen usw.) Varianten zu standardsprachlichen Mustern erklärt werden sollen und welche nicht. In Westeuropa war die lateinische Grammatik des Aelius DonatusDonatus, Aelius (4. Jahrhundert) das unhintergehbare Vorbild, von dem sich erst die Grammatiker des 18. Jahrhunderts allmählich lösten. Es gab immer wieder Grammatiker, deren Werke Vorbilder wurden, im deutschsprachigen Raum z.B. Johann Christoph GottschedGottsched, Johann Christoph und Johann Christoph AdelungAdelung, Johann Christoph im 18. Jahrhundert, die Brüder Grimm, WilhelmGrimmGrimm, Wilhelm und Karl Ferdinand BeckerBecker, Karl Ferdinand im 19. Jahrhundert, Hermann PaulPaul, Hermann, Gerhard HelbigHelbig, Gerhard und Peter EisenbergEisenberg, Peter im 20. Jahrhundert, doch gab es nie eine Grammatik, die verbindlich war für den Gebrauch in Schulen und Behörden. In anderen Sprachräumen erheben Akademiegrammatiken diesen Anspruch; sie werden mitunter durch Rechtsakte für verbindlich erklärt, z.B. in Bulgarien oder Lettland.

      Die Verfasser der Wörterbücher und Grammatiken des Deutschen beriefen sich bis etwa 1980 auf vorbildliche religiöse, juristische, literarische, wissenschaftliche oder administrative Texte. Danach setzten sich deskriptive Prinzipien durch; man will sich seither eher am durchschnittlichen Sprachgebrauch orientieren. Die normativen Effekte von Deskriptionen werden kontrovers diskutiert.

      c) Agenturen von Sprachstandards

      Verwaltungen funktionieren schriftlich, seit die Sumerer und die Ägypter die Schrift zu diesem Zweck erfanden. Verwaltungssprachen müssen in erheblichem Maß standardisiert sein, damit sie überregional funktionieren können. In vielen Ländern gibt es gesetzliche und administrative Festlegungen von Staatssprachen, die Standards voraussetzen oder festlegen. In vielen Verfassungen ist (sind) die Staatssprache(n) des jeweiligen Landes festgeschrieben, z.B. in Österreich, Belgien oder Russland, nicht aber in Deutschland. Gesetze werden in der jeweiligen Amtssprache beschlossen und veröffentlicht. Einige Staaten haben Sprachgesetze, in denen geregelt ist, welche Sprachen in welchen Funktionen verwendet werden müssen oder dürfen, z.B. Belgien, Estland, Lettland, Russland, die Slowakei und die Ukraine.

      In Deutschland gab es bis 1996 das sog. Duden-Privileg, das besagte, dass der Rechtschreib-Duden den deutschen Wortschatz der orthographischen Form nach festlegte. Die Abschaffung dieses Privilegs war eines der Motive für die umstrittene Rechtschreibreform von 1996. Seither ist eine von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Kommission für die Fortentwicklung der deutschen Orthographie verantwortlich. Diese Kommission steht wegen ihrer personellen Zusammensetzung und der Ergebnisse ihrer Tätigkeit laufend in der Kritik. Mehrere Akademien haben sich 2013 zur »Lage der deutschen Sprache« geäußert (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Erster Bericht).

      Bei Amtssprachen wird differenziert nach innerem und äußerem Dienstbetrieb. Innere Amtssprachen sind solche, die innerhalb einer Verwaltung zugelassen oder vorgeschrieben sind, äußere Amtssprachen solche, die im ›Publikumsverkehr‹ zu verwenden sind. In Deutschland ist das nur das Deutsche, in mehrsprachigen Staaten sind das in der Regel mehrere Sprachen (z.B. Deutsch, Französisch und Italienisch bei Schweizer Bundesbehörden, Gälisch und Englisch in Irland).

      Gerichte verwenden schriftlich und mündlich Sprachen, die gesetzlich vorgeschrieben werden (Gerichtssprache). In Deutschland ist das Deutsche Gerichtssprache (mit Sonderregelungen für die sorbischen Gebiete in Sachsen und Brandenburg). Man unterscheidet zwischen innerer und äußerer Gerichtssprache, denn in mündlichen Verhandlungen sind Fremdsprachen in bestimmtem Umfang zugelassen, wenn Verfahrensbeteiligte des Deutschen nicht mächtig sind. Darauf beruht das Instrument der vereidigten Dolmetscher, die für einen bestimmten Gerichtsbezirk zugelassen sind.

      Regierungen können Akademien oder Sprachämter einsetzen und ihnen die Festlegung, Kontrolle und Fortschreibung von Standards übertragen, z.B. (in Klammern das Jahr der Gründung) Frankreich (1635), Finnland (1949), Spanien (1713) oder Russland (1724). Die Aufgaben solcher Akademien sind unterschiedlich definiert; sie reichen von normativen Vollmachten, z.B. in Frankreich oder Estland (1990), bis zu nur implizit normierenden Beratungsaufgaben, z.B. in Schweden (1945), Dänemark (1955) oder Norwegen (1952).

      Bei politischen Konflikten und Kriegen kommt es vor, dass der öffentliche und private Gebrauch von ›Feindsprachen‹ verboten wird. So wurde z.B. die ›Feindsprache‹ Deutsch während des Ersten Weltkrieges in Russland und in den USA verboten. Die nationalsozialistischen deutschen Besatzungsbehörden verboten den öffentlichen Gebrauch des Polnischen im besetzten ›Generalgouvernement‹.

      Das Militär regelt die jeweils zugelassenen Sprachen für den inneren (Kommandosprache) und äußeren Betrieb (Stabssprache). Mehrsprachige Armeen und einsprachige Armeen, die innerhalb mehrsprachiger Bündnisse operieren, müssen genau definierte Übersetzungs-Scharniere unterhalb des Generalstabs einrichten (GlückGlück, Helmut/HäberleinHäberlein, Mark, Militär und Mehrsprachigkeit).

      Für Ausbildungssysteme werden Schulsprachen definiert und vorgeschrieben (Unterrichtssprachen), ebenso obligatorische oder fakultative Schulfremdsprachen. In Deutschland, Österreich und der alemannischen Schweiz ist das Deutsche die Unterrichtssprache, weshalb Kinder aus Migrantenfamilien Deutsch lernen müssen, bevor sie in Regelklassen aufgenommen werden. Die Zahl der Schulfremdsprachen ist in Deutschland vergleichsweise groß: Neben dem Englischen, Lateinischen, Französischen, Spanischen, Russischen und Italienischen werden einige Nachbarsprachen sowie das Japanische und Chinesische gelehrt. Die Schulfremdsprachen stellen einen erheblichen volkswirtschaftlichen Kostenfaktor dar (Lehrbücher, Ausbildung und Besoldung der Fachlehrer), doch stellen sie andererseits einen Bildungsinhalt dar, der zu einer wertvollen sozialen oder beruflichen Qualifikation werden kann.

      Wesentlich für die Funktion einer Sprache als Standardsprache ist ihr Ausbau zu einer Wissenschaftssprache und ihre Verwendung in den Wissenschaften. Außer dem Englischen ist gegenwärtig keine Sprache in dieser Domäne uneingeschränkt funktionsfähig, d.h., dass es Fächer und ganze Fakultäten gibt, in denen nur noch auf Englisch geforscht werden kann. Die universitäre Lehre wird in Deutschland noch weitgehend auf Deutsch betrieben, doch gibt es auch hier Fächer, die von vornherein das Englische verwenden. Das verengt das Funktionsspektrum der Landessprache erheblich. Nur noch wenige ›große‹ Sprachen können sich in relevanten Domänen als Wissenschaftssprachen halten und weiterentwickeln. Für das Deutsche sind das viele Geisteswissenschaften, die Theologie, die Rechtswissenschaft und die klinische Medizin. Aus vielen Naturwissenschaften ist das Deutsche verschwunden, was zur Folge hat, dass keine Terminologien mehr entwickelt werden, so dass auf Deutsch nicht mehr geforscht werden kann. Auch andere Standardsprachen stehen unter dem Druck des Englischen, was teilweise als unvermeidlich hingenommen wird, z.B. in den Niederlanden oder den nordischen Ländern, teilweise als problematisch betrachtet und mit Gegenmaßnahmen bedacht wird, z.B. in Frankreich oder Russland (vgl. dazu EhlichEhlich, Konrad/OssnerOssner, Jakob/StammerjohannStammerjohann, Harro, Hochsprachen in Europa; EhlichEhlich, Konrad/HellerHeller, Dorothee, Die Wissenschaft und ihre Sprachen; AmmonAmmon, Ulrich, »Standardsprache«). In Deutschland und Österreich wird kontrovers debattiert, ob diese Entwicklung einen Segen oder einen Fluch für die Standardsprache Deutsch darstellt (vgl. dazu EinsEins, Wieland/GlückGlück, Helmut/PretscherPretscher, Sabine, Wissen schaffen; OberreuterOberreuter, Heinrich u.a., Deutsch in der Wissenschaft; ADAWIS, Die Sprache von Forschung und Lehre).

      Presse, Rundfunk, Fernsehen und andere Massenmedien sind in Deutschland keinen Vorschriften