gewählt zu werden. Gewiß, manche Komposita sind schrullig und uns daher lieb wie die Eigenheiten einer Geliebten […]. Wir kennen ein ›derweil‹ und ein ›dieweil‹, stolpern allerdings über ›dasweil‹.1Trojanow, IlijaZaimoglu, FeridunKimmich, DorotheeTrojanow, Ilija
Gesellschaftlich relevante Aspekte von Mehrsprachigkeit fokussiert Feridun ZaimogluZaimoglu, Feridun in seinen einleitenden Bemerkungen zu Kanak Sprak. Einer »weinerlich[en], sich anbiedernd[en] und öffentlich gefördert[en] ›Gastarbeiterliteratur‹«, die seit den 1970er Jahren als ›Müllkutscher-Prosa‹ die Legende vom »armen, aber herzensguten Türken Ali« verbreitet,2Zaimoglu, Feridun setzt er mit seinen »24 Mißtöne[n] vom Rande der Gesellschaft« das ästhetische Konstrukt einer ausgeprägt kreativ-schöpferischen und vielstimmigen Sprache des »Milieus« entgegen. Für »sozial verträglich[e]« Stimmen ohne gesellschaftliche Sprengkraft ist in dieser Sprache kein Platz. »Hier hat allein der Kanake das Wort.«3
ZaimogluZaimoglu, Feridun bezeichnet seine Literatur als »Nachdichtung«,4 die den Mitgliedern des Milieus eine von ihnen autorisierte Stimme verleiht. Sie hebt sich ab von dem Märchen von der Multikulturalität:
Der Kanake taugt in diesem Falle als schillerndes Mitglied im großen Zoo der Ethnien, darf teilnehmend beobachtet und bestaunt werden. »Türkensprecher« gestalten bunte Begleitprospekte für den Gang durch den Multikulti-Zoo, wo das Kebab-Gehege neben dem Anden-Musikpavillon platziert wird.5
Dies sind – wenngleich ihrerseits selbst literarisch überformte – Äußerungen, die als eine Autorenpoetik bezeichnet werden können. Es handelt sich also um Aussagen bzw. Sprechakte, die sich auf zentrale Anliegen der inhaltlichen und formalen Textgestaltung beziehen.
Ebene des Textes in mehrsprachiger Perspektive
Da in literarischen Texten, in Abhängigkeit von der jeweiligen Gattung, sowohl inhaltlich-thematische als auch formal-sprachliche Aspekte, und zwar in durchaus variabler Gewichtung, Teil der künstlerischen Gestaltung sind, kann ein weites Spektrum textanalytischer Instrumente mehrsprachiger Pragmatik zum Einsatz kommen. So können mit Bezug auf die eingeführten Figuren Analysen literarisch fingierter Produktion und Rezeption mündlicher und schriftlicher Sprache mit den betreffenden Sprechakten, kommunikativen Implikaturen sowie dem Gesprächs- und Kommunikationsverhalten der im Text vorkommenden Figuren durchgeführt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist in der Mehrsprachigkeitspragmatik dabei allen Formen des Sprach- und Kulturkontaktes zu widmen, wenn z.B. Figuren unterschiedlicher Muttersprachen und kultureller Hintergründe eingeführt werden. In Feridun ZaimoglusZaimoglu, Feridun erwähntem Text Kanak Sprak erfolgt dies z.B., indem eine als Ich-Erzähler auftretende türkischstämmige Figur sich über Deutsche – hier die »förderfreunde« – äußert:
Der einheimische hat für’n kümmel ja zwei reservate frei: entweder bist du’n lieb-alilein, ’n recht und billiger bimbo eben […]. Da kommen denn die förderfreunde und geben dir’n klaps auf die schulter, und die sagen dir: mann, das betrifft mich jetzt volle kante, daß du’n armes schwein bist.6
Hier werden das Sprechen durch eine literarisierte Form des Deutsch-Türkischen und das Leben in thematischer Hinsicht mehrfach perspektiviert, indem mögliche Formen der Fremdwahrnehmung durchgespielt werden, wie sie manche türkischstämmigen Menschen in Deutschland empfinden.
Desgleichen verdienen literarische Texte über die Figurenebene hinaus in der Gesamtheit ihrer Textebene die Aufmerksamkeit der Mehrsprachigkeitspragmatik. Phonetisch-phonologische Instrumente können z.B. zur Untersuchung sprachrhythmischer Strukturen eingesetzt werden; die Überlagerung rhythmischer Strukturen durch die einer anderen Sprache ist sehr wohl möglich und wurde z.B. bereits im 19. Jahrhundert auf anspruchsvollstem Niveau von Friedrich RückertRückert, Friedrich in vielen seiner Übertragungen und Nachdichtungen – der Islamwissenschaftlerin Annemarie SchimmelSchimmel, Annemarie zufolge z.B. in präzisen Nachempfindungen suprasegmentaler Elemente des Arabischen und des Sanskrit – eingesetzt (vgl. SchiewerSchiewer, Gesine Lenore, »Übersetzung und Rezeption des ›Mahâbhârata‹«). Das im deutschsprachigen Raum seit über zweihundert Jahren bestehende Interesse an Indien mit seinen Sprachen, seinem Denken, seiner Dichtung, seinen Religionen etc. führte zu einem mythologisch akzentuierten Sprachverständnis und Bewusstsein für sprachrhythmische Strukturen, die es erlauben, einem Gegenstand unterschiedliche affektive Tönungen und Nuancen zu verleihen. Weder der Mythos als epischer Stoff noch die Religion sind es, worin die zentralen Anliegen des Übersetzungsbegriffs RückertRückert, Friedrichs liegen; das verbindende Element der Menschen sieht er allein in der Sprache mit ihrer Bild- und Lautlichkeit (vgl. ebd.).
Ebene des Lesens und Hörens (Sprachrezeption) in mehrsprachiger Perspektive
Auch hinsichtlich der Sprachrezeption können, unter Berücksichtigung der jeweiligen Mehrsprachigkeitskompetenzen seitens des Rezipienten, insbesondere solche Ansätze der Pragmatik, die sich auf das Sprach- und Textverstehen beziehen, eingesetzt werden. Obwohl schon linguistische Ansätze im Bereich von Hermeneutik und Interpretation ein vergleichsweise schmaler repräsentiertes Forschungsfeld darstellen und die Schnittstelle zur Mehrsprachigkeitsforschung damit bislang eher schwach repräsentiert ist, existieren ausbaufähige Ansätze etwa im Bereich der für Fragen der Mehrsprachigkeit sogar besonders ergiebigen Semantik (vgl. z.B. BusseBusse, Dietrich, Textinterpretation; FritzFritz, Gerd, Einführung in die historische Semantik; FritzFritz, Gerd, Historische Semantik; HermannsHermanns, Fritz/HollyHolly, Werner, »Linguistische Hermeneutik«; BiereBiere, Bernd Ulrich, »Linguistische Hermeneutik und hermeneutische Linguistik«; JägerJäger, Ludwig, »Verstehen und Störung«).
Diese Rezipientenebene bezieht sich im Übrigen sowohl auf den Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin als auch Leserinnen und Leser als Rezipienten im Allgemeinen. Darüber hinaus ist auch hier die Text- und Figurenebene mit literarischen Gestaltungen von Verstehens- und Missverstehensprozessen zu berücksichtigen, denn gerade letztere gehören zu den traditionellen Möglichkeiten literarisch-fiktiver Handlungs- und Ereignisprozessierung. Sämtliche Formen literarischer Mehrsprachigkeit, seien sie formal-sprachlicher Art, seien sie thematisch-inhaltlich akzentuiert, stellen in der Regel hohe Ansprüche an die Decodierungs- und literarhistorischen Kontextualisierungskompetenzen seitens des fiktiven oder realen Rezipienten oder der Rezipientin.
Obwohl oft beschworen, kann in interkulturellen Rezeptionskonstellationen nicht selbstverständlich von einem durch Empathie geleiteten Verstehen des ›Allgemeinmenschlichen‹ oder einem unproblematischen ›Perspektivenwechsel‹ ausgegangen werden, zumal dann nicht, wenn es um wissenschaftliche Untersuchungen geht. Oftmals werden stattdessen Forschungsteams mit Kenntnissen der verschiedenen Sprachen und literarischen Traditionen erforderlich sein, die bereit sind, Rezeptionsbedingungen unter dem Aspekt der Transdifferenz zu betrachten (RocheRoche, Jörg/Suñer, »Kognition und Grammatik«; RocheRoche, Jörg, Mehrsprachigkeitstheorie; KalscheuerKalscheuer, Britta, »Die raum-zeitliche Ordnung des Transdifferenten«; BreinigBreinig, Helmbrecht/LöschLösch, Klaus, »Introduction: Difference and Transdifference«). Dies ist eine wichtige Aufgabe für die internationalen Germanistiken.
Zu ihren dringlichen Herausforderungen gehört im Ausgang von mehrsprachigkeitspragmatischen Fragestellungen und Gegenständen die Ausbildung von Kriterien und Formen für eine interkulturell-philologische Kommentierung interkultureller Texte nach dem Muster der historisch-kritischen Ausgabe. Anspruchsvoll ist dabei unter anderem, dass die Kommentierung grundsätzlich mindestens zwei Adressaten in den Blick zu nehmen hat: den muttersprachlichen und den fremd- oder zweitsprachlichen Leser oder die Leserin.
d) Vermittlungsaspekte
Die Pragmatik der Mehrsprachigkeit ist angesichts von Globalisierungserscheinungen und zunehmender demographischer Vielfalt eigentlich ein konstitutives Thema für den Unterricht, insbesondere den Fremdsprachenunterricht. Aber sie findet trotz der pragmatischen Wende der 1970er Jahre (›Kommunikative Sprach- und Literaturdidaktik‹) nur ansatzweise Eingang in die unterrichtliche Praxis. Die vor allem auf Formaspekte der Zielsprache abgestellte Didaktik orientiert sich mehrheitlich an monoglottalen und sterilen Normen einer schwer definierbaren ›Allgemeinsprache‹, die mit der Kommunikationsrealität einer zunehmend mehrsprachigen Schülerschaft und deren